Rune und Bronzeadler: Wer ist Odin Wiesinger, der Lieblingsmaler des Präsidentschaftskandidaten?
Gerhard Schröder hatte als Kanzler einen Adler hinter seinem Schreibtisch hängen; keinen Adler wie jene, die das Heilige Römische Reich oder das Dritte Reich verkörperten, majestätisch und unangreifbar; nein, einen, der zerzaust und kopfüber nach unten zu stürzen scheint. Das Bild von Georg Baselitz schien dem Kanzler offenbar geeignet, um ein bestimmtes Machtverständnis auszudrücken, eine Distanz zur Herrschaft alten Stils – wie glaubwürdig auch immer diese Botschaft im Nachhinein erscheinen mag.
Was für Bilder, programmatisch oder nicht, wohl in die österreichische Präsidentschaftskanzlei Einzug hielten, würde Norbert Hofer Bundespräsident? Wenn er sich für Kunst seines in der Jubiläums-„Presse am Sonntag“ erklärten Lieblingsmalers entschiede, könnte man spekulieren: ein Bronzeadler vom Andreas-Hofer-Denkmal auf dem Bergisel? Ein Burschenschafter mit Kampfmontur und nacktem Oberkörper? Ein Soldat mit Sturmhelm? Eine historische Ikone wie der – namentlich höchst passende – Tiroler Nationalheld, oder auch Schiller, Schubert, Mozart? Eine Abendlandschaft mit Bäumen? Oder eine Figur der nordischen Mythologie, wie der Fenriswolf oder dessen Bruder, das achtbeinige Pferd Sleipnir?
Sleipnir ist das Pferd des germanischen Gottes Odin, und dieser wiederum ist quasi der künstlerische Namenspatron des 1961 geborenen Innviertlers Manfred Wiesinger alias Odin, den der freiheitliche Präsidentschaftskandidat seinen Lieblingsmaler nennt. Wiesinger lernte an der Hochschule für Gestaltung in Linz, in der Meisterklasse für Malerei und Grafik; bekannt wurde der Maler, der einer schlagenden Burschenschaft angehört und schon als Haus- und Hofmaler der Burschenschaften bezeichnet wurde, in den letzten Jahren unter anderem als Freund des ehemaligen dritten Nationalratspräsidenten und ebenfalls schlagenden Burschenschafters, Martin Graf. Der verhalf ihm 2012 zu (vom Parlament mitgesponserten) Ausstellungen in Chile und Paraguay. Heinz-Christian Strache schenkte Andreas Mölzer zu dessen Sechziger ebenfalls ein Bild von ihm. Auch für die freiheitliche „Aula“ hat Wiesinger schon Bilder beigesteuert. Vor einigen Jahren diskutierte der Dachverband der Deutschen Burschenschaften über einen Ausschluss der Mannheimer Verbindung Hansea, weil diese ein Mitglied asiatischer Herkunft hatte; Wiesinger kommentierte dies für das freiheitliche Magazin „Aula“ mit der Karikatur dreier Burschenschafter, von denen einer als „Asiate“, einer als „Afrikaner“ gezeichnet war.
Völkischer Retro-Stil
Wiesinger signiert seine Werke gern mit der Odal-Rune. Dieses völkisch-esoterische, später von manchen NS-Organisationen und Neonazis verwendete Zeichen erfand 1902 der österreichische Autor Guido von List, der eine nach Odin (Wotan) benannte Lehre des „Wuotanismus“ kreierte und esoterische Vorstellungen von der Überlegenheit der „arischen Rasse“ vertrat („Ariosophie“). Die Form der Rune bildete er der germanischen Othala-Rune nach. Das Wort „Odal“ hatte Bedeutungen rund um Erbe, Stammbesitz, Heimat.
Wiesinger pflegt eine Retro-Ästhetik – er würde sagen: eine Renaissance –, die einen oft direkt in die völkischen Sphären vor und im Zweiten Weltkrieg katapultiert. Heutige Kunst, sagte er 1998 in einem Interview mit der „Jungen Freiheit“, sei für ihn „zum überwiegenden Teil die Diktatur des Hässlichen, Minderwertigen, Würde- und Maßlosen“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2016)