Mindestsicherung zum Bund? „Ich bin gesprächsbereit“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Kosten für die Mindestsicherung werden steigen, sagt Sonja Wehsely (SPÖ).

Die Presse: Werner Faymann hat sich am Dienstag für mehr Kontrollen und Sachleistungen bei der Mindestsicherung ausgesprochen. Es läuft also doch nicht alles so gut, wie die SPÖ gern behauptet.

Sonja Wehsely: Das sehe ich so gar nicht. Das ist ja schon die lange Kritik von Ex-Sozialminister Hundstorfer, dass das einzige Bundesland, wo die enge Verzahnung zwischen Arbeitsmarkt und Sozialbehörde funktioniert, Wien ist. Wir haben im letzten Jahr über 8000-mal 25- bis 100-prozentige Kürzungen gehabt. Und natürlich soll das in anderen Bundesländern auch so sein. An stärkeren Kontrollen ist in keinem Bereich etwas auszusetzen.

Trotzdem hat Wien die meisten Mindestsicherungsbezieher.

Rund zwei Drittel aller Mindestsicherungsbezieher in Wien stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil sie etwa Kinder sind, Pensionisten oder Menschen mit Behinderung. Mietbeihilfe wird etwa unter dem Titel Mindestsicherung ausbezahlt. Nicht einmal neun Prozent aller Bezieher in Wien bekommen die Mindestsicherung in voller Höhe ausbezahlt. Alle anderen haben so wenig Einkommen oder Arbeitslosenhilfe, dass der Betrag ergänzt werden muss. Im Schnitt erhalten diese Menschen 400 Euro im Monat. In Salzburg gibt es übrigens 43 Prozent Vollbezieher.

Wie erklärt man trotzdem einem Bürger, dass er weniger verdient als eine Alleinerzieherin mit mehreren Kindern, die Mindestsicherung bezieht?

Was in den meisten Berechnungen vergessen wird, ist, dass die Mindestsicherung zwölf Mal ausgezahlt wird, ein Gehalt aber 14 Mal. Und auch Leute, die erwerbstätig sind, bekommen Sozialleistungen wie Familienbeihilfe. Wenn wir noch immer Kollektivverträge haben, wo man bei 40 Stunden Arbeit knapp über 1000 Euro verdient, muss man sich überlegen, ob das richtig ist.

Der ÖVP schlägt eine Deckelung bei 1500 Euro im Monat vor.

Das wird vor allem Alleinerzieherinnen oder Familien mit mindestens zwei Kindern treffen.

Ja, aber wie viel könnte man dennoch einsparen?

Wir haben 3,1 Prozent an Frauen in Wien, die zwei oder mehr Kinder haben und mehr als 1500 Euro bekommen. Eine Deckelung würde rund 10.000 Personen pro Monat treffen. Wie hoch der Einsparungsbetrag ist, müsste man erst berechnen. Darum geht es aber nicht, ich will nicht in einer Stadt leben, wo Menschen kein Auskommen mit ihrem Einkommen haben – und das sichtbar. Das sind dann die Staaten, wo sich die, die mehr haben, Wächter leisten müssen. Die Mindestsicherung ist das unterste soziale Netz für Österreicher und anerkannte Flüchtlinge. Einen Sozialabbau lehne ich ab.

Wie will man sonst einsparen?

Die Kosten für die Mindestsicherung werden weiter steigen. Und das liegt am Arbeitsmarkt. Zwei Drittel der Mindestsicherungsbezieher, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, haben maximal einen Pflichtschulabschluss. Auf einen Job für Ungelernte kommen in Wien über 30 Bewerber.

Aber die Zahl steigt auch durch Flüchtlinge. Sie haben meist erst Zugang zu Deutschkursen, wenn ihr Verfahren positiv ist. Dann lernt einer Deutsch, während er von der Mindestsicherung lebt.

Deswegen geht es darum, dass es für Flüchtlinge, die eine positive Prognose haben, wie Syrer, Deutsch und Integrationsmaßnahmen ab dem ersten Tag gibt. Gern auch verpflichtend. Aber dafür braucht es Angebote. Auch Qualifikationschecks gehören dazu. Wenn man das ab Tag eins macht, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer, dass jemand in die Mindestsicherung fällt, sobald er Asyl bekommt.

Wien hat seine Sprachkurse ja schon für Asylwerber geöffnet.

Ja, aber noch nicht flächendeckend. Nur mit Wiener Mitteln werden wir das auch nicht schaffen.

Um wie viel Prozent wird die Zahl der Flüchtlinge, die Mindestsicherung beziehen, im kommenden Jahr ansteigen?

Das kann man nicht sagen, weil es keine Information vom Innenministerium gibt, wann Verfahren beendet werden. Wir haben immer wieder Monate, in denen ganz viel anerkannt wird, und Monate, in denen keine beendet werden. Über 20 Prozent der Asylverfahren dauern übrigens länger als dreieinhalb Jahre.

Es gibt die Idee, die Mindestsicherung in die Verantwortung des Bunds zu geben.

Ich bin hier sehr gesprächsbereit. Auch wenn das natürlich heißt, dass Ländermittel zum Bund wandern werden.

AUF EINEN BLICK

Sonja Wehsely ist seit 2007 amtsführende Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Wien. Ihr untersteht damit auch der Fonds Soziales Wien, dessen Chef, Peter Hacker, Flüchtlingskoordinator der Bundeshauptstadt ist. Wien hat die höchste Zahl an Mindestsicherungsbeziehern Österreichs, allerdings bezieht der Großteil nicht den vollen Betrag. Kürzungen bei der Mindestsicherung hat sie wiederholt abgelehnt. Wehsely ist die Partnerin von SPÖ-Klubchef Andreas Schieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2016)

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