Reinhold Mitterlehner unter seiner Flughöhe

Reinhold Mitterlehner
Reinhold Mitterlehner Die Presse
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Am kommenden Donnerstag feiert Reinhold Mitterlehner seinen 60. Geburtstag. Als ÖVP-Chef. Dass er es so weit bringen würde, hätte vor Jahren kaum jemand erwartet. Dass es so mühsam sein würde, er selbst auch nicht.

Er wirkt ein wenig lustlos in letzter Zeit. Angeödet von der Routine des Politikbetriebs. Diese ist für einen ÖVP-Obmann und Vizekanzler wahrscheinlich noch enervierender als für einen Wissenschaftsminister.

Auch an der Körperspannung zeige sich das: In Ausschüssen im Parlament lehne er mehr oder weniger gelangweilt in seinem Sessel und mache sich auch nicht die Mühe, sich aufzurichten, wenn er dran sei, um eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten, erzählen Abgeordnete.

Reinhold Mitterlehner hat mitunter etwas Schüsseliges. Auch Wolfgang Schüssel war schnell genervt, wenn er mit Dingen belästigt wurde, die er für belanglos hielt und die unter seiner Flughöhe waren.

Kommenden Donnerstag allerdings dürfte sich Reinhold Mitterlehner wieder über die Mühen der Ebene erheben. Dann feiert er in der Aula der Wissenschaften in der Wiener Wollzeile seinen 60. Geburtstag.

500 Gäste werden erwartet. Wissenschaftler wie Josef Penninger, Vertreter der Wirtschaft wie Wiener-Börse-Chefin Birgit Kuras. Auch prominente Sozialdemokraten sind darunter: Hannes Androsch, Christian Kern – und Bundeskanzler Werner Faymann. Bundespräsident Heinz Fischer hält sogar die Festrede.

Seit über einem Jahr ist Reinhold Mitterlehner gewählter ÖVP-Chef. Vom Schwung, vom Elan der Anfangstage ist tatsächlich wenig übrig.

Mitterlehner nimmt seinen Job sehr ernst. Zu ernst. Er halst sich Dinge auf, die er locker delegieren könnte. Offene Detailfragen im parlamentarischen Prozess oder in der Regierung – Mitterlehner nimmt das alles selbst in die Hand. Und erinnert hierbei an Wilhelm Molterer oder Michael Spindelegger, die sich so auf Dauer verbraucht haben. „Josef Pröll als ÖVP-Chef hat diesen Druck so nie verspürt“, bemerkt ein ÖVP-Grande süffisant.

Die Bünde, die Länder. Was Mitterlehner zu schaffen macht, ist das, was auch anderen ÖVP-Chefs zu schaffen machte. Und da reden wir gar nicht vom roten Koalitionspartner, sondern vom Beziehungsgeflecht der ÖVP: den drei einflussreichsten Bünden – Wirtschaftsbund, ÖAAB und Bauernbund – und den sechs schwarzen Landeshauptleuten.

Jeder eine kleine Partei für sich in der ÖVP. Eine gemeinsame Haltung in der Bildungspolitik beispielsweise – unmöglich. Der Vorarlberger Landeshauptmann schert aus, der Tiroler auch. Den Verkauf der Steuerreform machte der Wirtschaftsbund unmöglich, der so tat, als stünden Enteignungen unmittelbar bevor.

Und die dauernde Rücksichtnahme auf den Bauernbund hat sowieso etwas Anachronistisches. Versinnbildlicht nicht zuletzt in der Regierungsbildung in Oberösterreich. Mitterlehner erklärte seinen Landsleuten, dass eine Landesregierung ohne Frau ein No-Go sei. Letztlich gab es eine Landesregierung ohne Frau. Denn vor die Wahl gestellt zwischen dem Unmut des Bauernbunds oder jenem der Frauenorganisation – und des Bundesparteichefs –, zog der oberösterreichische Landeshauptmann allemal Letzteres vor.

