Mythos BVT: Was ändert das neue Gesetz?

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UEBERWACHUNGSKAMERA AM BALLHAUSPLATZ(c) APA/ Robert Jaeger
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Das Staatsschutzgesetz wurde emotional debattiert. Fakten blieben oft auf der Strecke – auch in der Präsentation der Einigung zwischen SPÖ und ÖVP im Parlament. Was ist dran an Massenüberwachung und Geheimdienst-Paranoia?

Wien. Die Parlamentsklubs von SPÖ und ÖVP sind sich seit Sonntag einig: Die dritte Version des lang diskutierten und noch länger geplanten Staatsschutzgesetzes soll Anfang 2016 in den Nationalrat kommen und mit 1. Juli in Kraft treten. Das Papier regelt erstmals kompakt und zentral Aufgaben und Kompetenzen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das im Lauf der vergangenen Jahre aufgrund der gestiegenen Bedrohung durch den – insbesondere islamistischen – Terrorismus verstärkt öffentlich wahrgenommen wird. Behörden wie der Staatsschutz sind seit jeher Projektionsflächen berechtigter und unberechtigter Sorgen im Sinne von Verschwörungstheorien. Das galt und gilt auch für das BVT und sein neues Gesetz, um das einige Mythen aufgebaut wurden: ein Aufklärungsversuch.

Der Geheimdienstmythos. Schon die Vorgängerorganisation, die staatspolizeiliche Abteilung im Innenministerium, genoss diesen zweifelhaften Ruf. Das BVT war – und bleibt – vom Geheimdienststatus jedoch weit entfernt. Infiltrierung und Spionage abseits strenger Kontrolle ist seinen Mitarbeitern verboten. Dienste wie die amerikanische NSA bogen im Inland Recht und brechen es im Ausland auf Basis von US-Gesetzen. Die Mitarbeiter des BVT sind formal Polizisten und müssen Straftaten, von denen sie erfahren, anzeigen und verfolgen. Abwarten, weiter erforschen und mit wenig belastbaren Informationen arbeiten, wie es der deutsche Verfassungsschutz macht (ein Geheimdienst ohne Exekutivgewalt und damit streng genommen ein Nachrichtendienst), ist ihnen nicht erlaubt. Aber: Die Früherkennung und Aufklärung möglicher Gefahren in einem Stadium, das noch keine staatsanwaltlich geführte Ermittlung erlaubt, haben zumindest nachrichtendienstlichen Charakter. Das Staatsschutzgesetz ändert an dieser Zwitterstellung nichts, überträgt die Befugnis zur Vorfeldaufklärung jedoch ausdrücklich an das BVT. Derzeit kann das theoretisch jeder Polizist durchführen.

Der Überwachungsmythos. Mehrere Medien, Politiker und NGOs warnten im Zuge der Debatte wörtlich vor „Massenüberwachung“. Die Grünen schrieben in einem Papier von der „Eingliederung des BVT in den von CIA und NSA geführten Geheimdienstverbund“. Beide Behauptungen sind undifferenziert.

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Tatsächlich ist das nachrichtendienstliche Element der BVT-Ermittlungsarbeit extrem klein. Die Beobachtung von Personen und Gruppierungen, die das Amt für gefährlich hält, gegen die jedoch strafrechtlich nichts vorliegt, heißt in der Fachsprache erweiterte Gefahrenerforschung. Sie beinhaltet u. a. die Observation oder das Anbringen von Wanzen und Kameras. Im Vorjahr wurden – neben der Verlängerung bereits laufender – genau zehn derartige Aktionen gestartet (siehe Grafik). Zum Vergleich: 2012 waren es 18. Österreichs Staatsanwaltschaften führen derzeit etwa 200 Ermittlungsverfahren gegen verdächtige Terroristen. „Massenüberwachung“ gibt es so nicht.Auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten wird nicht automatisiert und im Verbund organisiert. Tatsächlich erhält das BVT aus dem Ausland genauso Informationen, wie es sie – im Anlassfall – weitergibt. Geregelt ist das einerseits im Polizeikooperationsgesetz, andererseits im neuen Staatsschutzgesetz. Jeder Zugriff auf und jede Übermittlung von Informationen aus der neuen, zentralen BVT-Datenbank wird protokolliert, begründet und kann vom Rechtsschutzbeauftragten kontrolliert werden.

Der Allmachtsmythos. Im ersten Entwurf des Staatsschutzgesetzes war tatsächlich Bemerkenswertes zu lesen. Das mächtige Instrument der erweiterten Gefahrenerforschung (siehe Überwachungsmythos) sollte bei jedem „wahrscheinlichen verfassungsgefährdenden Angriff“ eingesetzt werden können. Der Zusatz „wahrscheinlich“ hätte es nach Auffassung von Kritikern ermöglicht, dass hierfür selbst eine völlig unbegründete Behauptung über eine Bedrohung ausgereicht hätte, um Gefährder unter Beobachtung zu stellen. Inzwischen wurde das Wort „wahrscheinlich“ jedoch gestrichen. Auch die Liste der einst über 100 Delikte, die man als verfassungsgefährdend betrachte, ist nun kürzer. Eine Versammlung zu stören oder im Rahmen einer größeren Unruhe (Landfriedensbruch) einfach nur dabei gewesen zu sein reicht – anders als im ersten Entwurf – nicht mehr aus, um ins Visier des Staatsschutzes zu geraten. Hier braucht es als Voraussetzung nun zumindest Rädelsführerschaft. Auch alle anderen Straftaten, die nun als Anlass für eine erweiterte Gefahrenerforschung dienen, brauchen ein ernstes Motiv. Darunter fallen neben Terrorismus die Mitarbeit für einen fremden Geheimdienst, Industriespionage oder die Verbreitung von spaltfähigem Kernmaterial.

Das Parlaments-Placebo. In der am Sonntag präsentierten „Einigung“ der Parlamentsklubs von SPÖ und ÖVP verwiesen die Parteien auf zwei wesentliche Änderungen, die nun die Zustimmung bisher kritischer Mandatare ermöglichen. Die Umgestaltung des Büros des Rechtsschutzbeauftragten in einen Dreiersenat sowie die Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz (LVT). Beide Details sind jedoch eine Art Placebo für interne Kritiker. Bereits heute besteht das Büro des Rechtsschutzbeauftragten aus drei Personen, dem Leiter und zwei bei der Arbeit gleichberechtigten Stellvertretern. Auch die Landesämter, die in der Sache seit Jahren dem BVT unterstehen, aber auf Personalressourcen der Landespolizeidirektionen zurückgreifen, wird es künftig weiter geben. Sie heißen dann nur anders, nämlich „für Verfassungsschutz zuständige Organisationseinheiten der Landespolizeidirektion“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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