Die Zahl der Kinder pro Frau steigt und ist so hoch wie vor 20 Jahren. Zuwanderer sind wider Erwarten nur zum Teil dafür verantwortlich.
Wien. Österreichs Bevölkerung wächst. Verantwortlich dafür sind vor allem Zuwanderer. Frauen bekommen hierzulande immer weniger Kinder. Eine dieser drei behaupteten Tatsachen ist falsch. Welche?
Angesichts der düsteren demografischen Aussichten, mit denen sich künftige Bezieher von Pensionsleistungen auseinandersetzen müssen, befindet sich Österreich derzeit mitten in einer erfreulichen Entwicklung: Die Zahl der lebendgeborenen Kinder pro Frau ist wieder so hoch wie zuletzt vor 20 Jahren. Im aktuellsten verfügbaren Jahr 2014 vermerkte die Statistik Austria für die sogenannte Fertilitätsrate einen Wert von 1,46.
Pessimisten würden nun meinen, dass der Grund für die steigende Selbstreproduktionskraft einmal mehr auf ausländische Staatsbürger und Zuwanderer zurückzuführen ist. Doch das ist – stark vereinfacht gesprochen – falsch. Es ist zwar richtig, dass Frauen ohne österreichische Staatsbürgerschaft mit 1,91 noch immer deutlich mehr Kinder bekommen als Österreicherinnen (1,37). Allerdings zeigt die Fertilität unter Fremden hierzulande seit Jahrzehnten eine fallende Tendenz (mit einem statistisch nicht signifikanten Zwischenanstieg von 0,5Prozent 2014). Unter Einheimischen und Eingebürgerten steigt die Fruchtbarkeit seit der Jahrtausendwende (Tiefpunkt 2001: 1,24) wieder. Warum das so ist, können sich die Statistiker bisher nicht plausibel erklären. Dennoch erlauben die Rohdaten bemerkenswerte Einblicke.
Zum Beispiel: Während die Gesamtbevölkerung vor allem deshalb wächst, weil Wien wächst, lässt sich das für die Geburten nicht sagen. Nur im Burgenland (1,33) und in der Steiermark (1,36) bekommen Frauen (Inländerinnen und Migrantinnen) noch weniger Kinder als in Wien (1,41). Und das, obwohl die Hauptstadt mit 25 Prozent Migrantenanteil zumindest statistisch über gute Voraussetzungen verfügt. Dämpft möglicherweise der urbane Lebensraum die Fortpflanzung? In Vorarlberg und Oberösterreich zum Beispiel ist der Migrantenanteil (15 bzw. zehn Prozent) erheblich geringer. Dennoch gibt es hier die höchste Fertilitätsrate (je 1,61). Es folgen Salzburg (1,55), Niederösterreich (1,51).
Krise traf Migranten härter
Auffällig ist ebenso, dass sich die wirtschaftliche Großwetterlage auf Migrantinnen deutlich negativ auswirkte, auf Österreicherinnen nicht. So sieht man bei der Fertilität von nicht in Österreich geborenen Frauen seit der Pleite der Lehman-Bank – dem Beginn der Wirtschaftskrise – einen Einbruch von über fünf Prozent. Bei den Österreicherinnen hingegen stieg sie im gleichen Ausmaß.
Übrigens: Die Zahl der Einbürgerungen kann kaum für die Entwicklung verantwortlich sein. Der jährliche Wert ging seit der Jahrtausendwende von über 40.000 pro Jahr auf eine Größenordnung zurück, die zuletzt zwischen 6000 und 7000 Personen lag.
Demografisch „stabil“ ist Österreich mit der aktuellen Fertilitätsrate aber noch lang nicht. Hierfür wäre ein Wert von zwei nötig.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)