Doch Reinhold Mitterlehner wollte es so. An der Spitze der ÖVP sein. Er nutzte das Machtvakuum nach dem Rücktritt Michael Spindeleggers und stellte sich sofort selbst nach vorn. Drei Jahre zuvor, nach Josef Prölls Abgang, war es noch aussichtslos für ihn gewesen. Überhaupt wurde ihm die ÖVP-Obmannschaft weder in die Wiege gelegt noch war dies im Laufe seiner späteren Karriere absehbar.

Hinter Leitl. Lange Zeit war Mitterlehner in der Öffentlichkeit als Generalsekretär der Wirtschaftskammer – wobei er eigentlich nur Stellvertreter war – ein Begriff. Smart und eloquent, aber doch die klare Nummer zwei hinter Christoph Leitl, dem Wirtschaftskammerpräsidenten. Mitterlehner galt zwar als Personalreserve für die ÖVP, aber ganz vorn sah ihn keiner.

Ein Mann mit liberalem Image, aber doch sozialpartnerschaftlich durch und durch. Als Debatten aufkamen, das bisherige Umlageverfahren im Pensionssystem zu überdenken, war Mitterlehner ganz auf einer Linie mit dem vormaligen ÖGB-Chef Rudolf Hundstorfer – und dagegen.

Als Reinhold Mitterlehner 2008 von Vizekanzler Josef Pröll dann als neuer Wirtschaftsminister vorgestellt wurde, galt das doch eher als Überraschung. Nun war er aus dem Schatten Christoph Leitls hervorgetreten.

In der Regierung traf er dann wieder auf Rudolf Hundstorfer. Dieser war zeitgleich Sozialminister geworden. Die Achse sollte sich die kommenden Jahre bewähren. Wie Mitterlehner überhaupt – im Gegensatz zu anderen in seiner Partei – kein „Sozi-Fresser“ ist. Gerade mit Heinz Fischer, einem der letzten politischen Überlebenden aus einer Zeit, als die SPÖ noch Sozialistische Partei Österreichs hieß, verstand er sich auf den zahlreichen Auslandsreisen, auf denen der Wirtschaftsminister den Bundespräsidenten begleiten durfte, stets prächtig.

Nur jetzt, als Obmann der ÖVP, ist er auch von den Genossen zusehends genervt. Denn wenn einmal seine eigenen Parteifreunde in Bünden und Ländern nicht blockieren, der Koalitionspartner tut es verlässlich. Von den Pensionen bis zu den Flüchtlingen. Der stoische, auf Machterhalt spezialisierte Werner Faymann scheint gerade einen weiteren ÖVP-Obmann auszusitzen.

Neben Faymann. Während Faymann zusehends an Routine gewinnt, nicht zuletzt bei öffentlichen Auftritten, ist es diese Routine, die Mitterlehner hemmt. Er ist grundsätzlich ein lockerer, spielerischer Typ, Faymann mehr auf den Endzweck hin orientiert.

Der Kanzler legt sich mittlerweile einige Botschaften zurecht und bringt diese dann auch im Fernsehen souverän rüber. Der Vizekanzler ist anspruchsvoller, reißt unzählige Themen an und verzettelt sich dabei.

Und Wahlerfolge hat Reinhold Mitterlehner – abgesehen von seinen 99 Prozent auf dem ÖVP-Parteitag vor einem Jahr – auch noch keine vorzuweisen. Immerhin gibt es am Donnerstag dann einmal etwas zu feiern – seinen 60. Geburtstag.

Steckbrief

Reinhold Mitterlehner, geboren am 10. Dezember 1955 in Helfenberg (Oberösterreich). Jurist. Abteilungsleiter für Marketing in der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Von 1992 bis 2000 Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes. Von 2000 bis 2008 Generalsekretär-Stellvertreter der Wirtschaftskammer Österreich. Nationalratsabgeordneter. Seit 2008 Wirtschaftsminister. Ab 2013 auch noch Wissenschaftsminister. Seit 2014 ÖVP-Obmann und Vizekanzler. Mitterlehner ist verheiratet und hat drei Töchter.

Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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