Werner Faymann: Der Wende-Kanzler

Bild aus besseren Tagen: Faymann mit Merkel in Berlin. Heute ist das Verhältnis zerrüttet.
Bild aus besseren Tagen: Faymann mit Merkel in Berlin. Heute ist das Verhältnis zerrüttet.(c) REUTERS (HANDOUT)
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Werner Faymann, neuerdings Staatsmann: Durch die Flüchtlingskrise hat er an Statur gewonnen. Erst im Schatten von Angela Merkel. Erst recht seit er sich von ihr emanzipiert hat. Ohne Druck von außen wäre das allerdings nichts geworden.

Der Europa-Ableger des US-Online-Magazins „Politico“ kam diese Woche unter dem Titel „How Austria unwittingly saved Merkel's political bacon“ („Wie Österreich unbeabsichtigt Merkels Haut rettete“) zu dem Schluss: Werner Faymann habe Angela Merkel in Merkel-Manier eine Lektion in „realpolitik“ erteilt. Der österreichische Kanzler habe sich binnen weniger Monate von ihrem engsten Verbündeten zu ihrer Nemesis gewandelt.

Auch der „Spiegel“ kam in seiner Coverstory nicht ohne Faymann-Merkel-Bild im Blattinneren aus. Und selbst Michael Jeannée, nicht gerade als größter Faymann-Fan in der an sich kanzlerfreundlichen „Kronen Zeitung“ bekannt, konzedierte am Mittwoch: „Wer hätte das noch vor ein paar Monaten gedacht: unser Kanzler, ein Mann mit Leadership-Qualitäten!“

Werner Faymann, der Kanzler, der in der Flüchtlingsfrage eisern Kurs hält – auch gegen den Widerstand aus Berlin, Brüssel und Wiener Bobo-Bezirken. Ein ungewohntes Bild, das da von ihm gezeichnet wird. Unbestritten ist: Faymann hat eine 180-Grad-Wendung hinter sich. Sie ist allerdings weniger aus eigenem Antrieb als vielmehr durch Druck von außen erfolgt. Genauer gesagt von vier Seiten.

Da war einmal der Koalitionspartner, dessen Parteichef, Reinhold Mitterlehner, anfangs noch gemeinsam mit Faymann auf der Refugees-welcome-Welle segelte, jedoch spätestens vor den Landtagswahlen im Herbst den Kurs änderte. Und zwar in jene Richtung, die Sebastian Kurz und Johanna Mikl-Leitner schon von Beginn der Flüchtlingskrise an vorzugeben versucht haben. Dieser Druck vonseiten der ÖVP auf Faymann war freilich der geringste, denn dem Koalitionspartner zu widerstehen, bringt grundsätzlich eher Pluspunkte in der eigenen Partei.

Dann war da der schon gewichtigere Druck von anderen europäischen Staaten, die nicht Deutschland hießen. Diese gaben Faymann zu verstehen, dass sie den deutschen Weg für einen Irrweg halten und nicht bereit seien, diesen mitzugehen.

Dann waren da vor allem die eigenen Genossen. Nach der Wien-Wahl dämmerte auch der SPÖ-Führung, dass die Parteibasis so ganz anders denkt als im Wiener Wahlkampf von der Partei vorgegeben. Die ÖVP mit ihrem weitverzweigten Netz von Bürgermeistern auf dem flachen Land hatte die kritische Stimmung in der Bevölkerung schon weit früher wahrgenommen. In der SPÖ waren es Politiker wie der burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, die darauf aufmerksam machten. Und heute heißt es sogar aus der Wiener SPÖ, man habe niemanden eingeladen. Und überhaupt sei man ja schon immer für Menschlichkeit und Ordnung eingetreten.

Die Macht und die „Krone“. Und dann war da noch – und das halten manche für das entscheidende – die „Kronen Zeitung“, die selbst lang um ihre Linie rang, letztlich aber auf eine restriktive einschwenkte und Werner Faymann überzeugte, das auch zu tun. Wobei der Druck von der SPÖ-Basis und jener von der „Krone“ gewissermaßen Hand in Hand gingen.

„Wir haben dann eine Zeit lang noch gezittert – erst recht nach der von Kurz und Mikl-Leitner initiierten Westbalkan-Konferenz –, ob Faymann auch wirklich hält“, heißt es in der ÖVP. „Aber er hat gehalten.“ Auch gegen Widerstände in seiner eigenen Partei.

In der SPÖ sieht man das ein wenig anders: Werner Faymann habe lang auf die europäische Lösung gesetzt. Und er war sehr enttäuscht, nicht zuletzt über die EU-Kommission, dass diese nie zustande kam. Nach Köln sei es dann zu einem Stimmungswandel in der Bevölkerung gekommen, den man nicht mehr ignorieren konnte. Und Vorwürfe, er hätte nicht rechtzeitig gehandelt, wenn im Sommer 2016 wieder so viele Flüchtlinge kämen wie im Vorjahr, habe sich der Bundeskanzler ersparen wollen.
Werner Faymann hat in der Flüchtlingskrise an Statur gewonnen. Zuerst als Anwalt der Humanität im Schatten Angela Merkels. Und nun erst recht durch die Emanzipation von Angela Merkel – als führender Vertreter einer Politik der Vernunft. Die freilich von anderen in der Regierung wie Außenminister Kurz vorgedacht wurde.

