Österreich und Deutschland: Lieblingsgegner seit 1866

Treffen Merkel Faymann
Treffen Merkel Faymann(c) Bundesregierung / Action Press / Picturedesk.com
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Das Verhältnis zwischen Wien und Berlin ist getrübt. Wieder einmal. Die Geschichte einer ambivalenten Beziehung.

"Das war wieder der verdammte Piefke in Berlin!“ Der Satz eines österreichischen Diplomaten, den der britische Geheimdienst im Jahr 1937 aufschnappte, soll London gehörige Rätsel aufgegeben haben. Man schlug im Berliner Telefonbuch nach, doch fand man dort einfach zu viele Leute, die „Piefke“ hießen.

Deutschland und Österreich, das war im Laufe der Geschichte nicht immer eine politische Freundschaft. Auch heute wirkt das Verhältnis zerrüttet. Die Achse Wien–Berlin in der Flüchtlingskrise ist passé, seit Werner Faymann auf die Obergrenze setzt, Angela Merkel aber weiterhin ihre Willkommenskultur pflegen will.

Die jahrhundertelange gemeinsame Geschichte – erst im Heiligen Reich deutscher Nation, dann im Deutschen Bund – fand schon 1866 einen entscheidenden Bruch. Nach der Niederlage von Königgrätz im Deutschen Krieg schien klar, dass die Preußen die Vorherrschaft im Bund übernehmen würden. Kaiser Franz Joseph fand in einem Brief an seine Ehefrau, Sisi, klare Worte: „Aus Deutschland treten wir jedenfalls ganz aus. Nach den Erfahrungen, die wir mit unseren lieben deutschen Bundesgenossen gemacht haben, halte ich das für ein Glück für Österreich.“

Im für beide verlustreichen Ersten Weltkrieg standen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich freilich wieder eng zusammen. Auch wenn das Zusammenspiel der beiden Armeen nicht einwandfrei funktionierte, wie mancherorts moniert wurde. Nach dem Zerfall der Habsburger-Monarchie wollten österreichische Politiker, dass das nunmehr kleine Land vom großen Bruder regelrecht in die Arme genommen wird. Gleichzeitig mit der Erklärung der Republik Deutschösterreich am 12. November 1918 verkündigte die Nationalversammlung in Wien den Anschluss an Deutschland.

Dass dieses Ansinnen misslang, war zunächst gar nicht so klar. Washington, London und Rom schwankten, ob sie ein Zusammengehen der Staaten erlauben sollten. Nur Frankreich war strikt dagegen und setzte sich damit auch durch. Aus Deutschösterreich wurde „nur“ Österreich. Aus Trotz hielt man 1921 in Tirol und Salzburg unverbindliche Abstimmungen ab, die mit einem klaren Ja für den Anschluss endeten. Bei der Anschlussbewegung an vorderer Front dabei: der sozialdemokratische Staatskanzler Karl Renner.

Der „bessere Deutsche“

Der christlich-soziale Ständestaat versuchte einen Spagat. Einerseits galt es nun wieder, sich von Deutschland, in dem inzwischen die Nazis an die Macht gekommen waren, möglichst abzugrenzen. Mit der verstärkten Betonung der österreichischen Identität wollte man den eigenen austrofaschistischen Staat rechtfertigen. Andererseits war das Bewusstsein, selbst deutsch zu sein, auch fest verankert. Also erklärten sich Engelbert Dollfuß und Co. einfach zu besonders guten, weil katholischen Deutschen. Man gab quasi die Parole aus, sich als Österreicher durch ein besseres Deutschsein von Deutschland abzugrenzen.

Als dann ein aus Österreich stammender Deutscher den Nationalsozialismus ins Land brachte, war eigenstaatliches Denken verpönt. Wobei manche auch nach der Überwindung der NS-Gräuel noch nicht genug von Berlin hatten. Renner etwa soll zu Beginn der Zweiten Republik bedauert haben, dass die Idee eines großen Deutschland gescheitert sei, wenn ihm auch politisch ein ganz anderes vorgeschwebt sei. Andererseits hieß es schon kurz nach Kriegsende in österreichischen Zeitungen, dass die Preußen diesmal ja nichts mehr von der Ernte österreichischer Bauer abbekommen sollten.

Mehr und mehr entwickelte sich das österreichische Nationalbewusstsein. Eine Zeit lang wurde in den Schulen sogar die „Unterrichtssprache“ gelehrt, und nicht „Deutsch“. Der Sieg gegen die deutschen Fußballer in Córdoba 1978 wurde als Jahrhundertereignis gefeiert. Selbst Jörg Haider, der 1988 noch die österreichische Nation als Missgeburt bezeichnete, erkannte, dass er mit Deutschtümelei kaum Stimmen gewinnen kann und schwenkte auf einen österreichischen Patriotismus um. Dass Wolfgang Schüssel 1997 den deutschen Bundesbank-Chef als „richtige Sau“ bezeichnet haben soll, schadete der Karriere nicht.

Manch alte Muster blieben in den Köpfen der Diplomatie freilich erhalten. Als Österreich in den 1990er-Jahren über einen EU-Beitritt verhandelte, half Deutschland sehr. Während Frankreich bremste, weil es Skepsis gegenüber einem „zweiten deutschen Staat“ hatte, wie es von französischer Verhandlerseite auch genannt wurde.

Zum großen diplomatischen Krach mit Deutschland kam es aber wegen der EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000. Als der grüne Außenminister, Joschka Fischer, von der Opposition aufgefordert wurde, sich bei Österreich für die Sanktionen zu entschuldigen, erklärte der Minister im Bundestag, dass er „den Teufel tun“ werde. Ein Ausscheren aus dem Kreis der Sanktionsbefürworter – so hieß es aus Berlin – würde nur Befürchtungen über eine Dominanz der Deutschsprachigen in der EU Nahrung geben.

Sanktionen zweites Königgrätz

In der Presse wurden die damaligen Vorgänge als „zweites Königgrätz“ betitelt. Da nützte es wenig, dass insbesondere aus Bayern der Ruf kam, die Sanktionen zu beenden. So wie auch heute bayrische Politiker bei der Flüchtlingspolitik lieber an Österreich denn am preußischen Berlin Anleihe nehmen würden.

Woher der Ausdruck Piefke stammt, ist übrigens bis heute umstritten. Möglicherweise geht er auf Johann Gottfried Piefke zurück, einen preußischen Kapellmeister, der 1866 nach der endgültigen Niederlage der Habsburger gegen die Preußen im Marchfeld aufspielte. Aber das konnte der britische Geheimdienst nicht wissen.

AUF EINEN BLICK

Lange waren sich Kanzler Faymann und Amtskollegin Merkel in der Flüchtlingsfrage einig. Seit Österreich eine Asyl-Obergrenze eingeführt hat, kommt es aber aus beiden Ländern zu gegenseitigen Misstönen. Nicht der erste Konflikt zwischen Wien und Berlin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2016)

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