Jetzt haben Schweine Saison

Das Schwein ist in erster Linie Dekoration: Was serviert wird, köchelt schon seit Stunden in den Eisenkesseln.
Das Schwein ist in erster Linie Dekoration: Was serviert wird, köchelt schon seit Stunden in den Eisenkesseln.Die Presse
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360 Grad Österreich: Früher schlachtete man die Schweine im Winter und feierte dazu den Sautanz. Trotz der Erfindung des Kühlschranks besinnt man sich wieder dieser Tradition.

Man muss das einmal erlebt haben. Wie die Eingeweide des frisch aufgebrochenen Schweins in der kalten Luft dampfen, wie der Schlachter tief in das Schwein hineingreift und die Innereien herausholt. In der Luft liegt der metallisch-süße Geruch von frischem Blut, in großen Töpfen werden Schweinskopf und Beine gekocht, die Gedärme liegen für die Blutwurst bereit. Wenn man all das sieht und vor allem riecht, dann hat das zwei mögliche Konsequenzen: Man wird auf der Stelle Vegetarier – oder man isst sehr bewusst, fast schon andächtig, was von diesem Schwein serviert wird.

„Die Leut' wissen ja nicht mehr, woher das Fleisch kommt“, sagt H., der im westlichen Wienerwald immer zu Beginn der kalten Jahreszeit ein Schwein schlachtet und dazu Freunde einlädt. Das Tier wird zerlegt und an die Anwesenden verteilt – nicht ganz legal, weil das Fleisch einer Hausschlachtung laut den strengen Vorschriften nur für den Eigenbedarf erlaubt ist. Aber niemand wird H. anzeigen. Viele holen seit Jahren bei ihm das Fleisch, weil sie wissen, wo und wie die Schweine aufgewachsen sind. Und außerdem ist H. ein guter Gastgeber.

„Sautanz“ nannte man die Feiern früher, als es noch ein Fest war, ein Schwein schlachten zu können. Im Winter, wenn es kalt genug war, um das Fleisch aufbewahren zu können, hatten Schweine Saison, so wie Erdbeeren im Mai oder Äpfel im August und September. Das Hausschwein, das man den ganzen Sommer über gemästet hatte, wurde geschlachtet, und alle Freunde, Verwandten und Nachbarn kamen zusammen, um bei der Verarbeitung mitzuhelfen. Und als Dank gab es Frisches vom Schwein, Bier, Wein und Schnaps. Viel Schnaps.

Mit dem Einzug des Kühlschranks in die Haushalte endete die Schweinesaison. Jetzt kann man das ganze Jahr über schlachten (so man die Schlachtvorschriften erfüllt) oder sich gleich im Supermarkt das Schweinefleisch kochgerecht kaufen – zu einem Kilogrammpreis, der manchmal unter jenem von Kartoffeln oder Gemüse liegt. Für Schweinernes feiert heute niemand mehr ein Fest.


Ohren, Leber, Niere. „Das ist eine Schande“, sagt Max Stiegl. „Es gibt kaum etwas Besseres als ein Schwein. Wenn man es richtig zubereitet, kann man alles von ihm essen.“ Der Wirt, der im burgenländischen Purbach das Gut Purbach betreibt, lässt die Tradition des Sautanzes wieder aufleben. Seit Jahren eigentlich, am gestrigen Samstag fand das Fest schon zum neunten Mal statt. Aber erst jetzt ist es richtig bei den Menschen angekommen. „Am Anfang war's schon mühsam. Da haben sich die Leut' nicht so dafür interessiert.“ Gestern waren mehr als 100 Gäste im Innenhof des Guts und aßen Schweinsohren, Nieren, Leber – mit Hingabe und mit Appetit.

Stiegl ist nicht der Einzige, der wieder einen Sautanz veranstaltet. In vielen anderen burgenländischen Gemeinden feiert man im Winter das Fest, meist in Restaurants, noch immer aber auch in vielen Familien, die zusammenkommen und gemeinsam das Schwein verarbeiten. Und einzigartige Speisen – in jeder Hinsicht – herstellen. Etwa die Abstechsuppe, die aus den Abfällen aus der Verarbeitung eines Schweins besteht. Knochen, Fleischabschnitte, Beine, Innereien werden mit Wurzelgemüse verkocht und mit dicken Suppennudeln serviert. Oder die Blunzensuppe. Früher war das das Wasser, in dem man die Blutwürste gekocht hat. Hin und wieder sind die Würste aufgeplatzt und das Blut hat sich im Kessel verteilt. Das hat man natürlich nicht weggeschüttet, sondern zu einer Suppe verarbeitet (heute bereitet man die Blunzensuppe mit aufgeschnitten Blutwürsten zu).

Nein, Max Stiegl ist nicht der Einzige, der in seinem Lokal einen Sautanz feiert. Aber er hat es in der Vergangenheit schon geschafft, den Menschen die Innereien wieder schmackhaft zu machen – so nachhaltig, dass man mittlerweile sogar im Supermarkt Stierhoden kaufen kann. Nur logisch, dass er auch den alten Brauch zur Perfektion getrieben hat. Es gibt ein Festzelt, eine Band spielt, ein Kameramann ist an diesem Samstag hier, das deutsche Magazin „Stern“ hat für eine große Reportage angefragt, und unter den Gästen sind etliche Prominente.

„Ich wollte das einmal erleben und sehen, wie aus einem Tier ein Essen wird“, erklärt Peter, der aus Wien angereist ist. Seine Begleiterin sieht ein wenig mitgenommen aus. „Das alles ist einem ja nicht mehr bewusst, wenn man nur verpacktes Fleisch kauft“, erklärt sie mit Blick auf den Kessel, in dem obenauf eine Lunge schwimmt, daneben ein Schweinskopf und darunter die Ohren. „Es ist vielleicht doch etwas zu viel Information.“

Am Ende des Tages bekommt jeder Gast ein Glas mit Blunzensuppe mit. „In den meisten Gasthäusern kommt die Rindssuppe aus dem Packerl“, erklärt Stiegl. „Bei der Blunzensuppen kannst nicht tricksen.“ Sie kann man nicht in Würfelform kaufen. „Da musst schon a Schwein dafür schlachten.“

Fakten

Sautanz. Früher feierte man die Erlegung eines Tiers nach der Jagd, später war es ein Fest, wenn man das lang gemästete Schwein im Winter schlachten konnte. Dafür kamen Freunde, Verwandte oder die Dorfgemeinschaft zusammen.

Im Burgenland wird in verschiedenen Gemeinden wieder ein Sautanz gefeiert. Meist sind es Restaurants, die die Tradition hochleben lassen. Aber auch Familien kommen zusammen, um gemeinsam die Schweine nach der Hausschlachtung zu verarbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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