Es könne "nichts Gutes herauskommen", warnt EU-Parlamentarier Reimon. Auch Vorarlbergs Landeschef Wallner ortet eine Entwicklung, "die man nicht mittragen kann".
Die Grünen fordern einen Tag nach der Veröffentlichung bisher geheimer Dokumente über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP den sofortigen Abbruch der Verhandlungen. "Schon die Verhandlungsziele sind falsch", sagte EU-Parlamentarier Michel Reimon am Dienstag. "Das Abkommen ist nicht zu retten, es kann für Europa nichts Gutes herauskommen", so Reimon. Aufgrund des Verhandlungsmandats der EU-Kommission, das von allen 28 EU-Staaten unterzeichnet worden sei, stehe fest, in welche Richtung TTIP gehen soll.
Laut Reimon wollen nicht nur die Amerikaner europäische Standards bei Lebensmitteln (Stichwort Chlorhühner) und Umweltschutz aufweichen. Auch die Europäer lobbyierten für das Aufbrechen strenger amerikanischer Standards etwa am US-Automarkt. "Die europäische Industrie versucht, die hohen amerikanischen Dieselnormen zu senken. Ist das tatsächlich im europäischen Interesse?"
Im Finanzmarktbereich hätten die USA nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers harte Regulierungen durchgesetzt. "Europäische Banken und Versicherungen dürfen immer noch Produkte verkaufen, die in den USA seit 2008/09 verboten oder streng reguliert sind", so Reimon. Und auch zum streng regulierten Beschaffungsmarkt der US-Bundesstaaten ("buy local") wollten die europäischen Industriekonzerne Zugang.
Wallner fordert Veto der Bundesregierung
Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat am Dienstag von der Bundesregierung gefordert, ein Veto gegen TTIP in der vorliegenden Form einzulegen. Die Themen Lebensmittelwirtschaft und Landwirtschaft müssten aus dem Abkommen herausgenommen werden, verlangte Wallner. "Wenn alle Stricke reißen, muss es eine Volksabstimmung geben", so der Regierungschef.
TTIP nehme eine Entwicklung, "die man nicht mittragen kann", sagte Wallner. Er kenne niemanden, der die "amerikanische Agrar-Industrie auf dem Tisch haben will". In Vorarlberg trete man für gesunde, regionale Produktion ein. Einem Senken der Standards in Umwelt und Landwirtschaft dürfe man keinesfalls zustimmen. Hinsichtlich der vorliegenden Fassung von TTIP könne man nur die Stopptaste drücken. Es gebe genügend Sicherungsmechanismen, um ein Inkrafttreten von TTIP zu verhindern. So sei unter anderem eine Ratifizierung durch Österreich notwendig.
Wallners Kärntner Amtskollege Peter Kaiser (SPÖ) nahm die Diskussion über TTIP zum Anlass, um auf CETA, das geplante Abkommen zwischen EU und Kanada, aufmerksam zu machen. „Im Gegensatz zu den diesbezüglich vergleichsweise in den Kinderschuhen steckenden Verhandlungen zu TTIP steht CETA kurz vor dem Abschluss. Damit droht CETA zum Trojanischen Pferd zu werden“, hielt Kaiser in einer Aussendung fest. Es dürfe nicht ohne genaueste Prüfung und Sicherung sämtlicher hoher Standards unterschrieben werden.
Neos: Regierungsproteste "reiner Populismus"
Wenn TTIP noch scheitert, dann liege das nicht am Inhalt, sondern an der Vorgehensweise der EU, sagte hingegen der Neos-Abgeordnete Michael Pock im ORF-Morgenjournal. Denn man könne nicht 28 nationale Parlamente über das Abkommen abstimmen lassen, ohne sie vorher einzubinden, und auch die EU-Bevölkerung hätte informiert werden müssen.
Auch für ihn als Parlamentarier sei das Abkommen schwer zu beurteilen, da er selber nach langer Anmeldefrist nur ein Stunde Lesezeit gewährt bekomme. Dennoch seien die jetzt von Greenpeace an die Öffentlichkeit gebrachten Inhalte "nicht zur Gänze neu". Die aktuellen Proteste österreichischer Regierungsmitglieder stuft Pock daher als "reinen Populismus" ein, denn weder Umweltminister Andrä Rupprechter noch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (beide ÖVP) hätten sich bisher mit den Fraktionen über TTIP beraten. Auch die Ankündigungen der Präsidentschaftskandidaten, den Vertrag nicht zu unterzeichnen, sieht er nur als Wahlkampfgetöse.
(APA)