Irmgard Griss: "Spaltung in Gute und Böse stört mich sehr"

Die Presse (Clemens Fabry
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Irmgard Griss ist fest entschlossen zur Bundespräsidentenwahl anzutreten. Sie spricht über politische Vorbilder, Schwarz-Blau und das Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden.

"Die Presse": Wie würden Sie das Bundespräsidentenamt denn anlegen? Eher volksnah und als Türöffner für die heimische Wirtschaft im Ausland wie Heinz Fischer? Oder mit der „Macht braucht Kontrolle“-Attitüde eines Thomas Klestil?

Irmgard Griss: Ich sehe den Bundespräsidenten als Kompass, der das Staatsschiff auf Kurs hält und korrigierend eingreift, wenn es davon abgekommen ist.

Hat der Amtsinhaber das in ausreichendem Maß getan?

Jeder hat seinen eigenen Stil.

Braucht Macht Kontrolle?

Ja, natürlich, Macht braucht Kontrolle. Als Bundespräsidentin würde ich darauf hinwirken, dass Probleme nicht einfach weggeschoben werden. Ich würde auf Probleme hinweisen und sachliche Diskussionen einfordern. Aber der Bundespräsident kann nicht unmittelbar in die Politik eingreifen. Das Parlament ist die wichtigste Kontrollinstanz. Über die Untersuchungsausschüsse übt es eine ganz wesentliche Kontrolle aus.

Mit dem Hypo-U-Ausschuss sind Sie aber nicht ganz so glücklich. Den sähen sie lieber wieder eingestellt.

Das stimmt so nicht. Ich bin nicht dafür, den Untersuchungsausschuss vorzeitig zu beenden, ich bin aber dafür, die Untersuchung so effizient wie möglich zu gestalten. Der Untersuchungsausschuss soll sich darauf konzentrieren herauszufinden, wer für die ohnedies bekannten Vorgänge politisch verantwortlich ist.

Hätten Sie Schwarz-Blau seinerzeit ohne finstere Miene angelobt?

Das kann ich nicht sagen. Ich hätte aber sicher alles versucht, damit Österreich eine funktionsfähige Regierung bekommt.

Und, war Schwarz-Blau das, was Sie unter einer funktionsfähigen Regierung verstehen?

Schwarz-Blau hat heikle Themen aufgegriffen: die Pensionsreform, die Zwangsarbeiterentschädigung, den Nationalfonds. Das war notwendig. Dass einzelne Regierungsmitglieder ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren, ist eine andere Geschichte.

Und die aktuelle Regierung? Gab es Momente, in denen Sie als Bundespräsidentin eingegriffen hätten?

Ich glaube schon, dass es Themen gab, die man stärker hätte ansprechen müssen. Zum Beispiel die Hypo. Es war absehbar, dass sie der Republik teuer zu stehen kommt. Was gefehlt hat, war eine Strategie der öffentlichen Hand. Ähnlich war es bei den Flüchtlingen. Auch da war absehbar, was auf Österreich zukommt. Und auch da gab es offenbar keinen Plan.

Sollte es bei den Flüchtlingen eine Obergrenze geben?

Bei Menschen, die im Sinne der Genfer Konvention verfolgt werden, kann es keine Obergrenze geben. Denn Asyl ist ein Menschenrecht. Österreich ist verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen. Anders ist es bei jenen, die – verständlicherweise – auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Da sollten wir uns an den großen Einwanderungsstaaten – Kanada, den USA – orientieren und uns fragen, welche Qualifikationen wir brauchen und wie viele Menschen sinnvoll integriert werden können.

Da wir schon bei der Integration sind: Sind Sie für ein Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden – in Schulen oder auch im Gericht?

Nein. Es ist natürlich schon ein Gewöhnungsprozess für uns, die wir hier leben. Aber man sollte die Integration nicht am Kopftuch festmachen. Man kann daraus ja noch nicht schließen, dass jemand unsere Werte ablehnt.

Was sind denn „unsere Werte“?

Wichtig sind die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Kurz gesagt, der Respekt für die Würde des Menschen.

Sind Sie religiös?

Ich bin katholisch.

Praktizierend?

Also ich gehe schon in die Kirche. Es gibt in Graz eine kleine Gemeinde, die mir wichtig ist. Und da sind es die Begegnungen mit Menschen, das Innehalten im Alltag, die für mich den Sonntag zum Sonntag machen.

Sie müssten nach Wien übersiedeln, wenn Sie Bundespräsidentin würden.

Ich habe immer in Wien gearbeitet und lebe seit 1986 wieder in Graz. Ich habe eine Wohnung in Wien und pendle schon seit fast 30 Jahren.

Glauben Sie, dass Österreich reif für eine Frau an der Staatsspitze ist?

Österreich war nie nicht reif für eine Frau. Ich glaube nicht, dass Benita Ferrero-Waldner die Wahl 2004 deswegen verloren hat, weil sie eine Frau ist. Heinz Fischer hat eben mehr Zustimmung bekommen.

Was würden Sie in der Hofburg anders machen als ein Mann, als – sagen wir – Rudolf Hundstorfer, Erwin Pröll oder Alexander Van der Bellen?

Das Zugehen auf andere, das Bemühen, sich in andere hineinzuversetzen, ein Problem auch mit den Augen der anderen zu sehen – das ist etwas, das ich als Richterin immer gelebt habe. Das würde ich einbringen.

Sie wären empathischer als ein Mann in diesem Amt?

Ich kann nicht beurteilen, wie empathisch meine Mitbewerber sind. Aber ein wesentlicher Unterschied besteht jedenfalls: Ich bin parteilos.

