1. Mai 2016: Wo sind nur die Arbeiter geblieben?

(c) Stanislav Jenis
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Der Tag der Arbeit wird auch heuer traditionell gefeiert. Nicht nur von der SPÖ. Aber gibt es sie überhaupt noch, die klassischen Arbeiter? Eine Spurensuche.

Der Hochofen illustriert das Klischee am besten: das vom Arbeiter, der bei Flammen und Funkenflug an der Eisenerzeugung werkt. Aber das Klischee hat mit der Realität nichts mehr zu tun. Der Vorgang ist längst automatisiert, am Hochofen steht höchstens noch ein Spezialist, der ihn überwacht. 2030 wird ein Teil der fünf Hochöfen in Österreich laut Voestalpine-Chef Wolfgang Eder Geschichte sein. Nur noch 30 Prozent seines Umsatzes macht der Konzern mit klassischer Stahlproduktion. Die Voest ist kein staatlicher Stahlkonzern mehr, sondern ein börsenotiertes Technologieunternehmen. Und der Arbeiter von heute ist auch nicht mehr das, was er einmal war.

Die Zahl der Arbeiter sinkt kontinuierlich. 1994 gab es laut Statistik Austria 1,23 Millionen, 2015 nur noch 1,09 Millionen Arbeiter. Sie haben gegenüber den gut zwei Millionen Angestellten noch immer in manchen Punkten das Nachsehen: Ihre Kündigungsfristen sind kürzer, und wenn sie krank sind, wird ihr Lohn nicht so lange weiterbezahlt. Auch gewisse Usancen, die in keinem Gesetz stehen, gelten für sie oft nicht. Etwa, dass man erst am dritten Tag eine Krankschreibung braucht. In vielen Punkten sind Arbeiter und Angestellte längst gleichgestellt: Bei Urlaubsanspruch und Pflegefreistellung etwa. Geht es nach der Gewerkschaft, würde es gar keine Unterschiede mehr geben. „Ich sage es überspitzt: Die moderne Technik lässt die strikte Trennung zwischen geistloser Produktion und genialem Ingenieursdenken einfach nicht mehr zu“, so René Schindler von der Industriegewerkschaft Pro-Ge.

Die Arbeiter-Partei

Und auch die politischen Grenzen verschwimmen: Einst war die SPÖ die traditionelle Arbeiter-Partei. Sogar per definitionem: Ihre Wurzeln liegen in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei von Viktor Adler. Doch nach und nach wandte sich ihre Kernklientel ab.

Nicht der erste, aber ein sehr deutlicher Beweis dafür war die Bundespräsidentenwahl vergangenen Sonntag. Der rote Kandidat Rudolf Hundstorfer erzählte zwar in seinem Werbevideo vom sozialen Aufstieg seiner Familie: die Mutter Hausfrau, der Vater Arbeiter. Die Toilette in der Wohnung liegt am Gang. Erst später ziehen sie in eine Genossenschaftswohnung mit eigenem Bad. Und dennoch: Hundstorfer erhielt laut einer Befragung des Sora-Instituts unter den Arbeitern nur zehn Prozent der Stimmen. FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hingegen eine absolute Mehrheit von 72 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei der vergangenen Nationalratswahl: Unter den Arbeitern erzielte die SPÖ 25 Prozent. Die FPÖ ganze 34 Prozent. Bei der EU-Wahl 2014 waren die Freiheitlichen unter den Arbeitern mit 46 Prozent sogar fast doppelt so stark wie die SPÖ (mit 24 Prozent).

Und dennoch lädt die Sozialdemokratie in Wien auch heute, Sonntag, zum traditionellen Maiaufmarsch. Sie wird versuchen, die Genossen zu einen – während die FPÖ weiter ihren Wahlkampf betreibt: Bei einer Veranstaltung am Urfahraner Jahrmarkt tritt auch Norbert Hofer auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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