Flüchtlinge: Integration – oder Sanktion

Außenminister Sebastian Kurz.
Außenminister Sebastian Kurz.(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Außenminister Sebastian Kurz will Flüchtlingen, die sich nicht integrieren, die Mindestsicherung kürzen. Die SPÖ muss seinen Vorschlägen aber erst zustimmen. Und die Finanzierung ist zum Teil noch offen.

Wien. Von Max Frisch stammt der Satz „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“. Heinz Faßmann, Vizerektor der Uni Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration, wandelte dieses Zitat aus aktuellem Anlass ein wenig ab: „Flüchtlinge sind gekommen, und Bürger sollen sie sein.“

Ende 2015 werden 95.000 Flüchtlinge nach Österreich gekommen sein. Ungefähr die Hälfte davon wird bleiben dürfen. Nächstes Jahr rechnet das Bundesamt für Asylwesen dann mit bis zu 130.000 Asylanträgen. Die Frage ist, wie diese Menschen integriert werden können, in den Arbeitsmarkt, in die Gesellschaft, in den österreichischen Alltag?

Gemeinsam mit Faßmann hat Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Donnerstag einen Integrationsplan vorgestellt und das Recht auf Asyl mit „einer Pflicht zur Integration“ verknüpft. Mit jedem Asylberechtigten sollen individuelle Ziele vereinbart werden, damit er möglichst schnell die Sprache lernt, einen Arbeitsplatz findet und die europäischen Grundwerte kennt. Wer sich nicht an die Vorgaben hält, dem soll die Mindestsicherung um bis zu 50 Prozent gekürzt werden.

Arbeitsmarkt

Kurz und Faßmann verhehlten dabei nicht, dass vor allem die Integration in den Arbeitsmarkt eine Herausforderung sein wird. Das Arbeitsmarktservice (AMS) habe sich vorgenommen, innerhalb von fünf Jahren 50 Prozent der Asylwerber in Beschäftigung zu bringen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Hälfte ist nur schwer vermittelbar und wird wohl Mindestsicherungsempfänger bleiben.

Die Experten empfehlen – präventiv – eine Kombination aus Berufsorientierung (für die zahlreichen jungen Flüchtlinge) und Fortbildungsangeboten. Davor müsse allerdings vom AMS der jeweilige Qualifikationsstand ermittelt werden, und zwar im Rahmen von Kompetenzchecks, wie sie in Wien bereits durchgeführt werden. Die Universitäten wiederum seien gefordert, „Vorkehrungen zu treffen, um den fairen Einstieg in schon einmal begonnene Studien zu ermöglichen“.

Voraussetzung für einen Arbeitsplatz ist auch der Spracherwerb. Kurz räumte ein, dass es vor einigen Monaten zu Engpässen bei den Deutschkursen gekommen sei. Mittlerweile gebe es aber ausreichend Angebote, unter anderem auch Onlinekurse. Explizit hob der Minister Vorarlberg hervor, wo es eine Deutschkursgarantie gebe. Niemand müsse dort länger als zwei Wochen warten.

Das – erst diese Woche vereinbarte – zweite verpflichtende Kindergartenjahr wird, laut Faßmann, den frühen Spracherwerb fördern. An diese Kindergartenzeiten könnte man Sprachkurse für Mütter koppeln, um Synergien zu schaffen. Für neue Flüchtlingskinder und jene, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind, sollten Sommerkurse an den Schulen angeboten werden. Pensionierte Lehrer könnten hier die Personallücken schließen, meinen die Experten.

Gesellschaft

Daneben sollen Asylberechtigte zu einem achtstündigen Wertekurs verpflichtet werden, der ihnen die Regeln des Zusammenlebens in Österreich näherbringt. Demokratie und Rechtsstaat sowie Gleichberechtigung und Umgangsformen werden dort thematisiert. Wobei auch die Deutschkurse für subtile Botschaften genutzt werden sollen, indem Männer und Frauen gemeinsam einen Lehrgang besuchen oder Texte gelesen werden, die vom Nebeneinander der Religionen handeln.

Offen blieb vorerst, wer die Sanktionen anordnet, wenn ein Flüchtling seinen Integrationsplan nicht erfüllt. Denn die SPÖ, über Rudolf Hundstorfers Sozialministerium für das AMS verantwortlich, hat den Kurz-Vorschlägen noch nicht zugestimmt. In der Bundespartei wollte sich gestern niemand dazu äußern. In Wien reagierte man erstaunt auf die Sanktionspläne. Wer Mindestsicherung beziehe, müsse – so er arbeitsfähig sei – schon jetzt Arbeitswilligkeit beweisen, sonst würden Kürzungen drohen, so Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) zur „Presse“. Zur Arbeitswilligkeit gehöre die Teilnahme an Deutschkursen. Diese würde de facto aber nie verweigert. 2014 sanktionierte die MA 40 in Wien 6200 Mindestsicherungsbezieher. In keinem Fall sei es um verweigerte Sprachkurse gegangen, sagt Wehsely. In Summe begrüßt sie aber den Integrationsplan von Kurz.

Finanziert werden sollen die Maßnahmen aus dem Sondertopf für Integration, der vom Finanzminister verwaltet wird und mit 75 Mio. Euro dotiert ist. Wie hoch der Bedarf seines Ressorts ist, sagte Kurz nicht. Insgesamt bezweifelt er aber, dass man mit dem Betrag auskommen wird. Die Schätzungen gingen, noch bei 80.000 Flüchtlingen, von einer Milliarde Euro im Jahr aus. Mindestens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)

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