Streit mit Merkel am Telefon. Der Preis dafür: das zerrüttete Verhältnis zu Angela Merkel. Die beiden gehen mittlerweile sehr scharf miteinander um, gestritten wird auch am Telefon. Merkel wirft Faymann vor, dass er noch hätte zuwarten sollen. Faymann kontert, das wäre nicht mehr möglich gewesen. Er müsse auch auf die eigene Bevölkerung Rücksicht nehmen. Und schließlich habe auch Deutschland Tageskontingente eingeführt.

Werner Faymanns engste Verbündete in der Europäischen Union sind nun Donald Tusk, der EU-Ratspräsident, sowie Matteo Renzi, der italienische Premier. Mit Abstrichen auch Frankreichs Präsident François Hollande, der gleichzeitig aber auch darum bemüht ist, Angela Merkel nicht zu verärgern. Und der schwedische Ministerpräsident, Stefan Löfven, der sich in Sitzungen allerdings eher selten zu Wort meldet.

Faymanns Wirken nach außen schlägt auch nach innen positiv durch. Im APA/OGM-Vertrauensindex legte er diese Woche um drei Punkte zu. Getragen von der „Krone“ sitzt er so fest im Sattel wie schon lang nicht mehr. Trotz Protesten von ein paar aufmüpfigen Jusos diese Woche auf der SPÖ-Klausur in Wien.

Auch im Bundespräsidentschaftswahlkampf hat die SPÖ – im Gegensatz zur ÖVP – keinerlei Schwierigkeiten, die nötigen Unterstützungsunterschriften beizubringen. Für ihren Kandidaten, Rudolf Hundstorfer, rennen die Funktionäre. Kaum ein roter Spitzenpolitiker ist unter den Genossen so beliebt wie der frühere Sozialminister. Er kommt aus der Tiefe der Partei, war Gewerkschaftschef und ist persönlich ein überaus umgänglicher Mensch.

Was allerdings nicht heißt, dass die Wähler in ihrer Gesamtheit ebenfalls so eine große Zuneigung zu Hundstorfer hegen. Kommt er nicht in die Stichwahl – und auf der Linken ist Alexander Van der Bellen ein ernst zu nehmender Konkurrent – dann hat Werner Faymann wiederum ein größeres Problem.

Solo „Im Zentrum“. Noch aber ist es nicht so weit. Noch ist Werner Faymann das, was er bisher nicht war: Staatsmann. Und als solcher darf er ganz in Merkel-Manier heute Abend auch eine Stunde lang solo das ORF-Format „Im Zentrum“ bespielen. Der ORF hatte sich dies von der ARD abgeschaut – dort war vor zwei Wochen Angela Merkel allein in der Talkshow „Anne Will“ zu Gast. Die ÖVP und die Oppositionsparteien mutmaßen hingegen, Werner Faymann selbst habe sich in die Sendung eingeladen.

Durchaus erstaunlich ist, dass die „Oberösterreichischen Nachrichten“ schon am 4. März berichteten, Faymann plane in den nächsten Wochen einen großen Fernsehauftritt. Bisher war der Kanzler stets sehr zurückhaltend mit TV-Auftritten. Der „ZiB2“ verweigerte er sich lang – ehe er sich im Kanzleramt (statt im Studio am Küniglberg) interviewen ließ. Mit rot-weiß-roter Fahne im Hintergrund.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit – das sind Werner Faymanns größte Stärken. Zuletzt hat er dies bei seinem Schwenk in der Flüchtlingsfrage unter Beweis gestellt. Dank dieser Eigenschaften ist Werner Faymann auch noch immer Bundeskanzler. Und SPÖ-Vorsitzender. Seine wichtigsten Stützen – die Führung des ÖGB und Wiens Bürgermeister Michael Häupl – haben ihn bisher nicht fallen gelassen.

Einbindung durch Umgarnung. Einbindung durch freundliche Worte – so pflegt Faymann mit seinen Genossen umzugehen. So nach der Art: „Schön, dass du da bist“ und „Wir müssen unbedingt wieder einmal reden“. Das ist auch gar nicht so sehr Taktik. Er ist einfach so. An Social Skills mangelt es Werner Faymann jedenfalls nicht. So hat er auch Karriere gemacht. Die Hard Facts hat er dann dazugelernt. Als Kanzler auch die europapolitischen.

Das war die erste Wende des Werner Faymann. Als er zum SPÖ-Chef designiert wurde, spielte er noch auf der Klaviatur der EU-Skeptiker. Er schrieb einen Brief an die „Kronen Zeitung“ – dessen damaliger Herausgeber, Hans Dichand, sein väterlicher Freund war –, in dem er gelobte, wesentliche EU-Vertragsänderungen künftig einer Volksabstimmung zu unterziehen.

Als er dann eine Zeit lang Kanzler war, erst recht nach Hans Dichands Tod, mutierte er zum bedingungslosen Pro-Europäer. Aus dieser Zeit stammt auch das Bonmot, Faymann gehe mit keiner Meinung in eine Brüsseler Sitzung hinein und komme mit jener von Angela Merkel wieder heraus. Mittlerweile ist auch das vorbei – Wende Nummer zwei.

Es wird nicht die letzte gewesen sein. Denn man kann davon ausgehen, dass der geschmeidige Werner Faymann auch sein Verhältnis zu Angela Merkel wieder hinbekommt. Zumal beide Profis genug sind, beim nächsten Thema, das nichts oder wenig mit den Flüchtlingen zu tun hat, wieder zusammenzuarbeiten, als wäre nichts gewesen. Frei nach dem Motto: It's the realpolitik, stupid!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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