Wie würde sich das in der politischen Praxis auswirken?

Wenn es um die Besetzung hoher Ämter geht, hat der Bundespräsident ein Wort mitzureden. Eine Bundespräsidentin, die keiner Partei verpflichtet ist, kann sich viel eher dafür einsetzen, dass nur wirklich Qualifizierte in ein Amt berufen werden.

Sie würden einen Minister ablehnen?

Ich würde mir zumindest alle genau ansehen.

Sie galten stets als eher ÖVP-nahe, Ihr Vater war ÖVP-Gemeinderat. Sind Sie enttäuscht von der ÖVP, dass diese Sie nun so gar nicht unterstützen will?

Enttäuscht könnte ich ja nur sein, wenn ich etwas anderes erhofft hätte. Solche Hoffnungen hatte ich nie. Ich hatte auch nie die Absicht, mich um die Unterstützung einer Partei zu bewerben. Es ist das gute Recht der ÖVP zu sagen, wir haben Kandidaten in den eigenen Reihen.

Familienministerin Sophie Karmasin, die Sympathien für Ihre Kandidatur hat erkennen lassen, musste dann bald wieder zurückrudern.

Ich habe mich sehr gefreut, wie ich in der „Presse“ gelesen habe, was die Frau Karmasin gesagt hat. Aber ich habe sofort zu meinem Mann gesagt: Es wird nicht lange dauern, und es gibt eine Relativierung.

Hat sich Ihr Mann schon emotional auf die Rolle des First Husband eingestellt?

Das weiß ich nicht. Aber mein Mann unterstützt mich jedenfalls.

Sie hatten eine erfolgreiche Karriere, haben viel erreicht. Wieso tun Sie sich das jetzt eigentlich an?

Das ist eine gute Frage. Es ist auch eine, die ich mir selber immer wieder stelle. Ich habe es anfangs weggeschoben, doch dann habe ich mir gedacht, meine Kandidatur könnte ein Anstoß für eine neue Politik sein, die von Ehrlichkeit, Mut und Verantwortung bestimmt ist, um die Politikverdrossenheit, die Spaltung der Gesellschaft in Gute und Böse zu überwinden. Letzteres stört mich sehr – denn es ist nicht alles nur Schwarz-weiß. Und es gibt enorme Probleme: die aktuelle Flüchtlingskrise, die noch nicht ausgestandene Finanzkrise, das zu geringe Wirtschaftswachstum, der Klimawandel, Big Data, die Herausforderung durch den Terror, der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit . . .

Würden Sie ein Stück Freiheit aufgeben – für ein Stück mehr Sicherheit?

Man muss da einen vernünftigen Ausgleich finden. Rechtsstaatliche Grundsätze dürfen jedenfalls nicht aufgegeben werden.

Waren Sie für die Vorratsdatenspeicherung oder dagegen?

Der Verfassungsgerichtshof hat die alte Regelung als verfassungswidrig aufgehoben. Bei jeder Regelung muss ein angemessener Ausgleich zwischen Sicherheitsinteressen und Datenschutz gefunden werden. Wenn die Vorratsdatenspeicherung auf eine Zeit begrenzt ist, mit richterlicher Bewilligung, dann ist das akzeptabel.

Haben Sie politische Vorbilder?

Ich habe kein bestimmtes Vorbild. Von Weizsäcker war beeindruckend. Oder Gauck. Oder Obama – rhetorisch großartig.

Und in Österreich?

Mich beeindruckt, wie unser Bundespräsident auf Menschen zugeht und ihr Vertrauen gewinnt. Mich beeindrucken auch Politiker, die Probleme angehen. Ich habe das ja jetzt im Finanzministerium verfolgt.

Das Thema Hypo und Hans Jörg Schelling also.

Genau. Er traut sich Wahrheiten auszusprechen und schiebt das Thema nicht weg.

Bruno Kreisky?

Absolut, natürlich. Das war eine Aufbruchsstimmung. Mich hat das als Hochschulassistentin auch ganz konkret betroffen. Denn das Anfangsgehalt im öffentlichen Dienst wurde erhöht. Es hat damals eine Modernisierung begonnen. Kreisky hat schon das Gefühl hervorgerufen: Es geht was weiter! Österreich hat in der Welt auch ein anderes Gewicht bekommen.

Und Wolfgang Schüssel?

Natürlich auch. Es beeindruckt mich immer, wenn jemand sich einem Problem stellt, eine Lösung versucht.

Wie wollen Sie Ihre Kampagne finanzieren?

Wir werben um Spenden. Wer meine Kandidatur für eine gute Sache hält, ist eingeladen, einen Beitrag zu leisten.

Hätten Sie ein Problem damit, sich von der FPÖ unterstützen zu lassen?

Ich nehme von keiner Partei Geld, ich lasse keine Partei meine Wahlkampagne organisieren. Wenn aber eine Partei sagt, ich sei eine gute Wahl, dann widerspreche ich nicht.

Steckbrief

Irmgard Griss wuchs in der Steiermark auf und wurde nach dem Jusstudium in Graz und Harvard Handelsrichterin in Wien. 2007 stieg sie zur Präsidentin des Obersten Gerichtshofes (OGH) auf und behielt diese Funktion bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2011.

Die 69-Jährige leitete eine (vom damaligen Finanzminister Michael Spindelegger eingesetzte) Kommission zur Aufarbeitung des Hypo-Skandals. Nächstes Jahr will sie als unabhängige Kandidatin für das Bundespräsidentenamt kandidieren. Die FPÖ und die Neos überlegen, Griss zu unterstützen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

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