Mindestsicherung reformieren? SPÖ sagt nicht Nein

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Teile der Mindestsicherung könnten künftig als Sachleistungen ausbezahlt werden.

Wien. Bei der Mindestsicherung, die sich derzeit auf rund 830 Euro pro Monat und Person beläuft, bahnen sich Reformen an – die Frage ist, in welchem Ausmaß. Dem Vorschlag der ÖVP, nicht mehr nur auf Geldleistungen, sondern verstärkt auch auf Sachleistungen zu setzen, kann die SPÖ etwas abgewinnen. In einigen Fällen, meinte Klubobmann Andreas Schieder am Freitag im ORF-Radio, wäre es durchaus sinnvoll, wenn Miet- oder Ausbildungskosten direkt finanziert würden.

Eine andere ÖVP-Forderung lehnt der Koalitionspartner ab: Bei der Mindestsicherung für Familien einen Deckel von 1500 Euro einzuziehen käme für die SPÖ nicht infrage, sagte Schieder. Denn damit würden Mehrkindfamilien benachteiligt.

Die ÖVP versuchte ihre Sicht der Dinge am Freitag bei einer Enquete im Parlament darzulegen. Sozialsprecher August Wöginger argumentierte entlang eines Beispiels: Wenn beide Elternteile nicht erwerbstätig seien, bekomme eine Familie mit drei Kindern monatlich rund 2000 Euro netto Mindestsicherung. Das entspräche einem Arbeitseinkommen von 3400 Euro brutto. Er halte das für unverhältnismäßig, ein Großteil der Menschen habe dafür kein Verständnis, sagte Wöginger. „Wir bekennen uns zur Mindestsicherung. Aber es muss einen deutlichen finanziellen Unterschied zum Erwerbseinkommen geben.“

„Kein Lumpenproletariat“

Darüber hinaus schlägt die ÖVP vor, 50 Prozent der Mindestsicherung in Sachleistungen oder Direktzahlungen umzuwandeln, damit das Geld auch in der Familie ankomme und nicht vom Vater zum Beispiel im Casino verspielt werde. Auch das gebe es ja, meinte Wöginger. Seiner Meinung nach würden sich die Bereiche „Wohnen, Betriebskosten, Energie, Deutschkurse und Lebensmittel“ für Zweckwidmungen anbieten. Diese Möglichkeiten hätten die Bezirksbehörden, die die Mindestsicherung auszahlen, zwar schon jetzt. „Wir wollen aber, dass das eine Muss-Bestimmung wird.“

Die Geldleistung wiederum solle um ein Viertel gekürzt werden, wenn der Mindestsicherungsbezieher nach einem Jahr keinen der angebotenen Arbeitsplätze angenommen hat. Die SPÖ erhob hier umgehend Einspruch: Er sei dagegen, dass man Leute, die länger soziale Probleme hätten und arbeitslos seien, „zu Lumpenproletariat herunterkürzt“, sagte Schieder.

Anlass für die Debatte innerhalb der Koalition sind nicht nur, aber vor allem die Flüchtlinge. Von den rund 95.000, die bis Jahresende erwartet werden, bekämen 40.000 Asyl, rechnete ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka vor. Davon würden zumindest 90 Prozent anfangs Mindestsicherung beziehen. „Das ist natürlich eine Riesenherausforderung.“

Kollektivvertrag aushebeln?

77,4 Prozent der Syrer und 94,9 Prozent der Afghanen hätten gar keine Ausbildung, viele seien außerdem Analphabeten, fügte der niederösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Sobotka hinzu und bezog sich dabei auf Daten des Arbeitsmarktservice. Es brauche daher eine neue Lohnstruktur unter dem Kollektivvertrag: „Sonst stellt die kein Unternehmer an, denn für jeden dieser Mitarbeiter braucht er einen zweiten, der ihm alles zeigt.“

Ausdrücklich begrüßt wird in der ÖVP der Vorschlag von Integrationsminister Sebastian Kurz, Asylberechtigten, die nicht arbeiten wollen, die Mindestsicherung um die Hälfte zu kürzen. Generell will man einheitliche Kontrollen und Sanktionen in allen Bundesländern, mehr Transparenz bei den Mindestsicherungsdaten und, nach niederösterreichischem Vorbild, einen Bonus für jene Bezieher, die wieder zu arbeiten beginnen.

Lopatka schoss sich dann einmal mehr auf Wien ein, denn dort lebten im Vorjahr 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung, aber mehr als die Hälfte aller Mindestsicherungsbezieher, nämlich rund 141.000 von 256.000. Der Rechnungshof möge daher eine Prüfung in Wien einleiten.

„Attacke auf Hilfsbedürftige“

Kritik kam von der Opposition. Die ÖVP plane eine Attacke auf hilfsbedürftige Menschen und verwende dabei fragwürdige Zahlen, meinten die Grünen. Die Neos sehen eine Themenverfehlung: Der Leistungsanreiz entstehe nicht durch eine Deckelung, sondern dann, wenn sich auch kleine Jobs auszahlen. Der FPÖ wiederum gehen die ÖVP-Forderungen nicht weit genug. Sie will, dass Nichtstaatsbürger nicht mehr Sozialleistungen als in ihrem Herkunftsland bekommen. (pri)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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