Wo sind die 92.400 Illegalen Menschen im Land?

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Im vergangenen Jahr wurden rund 92.400 Menschen ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufgegriffen. Was passiert mit ihnen, und wie viele der Personen sind tatsächlich noch hier?

Wien. Die Zahl klingt im ersten Moment sehr hoch. 92.354 Personen, die sich illegal in Österreich aufhielten, wurden 2015 aufgegriffen. Das ergab eine parlamentarische Anfrage, die das Team Stronach an das Innenministerium stellte. Im Vergleich zum Jahr 2014 ist das eine Steigerung um 270 Prozent, also fast das Dreifache. Gemessen an den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl sogar vervierfacht. „Angesichts der Tatsache, dass die Dunkelziffer erfahrungsgemäß um ein Vielfaches höher ist, muss davon ausgegangen werden, dass hunderttausende Menschen illegal in Österreich sind“, sagt Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar.

Doch so einfach ist die Interpretation der Zahlen nicht. „Das Bild, dass sich da jetzt 92.400 illegale Menschen im Land aufhalten, ist falsch“, so Ministeriumssprecher Karlheinz Grundböck zur „Presse“. In die Statistik fallen alle Menschen, die im Vorjahr ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel (zum Teil auch mehrfach) aufgegriffen wurden. Doch die Zahl gibt keine Auskunft darüber, was danach passiert.

So werden laut Grundböck in die Zahl auch Flüchtlinge eingerechnet, die von der Polizei aufgegriffen wurden und danach in Österreich um Asyl angesucht haben. Der Anteil dürfte nicht unwesentlich sein: Vor der „Grenzöffnung“ im Spätsommer 2015 kamen Flüchtlinge noch vorwiegend mit Schleppern nach Österreich. Nach dem Fall, in dem 71 Flüchtlinge in einem Lkw erstickten, wurde die Zahl der Kontrollen erhöht. Auch dadurch hätten sich die Zahlen erhöht, so der Innenministeriumssprecher. „Wir hatten eine Verdreifachung der Asylantragszahlen 2015, da ist es nicht überraschend, dass die Zahl der Aufgriffe gestiegen ist.“ Wie viele der 92.400 aber danach um Asyl angesucht haben, kann das Innenministerium nicht sagen, weil es statistisch nicht erfasst wird.

Fakt ist auch, dass das Innenministerium keine Ahnung hat, wie viele der aufgegriffenen Personen sich tatsächlich noch im Land befinden, wie es auch sinngemäß in der parlamentarischen Anfrage heißt. Wenn die aufgegriffenen Personen nicht um Asyl angesucht haben, wird überprüft, ob sie in ein anderes Land zurückgewiesen werden können, oder sie werden aufgefordert, das Land freiwillig zu verlassen. Kontrollen, ob diese Ausreise tatsächlich passiert, sind höchst selten. So wie es überhaupt keine lückenlose Erfassung der Menschen, die sich 2015 im Land aufhielten, gab. Im Vorjahr durchquerten ab September jeden Tag im Schnitt zwischen 4000 und 8000 Flüchtlinge das Land, der Großteil auf dem Weg nach Deutschland. Einreisekontrollen wurden (wie in anderen Ländern auch) nur stichprobenartig durchgeführt. Ausreisekontrollen gab und gibt es nicht. Selbst die Menschen, die in Österreich um Asyl angesucht haben, lassen sich nicht lückenlos erfassen. Rund 20 Prozent aller Asylwerber (im Jahr 2015 waren es 90.000) verschwinden einfach während des Verfahrens, heißt es aus dem Innenministerium („Die Presse“ berichtete). Die Menschen versuchen in anderen Ländern ihr Glück oder gehen in ihre Heimat zurück, genau weiß man es freilich nicht.

8600 Flüchtlinge abgewiesen

Auch die Situation an der Grenze zu Deutschland verursachte in den vergangenen Wochen das Abtauchen von Menschen. So wurde seit Dezember 2015 rund 8600 Flüchtlingen die Einreise von Österreich nach Deutschland verweigert, etwa weil sie nicht in Deutschland um Asyl ansuchen wollten. Waren es im Jänner in Salzburg und Tirol noch viele Marokkaner, ging deren Zahl im Februar deutlich zurück. Dafür wurden zahlreiche Afghanen abgewiesen.

Zurück in Österreich konnten die Flüchtlinge entweder hierzulande um Asyl ansuchen (was ein Teil tat) oder es in Deutschland noch einmal probieren. Ansonsten wurde kontrolliert, ob sie in andere Länder wie Italien und Slowenien zurückgebracht werden konnten, oder sie wurden aufgefordert, das Land freiwillig zu verlassen. Auch hier gilt: „Ob diese Leute tatsächlich das Land verlassen, wird nicht überwacht. Das wäre ein zu hoher Aufwand“, sagt Astrid Mair von der Polizei in Tirol. In Oberösterreich ist jedenfalls bekannt, dass viele Betroffene versuchten, mit dem grenzüberschreitenden Zug nach Deutschland zu kommen.

Andere werden obdachlos, wie der Fall der rund 40 Marokkaner am Hauptbahnhof in Linz zu Beginn des Monats gezeigt hat, die dort für Ärger gesorgt haben. Ein Teil der Gruppe hätte mittlerweile das Land verlassen, heißt es seitens der Volkshilfe, die einen Teil der Betroffenen schließlich untergebracht hat. In Salzburg hätten als U-Boote lebende Flüchtlinge für einen Anstieg bei Eigentums- und Suchtmittelkriminalität im Jahr 2015 gesorgt, heißt es von der Salzburger Polizei. Beim Roten Kreuz in Oberösterreich geht man davon aus, dass ein Großteil der Abgewiesenen schlussendlich das Land verlässt. „Entweder sie reisen in ein anderes europäisches Land, versuchen über einen anderen Weg weiter nach Norden zu kommen, oder kehren nach Hause zurück. “

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2016)

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