Flüchtlingskrise: Österreicher sehen EU gefährdet

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Die Bevölkerung wünscht sich eine gemeinsame europäische Lösung – ist aber zunehmend verunsichert.

Wien. Welche Existenzberechtigung hat die Europäische Union noch, wenn sie Probleme wie die aktuelle Flüchtlingskrise nicht lösen kann? Diese Frage stellen sich derzeit viele Österreicher und Österreicherinnen. Sie orten mangelnde Solidarität und fehlenden politischen Willen in der Staatengemeinschaft. Eine deutliche Mehrheit von 78 Prozent sieht laut einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) deshalb auch die Zukunft der EU „eher“ oder sogar „sehr gefährdet“.

Der Wunsch nach einer europäischen Antwort auf den Flüchtlingsstrom ist in der Bevölkerung stark verankert. Fast jeder zweite Befragte (49%) wünschte sich in der im Jänner durchgeführten Umfrage eine gemeinsame Lösung der EU-Mitgliedstaaten. Nur 36Prozent hielten hingegen nationale Maßnahmen wie zuletzt die Verstärkung der Grenzkontrollen oder die verschärften Zugangsbeschränkungen für Asylwerber für den besseren Weg.

„Die meisten Menschen erkennen, dass die nationalen Maßnahmen in der Flüchtlingskrise nur eine Notlösung sind“, sagt Paul Schmidt, Generalsekretär der ÖGfE, die regelmäßig die EU-Stimmung im Land untersucht. Für Schmidt ist die Verunsicherung in der Bevölkerung leicht zu erklären. Denn gemeinsame europäische Beschlüsse würden bisher nicht umgesetzt. Tatsächlich verlief etwa die angekündigte Aufteilung von 160.000 Asylwerbern aus Griechenland und Italien oder die Einrichtung von Hotspots zur systematischen Registrierung aller Ankommenden im Sand.

„Die Verunsicherung wird noch größer, wenn auch die nationale Regierung nicht geschlossen eine Strategie auf europäischer Ebene verfolgt“, warnt Schmidt. Derzeit fließe viel zu viel Energie in die innerösterreichische Debatte. Der ÖGfE-Generalsekretär wünscht sich mehr geschlossenes Auftreten der Bundesregierung auf europäischer Ebene. Das würde auch dem Wunsch der Bevölkerung entsprechen. „Geschieht das nicht, werden Angst und Verunsicherung noch steigen.“

21 Prozent für Austritt

Die Verunsicherung der Österreicher spiegelt sich auch im Meinungsbild zur Europäischen Union wider. Der Anteil jener, die für einen Verbleib in der EU eintreten, ist auf 61 Prozent gesunken (siehe Grafik). Vor allem aber ist die Zahl jener, die nicht mehr bewerten können oder wollen, ob die Mitgliedschaft einen Vorteil bringt, deutlich – auf mittlerweile 19 Prozent – gestiegen. So groß war dieser Wert seit dem Beitritt 1995 noch nie. 21 Prozent – und damit jeder fünfte Befragte – sind für den Austritt aus der EU. Besonders EU-skeptisch sind nach wie vor ältere Bürger. Bei den 51- bis 65-Jährigen ist jeder Dritte für ein Ende der Mitgliedschaft. Bei den unter 25-Jährigen sind es im Vergleich nur elf Prozent.

(c) Die Presse

Die Gesellschaft für Europapolitik fragte auch ab, ob sich die Österreicher vorstellen könnten, dass sich ihr Land an einem „Kerneuropa“ beteiligt. Sowohl in der Euro- als auch in der Flüchtlingskrise gab es unter anderem aus Deutschland Vorstöße für die Teilung der EU in eine Gruppe von Ländern mit starkem Integrationswillen und in eine Gruppe, die eher lose am Binnenmarkt partizipieren möchte. Die Österreicher würden laut der ÖGfE-Umfrage mehrheitlich lieber an einem Kerneuropa beteiligt sein. Auf die Frage „Angenommen, eine Gruppe von EU-Staaten beschließt, sich politisch enger zusammenzuschließen – sollte sich Österreich an diesem Kerneuropa beteiligen?“ antworteten 44 Prozent mit Ja und nur 32 Prozent mit Nein (Rest: weiß nicht oder keine Angabe). Insgesamt wurden 509 Personen befragt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)

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