„Hände weg vom Geld für Familien“

SOPHIE KARMASIN
SOPHIE KARMASIN(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Nicht nur in der Opposition, sondern auch in der ÖVP formiert sich Widerstand gegen das Ausräumen des Familienfonds. Die Koalition beruhigt: Es werde keine Leistungskürzungen geben.

Wien/Graz. Des einen Freud, des anderen Leid: Wirtschaft und Industrie atmen auf, weil die Bundesregierung bei ihrem Arbeitsmarktgipfel Ende Oktober erste Schritte zur Senkung der Lohnnebenkosten festgelegt hat. Familienorganisationen sind hingegen alarmiert und aufgebracht, weil das Geld dafür aus Beiträgen des Familienfonds (Flaf) kommt, der damit auf Jahre weiter einen 2,7-Milliarden-Euro-Schuldenberg aufweist.

Vor dem Beschluss im Zuge des Budgetbegleitgesetzes in der kommenden Woche im Nationalrat gibt es in der ÖVP jetzt einen Aufruf, der Umschichtung der Mittel „im Sinne der Kinder“ nicht zuzustimmen. Wegen des Ausräumens des Familienfonds, aus dem 920 Millionen Euro zur vereinbarten Senkung der Lohnnebenkosten aufgewendet werden, steht vor allem die von der ÖVP gestellte Familienministerin Sophie Karmasin unter Druck. Sie hält der Kritik von Familienorganisationen allerdings die Zusicherung entgegen, dass es zu keinen Kürzungen von Leistungen kommen werde. Es bleibe bei den bis 2018 vorgesehenen Erhöhungen der Familienbeihilfen.

SPÖ-Klubchef stützt Ministerin

SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder springt ihr im Gespräch mit der „Presse“ zur Seite. „Eines ist sicher: Es gibt keine Kürzung von Familienleistungen.“ Längerfristig könne er sich allerdings, wie von ihm bereits früher vorgeschlagen, mehr Mittel für Sach- statt für Geldleistungen für Familien vorstellen. Etwa für den Kindergartenausbau.

Auslöser der Proteste ist die von SPÖ und ÖVP paktierte Lösung, dass 2016 zuerst die Beiträge des Insolvenzfonds um 0,1Prozentpunkte gesenkt werden. 2017 werden die Dienstgeberbeiträge zum Familienfonds von bisher 4,5Prozent des Bruttolohns um 0,4Prozentpunkte gesenkt, im Jahr 2018 schließlich um weitere 0,2 Prozentpunkte.

Das führt im Familienfonds zu einem erwarteten Einnahmenausfall von 920 Millionen Euro. Dabei weist der Fonds ohnehin noch immer einen Schuldenberg von 2,6 Milliarden Euro auf. Die Folge: Die bis 2019 geplante Entschuldung ist mit dem Anzapfen des Flaf für die Senkung der Lohnnebenkosten hinfällig. Rein technisch bedeutet dies, dass der Bund auf diese Weise ein Budget-Milliardendefizit im Fonds versteckt. Die Familienverbände befürchten jedoch massive Folgen für Eltern und Kinder, weil die geforderte künftige automatische Valorisierung der Familienbeihilfen in weite Ferne rückt.

Die Familiensprecherin der Grazer ÖVP und Vorsitzende des Katholischen Familienverbands Steiermark, Sissi Potzinger, rief am Freitag in einem Brief die „sehr geschätzte ÖVP-Familie im Nationalrat“ dazu auf, nicht zuzustimmen: „Hände weg vom Flaf! Auf Kosten der Familien und Kinder zu sparen kann sich langfristig rächen.“

Familienministerin Karmasin hat schon diese Woche im Parlamentsausschuss versucht, aufgebrachte Gemüter zu beruhigen. Sie kündigte an, sich weiter dafür einzusetzen, dass der Familienfonds entlastet werde. So sollen Pensionsbeiträge für Kindererziehungszeiten und für Wochengeld in Summe um 400 Millionen Euro reduziert werden. Derartige Wünsche sind freilich in der Vergangenheit mangels Finanzierungsalternativen stets verhallt. Zugleich bestätigte Karmasin im Ausschuss, der Schuldenstand des Familienfonds werde 2019 nun weiter bei 2,7 Milliarden Euro liegen.

Schieder verteidigt diese Form der Senkung der Lohnnebenkosten damit, dass so Arbeitsplätze geschaffen würden – die Regierung rechnet mit 14.000. Er hält es für vertretbar, dadurch beim Familienfonds „etwas vom Finanzierungspfad abzugehen“. Er sei aber sowieso dafür, längerfristig eine Diskussion zu führen, wonach vor allem mehr in Sachleistungen für Familien investiert werde solle.

Grüne: „Das ist so absurd“

Die Opposition läuft indes Sturm gegen das „Plündern“ des Familienfonds. Die Familiensprecherin der Grünen, Judith Schwentner, hält vor allem die Reaktion von Familienministerin Karmasin mit vagen Antworten zur Entschuldung des Fonds für „empörend“ und „absurd“. Denn: „Das ist so etwas von unrealistisch. Das ist einfach nicht nachvollziehbar.“

In diese Kerbe schlagen auch die Neos: Die Senkung der Lohnnebenkosten sei schlicht „auf Schulden gebaut“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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