„Richtwert“ sorgt für Richtungsstreit in der SPÖ

PK ZUM FL�CHTLINGSGIPFEL: FAYMANN
PK ZUM FL�CHTLINGSGIPFEL: FAYMANN(c) APA/GEORG HOCHMUTH
  • Drucken

Aufruhr in Wiens SPÖ, Aufatmen in der Gewerkschaft nach Faymanns Schwenk zu einer Flüchtlings-Obergrenze.

Wien. Das böse O-Wort nahm Werner Faymann am Mittwoch, nach dem Asylgipfel im Kanzleramt, lieber nicht in den Mund. Maximal 37.500 Flüchtlinge will Österreich heuer aufnehmen, bis 2019 sollen es insgesamt nicht mehr als 127.500 sein. Das sei der Richtwert, auf den man sich geeinigt habe, sagte der Kanzler.

Dieser Richtwert beschert seiner Partei nun eine Richtungsdebatte, wenn nicht schon einen Richtungsstreit. Denn der linke SPÖ-Flügel ließ sich von dieser neuen Sprachregelung nicht in die Irre führen und organisierte über die sozialen Medien einen Protest unter dem Titel „Haltung kennt keine Obergrenze“. An der Spitze dieses Widerstandes gegen die Parteiführung formierten sich vor allem Spitzenvertreter der Wiener SPÖ. „Scheinlösungen wie eine Obergrenze lehne ich ab“, sagte Gesundheits- und Sozialstadträtin Sonja Wehsely zur „Presse“. „Die Richtung der SPÖ muss an einer ernsthaften Problemlösung orientiert sein, mit klaren Verbesserungen für die Bevölkerung und die Flüchtlinge.“ Als Beispiel nannte Wehsely die Wiener Gemeinderatswahl im Oktober: Die SPÖ habe deshalb das Vertrauen vieler Wähler bekommen, „weil es in der Flüchtlingsfrage um Haltung, Anstand und Solidarität geht“.

Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger schloss sich an. „Menschenrechte“, schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite, „kennen keine Obergrenze.“ Wer vor Krieg und Hunger flüchte, habe ein Recht auf Asyl. Außerdem wüsste niemand, wie eine solche Obergrenze praktisch umgesetzt werden könne.

Wiener SPÖ (auch) gegen Häupl

Das ist insofern interessant, als der unmittelbare Vorgesetzte von Wehsely und Frauenberger, nämlich Michael Häupl, diese Richtwert genannte Obergrenze am Mittwoch mitbeschlossen hat. Schon im Vorfeld hatte der Wiener Bürgermeister gemeint: „Dass wir weniger Flüchtlinge wollen ist weder neu noch originell. Am liebsten wäre mir gar kein Flüchtling – und dass es keine Kriege gibt.“

In den eigenen Reihen wird sich Häupl also auf scharfe Kritik gefasst machen müssen, auch wenn sich der Zorn der Wiener SPÖ offiziell gegen Faymann richtet. „Es ist zum Kotzen, wie sich die Bundesregierung an idiotischen Aussagen zur Obergrenze begeilt“, schrieb SPÖ-Gemeinderat Thomas Reindl auf Twitter. Seine Kollegin Muna Duzdar fragte, was „der Sozialdemokrat und Flüchtling Bruno Kreisky“ zu einer Obergrenze sagte, wenn er noch am Leben wäre. Und gab die Antwort gleich selbst: „Er würde sich bestimmt schämen, für so wenig Empathie und so viel Mitläufertum.“

Ähnlich sehen das die Sozialistische Jugend (SJ) und der Verband Sozialistischer Studenten (VSStÖ). „Egal, ob ,Obergrenze‘ oder ,Richtwert‘ – das ist nicht nur menschenrechtlich gesehen unwürdig, sondern auch ein Schlag gegen das per Verfassung garantierte Recht auf Asyl“, richtete SJ-Vorsitzende Julia Herr der Parteispitze aus. Am Abend davor hatte sie nicht ohne Zynismus gefragt, ob die „Umfaller-Obergrenze“ in der SPÖ denn noch nicht erreicht sei.

Während es in Wien Widerstand gab, machte sich nicht nur in der von Hans Niessl geführten burgenländischen SPÖ und bei den Gewerkschaftern Erleichterung über die Begrenzung der Flüchtlingszahl breit. Auch Kärntens Landeshauptmann, Peter Kaiser, freute sich über das gemeinsame Vorgehen „zur Entlastung Österreichs“.

Innerhalb der Gewerkschaft wird das Signal mit Blick auf den Arbeitsmarkt begrüßt. „Es führt zu einem Aufatmen“, räumte der Chef der Gewerkschaft Bau-Holz und SPÖ-Nationalratsabgeordnete, Josef Muchitsch, im Gespräch mit der „Presse“ ein. „Fakt ist, wir brauchen ein funktionierendes System, was den Zutritt zu Österreich und zum Arbeitsmarkt betrifft.“ Freilich ist er noch skeptisch bezüglich der Begrenzung: „Wie das in der Praxis umgesetzt werden soll, ist für mich noch eine große Ungewissheit.“

Muchitsch und auch Willi Mernyi, Bundessekretär der SPÖ-Gewerkschafter (FSG), schieben die Schuld in der Flüchtlingsfrage jedoch der „nicht funktionierenden EU“ und dem Widerstand einiger EU-Mitglieder zu. „Wir sind ziemlich satt, dass wir wegen mangelnder Solidarität anderer EU-Staaten zu so einer Lösung gezwungen sind“, so Mernyi. Man müsse jetzt ernsthaft über jene Länder reden, die nur das Geld der EU nehmen: „Solidarität ist keine Einbahnstraße.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.