Rot-Blau: Sozialdemokraten kratzen an Vranitzky-Doktrin

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ARCHIVBILD: TV-DUELL: VRANITZKY - HAIDER(c) APA (BARBARA GINDL)
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Dürfen sie, oder dürfen sie nicht? In der SPÖ ist eine Debatte über den Umgang mit der FPÖ entbrannt – und nicht nur darüber.

Wien. Jetzt also auch Franz Vranitzky. Ausgerechnet. 1986 stellte der ehemalige SPÖ-Chef und Kanzler eine, eigentlich seine Doktrin auf: Keine Koalition mit der FPÖ. Doch nun, dreißig Jahre später, lässt er seiner Partei den Umgang mit den Freiheitlichen offen.

„Das ist eine völlig andere Situation heute“, sagt er via „Wiener Zeitung“. Wenn die SPÖ überlege, vor allem in Ländern und Gemeinden das Verhältnis mit der FPÖ zu überdenken, „dann wird man sie nicht aufhalten können“. Bestes Beispiel – und erster „Tabubruch“ dafür sei das Burgenland, wo der rote Landeshauptmann, Hans Niessl, mit den Blauen koaliert. Das Thema sei da. Prinzipiell würde er aber seinen Parteigenossen raten, das Thema nicht allzu stark zu diskutieren – und hintanzustellen.

Dafür ist es allerdings schon zu spät. Die Debatte, ob sich die SPÖ in Richtung FPÖ öffnen sollte, ist längst ausgebrochen. Sehr zum Ärger von Werner Faymann: Der Parteichef hat derzeit eigentlich andere Sorgen – er kämpft um sein politisches Überleben. Seit jeher stellt er sich vehement gegen eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen. Wird auch diese Linie infrage gestellt, schwächt es seine Stellung noch weiter.

Aber der Reihe nach: Gesundheitsministerin und Vize-Parteichefin Sabine Oberhauser forderte in der Vorwoche eine einheitliche Linie der Partei in der FPÖ-Frage. Es gebe eine große Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis: Schließlich gibt es zwei Parteitagsbeschlüsse (aus dem Jahr 2004 und 2014), die dezidiert eine Koalition mit den Freiheitlichen ausschließen – und zwar auf allen Ebenen. Trotzdem gibt es auf Gemeinde- und Landesebene durchaus Koalitionen und Kooperationen mit der FPÖ.

Kanzler und SJ bei FPÖ einer Meinung

Was Oberhauser damit indirekt anspricht: In der Partei gibt es zwei Lager. Teile der SPÖ stellen sich dezidiert gegen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ. Hier sind sich ausnahmsweise Kanzler und Sozialistische Jugend einig. Andere, wie der burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, haben hingegen einen entspannteren Zugang und sind bereits mit der FPÖ in einer Regierung.

Via „Profil“ stellte sich Erich Foglar, Präsident des Gewerkschaftsbunds, hinter die burgenländische Linie: Eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ sollte man nicht ausschließen. Der steirische Abgeordnete Josef Muchitsch, gleichfalls Gewerkschaft, zog nach. Und der Salzburger SPÖ-Chef, Walter Steidl, ist ebenfalls gegen eine prinzipielle Ausgrenzung der FPÖ. Er gibt aber zu bedenken: Damit wären die Probleme der SPÖ nicht gelöst.

Kaisers Kompromiss

Die Nationalratsabgeordnete Daniela Holzinger, die zuletzt gegen ein schärferes Asylgesetz gestimmt hat, ist persönlich zwar gegen eine Koalition mit der FPÖ Heinz-Christian Straches. Aber: „Diese absolute Ablehnung, ohne überhaupt miteinander zu reden, finde ich nicht richtig“, sagt sie. Damit sei man der ÖVP gänzlich ausgeliefert. Auf dem Bundesparteitag sollte man diskutieren, ob man bestimmte Koalitionsbedingungen stellen sollte. „Das müssen aber die Delegierten entscheiden.“ Außerdem sollte man sich die Frage stellen, ob man zwischen den verschiedenen Ebenen differenziert. In Gemeinden gebe es ja immer wieder Kooperationen mit der FPÖ.

