Integration: Nicht nur gute Nachrichten für Kurz

Seit fünf Jahren ist Sebastian Kurz für die Integrationspolitik in Österreich zuständig, seit Dezember 2013 als Außen- und Integrationsminister.
Seit fünf Jahren ist Sebastian Kurz für die Integrationspolitik in Österreich zuständig, seit Dezember 2013 als Außen- und Integrationsminister.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Deutsche Experten blicken etwas neidvoll auf die österreichische Integrationspolitik, wiewohl ihnen die großen Probleme nicht entgangen sind: Schulen, Frauenbild, Flüchtlinge.

Wien. Henry Kissinger, von 1973 bis 1977 Außenminister der USA, soll einmal gesagt haben: „Wen rufe ich denn an, wenn ich Europa anrufen will?“ In Österreich war die Integrationspolitik lange Zeit dieses „Europa“: etwas, für das es keine Telefonnummer gab.

Vor fünf Jahren, am 21. April 2011, habe sich das grundlegend geändert, schreibt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seiner Expertise „Fünf Jahre Integrationspolitik in Österreich“. Damals sei die Integration mit einem Staatssekretariat institutionalisiert worden und habe neben einer Nummer auch ein Gesicht bekommen. Das von Sebastian Kurz, der 2013 dann zum Minister upgegradet wurde.

Auftraggeber dieser 31-seitigen Studie (sie liegt der „Presse“ vor) ist mit dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) eine Einrichtung, die Kurz unterstellt ist. Es handle sich um eine Monitoringmaßnahme, vergleichbar mit dem Integrationsbericht, heißt es dort. An den unabhängigen und bestens beleumundeten Sachverständigenrat deutscher Stiftungen habe man sich absichtlich gewandt: Man wollte einen „Blick von außen“.

Leistungsbegriff wirkt verbindend

Dem Minister wird der Befund gefallen, jedenfalls weitgehend. Österreich, schreiben die Studienautoren Charlotte Wohlfarth und Holger Kolb, sei in der Integrationspolitik heute tendenziell weiter als Deutschland. Dort fehle nicht nur ein regelmäßiges Monitoring, sondern auch eine Qualitätskontrolle integrationspolitischer Maßnahmen durch ein wissenschaftliches Expertengremium.

Außerdem habe Deutschland keine „weithin bekannte Symbolfigur“ wie Österreich mit Kurz. Und dessen Narrativ „Integration durch Leistung“ sei beim Nachbarn bestenfalls in Ansätzen zu erkennen. Was die Experten bedauern. Denn die Einbeziehung des „positiv konnotierten“ Leistungsbegriffs in die Integrationsdebatte habe die Grundlage für eine „pragmatische und entideologisierte Integrationspolitik“ geschaffen. „Integrationsromantiker“ wie „Integrationsapokalyptiker“ seien dadurch in die Defensive geraten. Der Slogan bringe auf den Punkt, dass Migranten willkommen seien, sich aber stärker bemühen müssten als die ansässige Bevölkerung.

Wobei es auch für Kurz noch viel zu tun gebe. Wie die deutschen Kollegen stehe er vor einer „Großbaustelle im Bildungssystem“. Da wie dort sei es noch nicht gelungen, den Leistungsgedanken mit der Chancengerechtigkeit zu verknüpfen. Die Aufgabe „Integration durch Bildung“ werde in beiden Ländern durch eine „wohnräumliche und eine schulische Segregation erschwert“. Ein Problem sei auch die niedrige Frauenerwerbsquote, vor allem bei Zuwandererfamilien aus muslimischen Staaten. Sie sei das Resultat niedriger Qualifikationen – und eines „traditionellen Familien- und Frauenbildes“.

Flüchtlinge: „Massive Anstrengungen“

Die größte Herausforderung sehen die Migration-Sachverständigen aber in den vielen Flüchtlingen, die nach Deutschland und Österreich gekommen sind. Ein Großteil werde bleiben, weshalb die Integrationspolitik der nächsten Jahre vor allem „Integrationsflüchtlingspolitik“ sein werde. Immerhin müssten Menschen integriert werden, die weder ausreichend qualifiziert seien noch Sprachkenntnisse hätten, die für den Arbeitsmarkt oder eine Aus- und Weiterbildung nötig wären.

Die gute Nachricht? Beide Staaten hätten relativ rasch darauf reagiert – Österreich mit einem 50-Punkte-Plan zur Integration, mit zusätzlichen Deutschkursen und Orientierungs- bzw. Wertekursen. Das stimmt die Studienautoren „grundsätzlich optimistisch“: Die Aufgaben könnten gemeistert werden – wenn auch nur mit „entsprechend massiven Anstrengungen“.

DIE EXPERTEN

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören weitere fünf Stiftungen an, unter anderem die Bertelsmann-Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Weitere Infos unter: www.svr-migration.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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