Eine Fast-Frauenministerin in Tokio

Sophie Karmasin
Sophie Karmasin(c) Stanislav Jenis
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Wenig Kinder, keine Zuwanderung, kaum Politikerinnen: Sophie Karmasin will aus den Fehlern des Inselstaats lernen.

Tokio. Die Japaner, um sich gleich eines Klischees zu bedienen, lieben die minuziöse Planung. Zumindest jene in politischen Kabinetten: Da gibt es keinen Spielraum für spontane Aktionen, der Ablauf des Ministertreffens ist genau vorgegeben. Zuerst soll der Gast das Wort ergreifen, aber nur mit freundlichem Geplänkel. Erst wenn die japanische Presse den Raum verlassen hat, kann das eigentliche Gespräch beginnen. Wobei hier etwas auf den Ton zu achten ist. Auch eine Sitzordnung wird der ausländischen Delegation zur Vorbereitung gefaxt.

Sophie Karmasin hält von dem strengen Protokoll wenig. Sie mag es nicht, wenn jeder Punkt genau vorgegeben ist – und würde lieber frei von der Leber weg plaudern. Ihre Vize-Kabinettschefin ahnt das schon und versucht die österreichische Familienministerin vor dem Treffen zu instruieren. In wenigen Minuten wird Karmasin in Tokio den japanischen Minister Katsunobu Kato treffen – einen Mann mit vielen Kompetenzen und einer dementsprechend voll beschrifteten Visitenkarte: Er ist Minister für den Einbezug aller Bürger in ein aktives Leben, für Maßnahmen gegen den Geburtenrückgang und für Geschlechtergleichstellung.

Paare sollen jünger heiraten

Vor allem an letzteren beiden Punkten ist Karmasin interessiert. Sie ist nach Tokio gereist, um aus den Fehlern des asiatischen Inselstaats im Frauen- und Familienbereich zu lernen. Und um sie nicht in Österreich zu wiederholen.

Das sagt sie (etwas verklausuliert, aber wenig diplomatisch) auch Minister Kato – was ihren Mitarbeitern die Augenbrauen skeptisch in die Höhe schnellen lässt. „Wir in Österreich zahlen den Familien mehr an Beihilfen als Japan“, erzählt Karmasin etwa ihrem japanischen Kollegen. Dieser antwortet schnell: Auch in seinem Land gebe es Unterstützung für Familien.

Später ermahnt ihn die Ministerin: Japan sollte sich bemühen, mehr Frauen für die Politik zu begeistern. Ob er an Quoten gedacht habe. „Es gibt eine Diskussion darüber. Mehr allerdings nicht“, sagt Kato. Was er sich hingegen wünsche: dass Paare jünger heiraten und früh Kinder bekommen würden. Und Menschen nicht mehr ihren Job aufgeben müssen, um ihre älteren Verwandten zu pflegen.

Österreich und Japan haben tatsächlich ähnliche Probleme, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung: Zu wenig Frauen befinden sich etwa in Managementpositionen (in Österreich sind es 2,8 Prozent, in Japan 0,6 Prozent). Außerdem ist die Gesamtfertilitätsrate (1,46 Kinder pro Frau in Österreich bzw. 1,4) niedrig, die Pflege älterer Angehöriger wird zur Herausforderung.

Japan trifft der demografische Wandel besonders hart: nicht nur, weil Frauen immer weniger Kinder bekommen. Die Lebenserwartung ist besonders hoch. Das führt zur Überalterung der Gesellschaft, die Bevölkerungszahl schrumpft. Und: Der Ausländeranteil beträgt lediglich rund zwei Prozent. Zuwanderung gibt es de facto keine. Pflegekräfte aus dem Ausland, wie es sie in Österreich größtenteils gibt, sind in Japan undenkbar.

„Frauen sind dynamische Kraft“

Ministerin Karmasin stößt sich bei ihrem Besuch aber vor allem an zwei Punkten: dass 60 Prozent der berufstätigen Frauen, die ein Kind bekommen, für lange Zeit nicht mehr in ihren Job zurückkehren. Und dass der Anteil an Frauen in Spitzenpositionen und in der Politik gering ist. „Dabei sind die wenigen Frauen, die es gibt, die treibende Kraft hier im Land“, sagt sie. Männer würden das alte System hochhalten. Sie würden nicht wissen, dass es auch anders geht – oder es nicht wissen wollen. „Frauen sind die dynamische Kraft in dem Land.“

Allgemein scheint sie eher in einer Funktion als Frauenministerin (die sie nicht ist) im Inselstaat unterwegs zu sein. Was würde sie aus den japanischen Verhältnissen für Österreich lernen? „Man muss berücksichtigen, was realpolitisch machbar ist“, sagt sie. Daher sei sie gegen eine „Quote mit der Gesetzeskeule“, wie sie es nennt – und wiederholt ihre Idee einer sogenannten Flexiquote. Unternehmen sollten sich selbst zu einem Prozentsatz an weiblich besetzten Führungspositionen bekennen. Gespräche mit Firmen würden laufen. So könnte man zeigen, dass eine Erhöhung des Frauenanteils möglich sei. „Dann kann man über verpflichtende Quoten reden.“

Seit sie die Wirtschaft verlassen hat und für die ÖVP in die Regierung gewechselt ist, sei Karmasin „noch viel mehr mit klassischen Rollenbildern konfrontiert“, sagt sie. „Das zeigt sich aber implizit.“ Dass Frauen immer noch weniger zu sagen hätten, merke man daran, wie Entscheidungen getroffen werden, die Frauen ansprechen. „Oberösterreich ist dabei der Höhepunkt“, sagt sie.

Unterstützung für Griss

Ändern könne man das etwa mit mehr Frauen in der Politik – auch auf höchster Position. „Ich halte von Irmgard Griss sehr viel, eine Kandidatur zur Bundespräsidentin würde ich unterstützen“, sagt sie. Übrigens ganz abgesehen davon, wen die ÖVP im Wahlkampf aufstellen würde. Das entspricht wohl ebenfalls nicht dem Protokoll.

AUF EINEN BLICK

Sophie Karmasin (für die ÖVP in der Regierung) reiste diese Woche nach Tokio. Die Familien- und Jugendministerin wollte vor allem aus den Fehlern Japans lernen: Die Fertilitätsrate ist gering, Frauen kehren nach der Geburt ihres Kindes für längere Zeit nicht in ihren Job zurück. Die Bevölkerung altert zunehmend, gleichzeitig gibt es einen Fachkräftemangel im Pflegebereich. Zuwanderung gibt es in Japan de facto keine: Nur zwei Prozent der Bevölkerung sind Ausländer.

Compliance-Hinweis:

Die Reise fand auf Einladung des Familienministeriums statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2015)

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