Auch der Kärntner Landeshauptmann, Peter Kaiser, machte am Dienstag einen Kompromissvorschlag: Die Partei könnte in ihren Statuten bestimmte Kriterien für Koalitionsverhandlungen festlegen. Dann könnten auf der jeweiligen Ebene – Bund, Land oder Kommune – ein Ausschuss, die gesamten Parteimitglieder oder auch alle Bürger entscheiden.

Die SPÖ-Zentrale hat das Thema bereits ausgelagert: Vertreter der Landesparteien und SPÖ-Organisationen sollen in einer Strategiegruppe ausarbeiten, in welcher Form diese Frage beim Bundesparteitag erarbeitet werden soll. Der Ausgang ist offen, theoretisch sei auch eine Mitgliederbefragung möglich, heißt es aus der Löwelstraße.

Flügelkämpfe in der SPÖ

Dort ist man derzeit ohnehin mit anderen Problemen beschäftigt: Kommenden Montag tagt der Bundesparteivorstand. Das Gremium wurde nach der Wahlniederlage bei der Hofburg-Wahl vorverlegt. Die Flügelkämpfe in der SPÖ drehen sich nicht nur um die Frage, wie man mit der FPÖ umgehen soll. Sondern vor allem auch, mit wem man in die nächste Wahl ziehen wird.

Die Spekulationen nehmen bereits ihren Lauf: Nicht weit von der SPÖ-Zentrale entfernt, im Café Landtmann, wurden schon Josef Muchitsch und Christian Kern gesichtet. Also der mächtige Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, und der ÖBB-Chef, der laufend als Faymann-Nachfolger gehandelt wird. Dass sich die beiden „in Zeiten wie diesen“, wie es in roten Kreisen formuliert wurde, „so demonstrativ in die Öffentlichkeit setzen“, sei interessant.

In der mächtigsten roten Landespartei, der Wiener SPÖ, hat Kern aber keine Verankerung. In der Vergangenheit wurde bei Nachfolgediskussionen immer wieder der Kopf geschüttelt, wenn Kerns Namen fiel – er galt bei vielen als unbeschriebenes Blatt.

Blitzentscheidung über Faymann?

Die Flügelkämpfe (nicht nur) innerhalb der Wiener Partei könnten Kern aber durchaus nach oben spülen. Im linken Flügel gibt es keinen allzu großen Widerstand gegen Kern, der beim Flüchtlingsandrang an der ungarischen Grenze den Transport mit der ÖBB schnell und effizient organisiert hat – was ihm durchaus Respekt eingebracht hat. Vielmehr macht sich dort die Stimmung breit: „Warum nicht?“, wie es gegenüber der „Presse“ formuliert wird: „Alles ist besser als Faymann.“ Nachsatz: Alles außer Niessl und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil.

Am Montag hat Bürgermeister Michael Häupl quasi das Kommando in der SPÖ übernommen: Er habe von seiner Wiener Partei das Pouvoir erhalten, Gespräche mit den Landesparteien und Organisationen der SPÖ zu führen, um eine arbeitsfähige Bundespartei sicherzustellen. Und den Bundesparteitag vorzubereiten. Werner Faymann werde unterschätzt, „ob er in der Partei akzeptiert ist, werden wir sehen. Ich unterstütze ihn jedenfalls“, sagte er.

In den Landesparteien will man nun die Gespräche mit dem Wiener Bürgermeister abwarten. Sollte die Mehrheit in der SPÖ zu dem Schluss kommen, dass Werner Faymann nicht mehr der Richtige an der Parteispitze ist, könne alles sehr schnell gehen, wurde der „Presse“ erklärt. Anders gesagt: Es ist nicht auszuschließen, dass nach der Vorstandssitzung am Montag bereits ein Nachfolger präsentiert wird.

Im Sommer 2008 war es ähnlich gewesen. Damals wurde mit Faymann ein geschäftsführender Parteichef eingesetzt. Alfred Gusenbauer durfte bis zur Neuwahl im Herbst Kanzler bleiben (siehe nebenstehenden Bericht).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2016)

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