Wien Brigittenau: Zwei Hälften wieder vereint

Brigittenau
Brigittenau(c) Stanislav Jenis
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Das Leitbild für den Nordwestbahnhof ist fertig. Ab 2019 wird nun das letzte innerstädtische Stadtentwicklungsgebiet bebaut. Der neue, zentrale Stadtteil will zu den Wurzeln der Gründerzeit zurück.

Wien. Mit dem Bau des Nordwestbahnhofs 1872 wurde die Brigittenau, die bis 1900 Teil der Leopoldstadt war, in zwei Teile gerissen. Seither klafft in der Mitte des Bezirks eine unüberbrückbare Lücke, die den Bezirk räumlich und sozial in zwei Welten teilt.

Ein Entwurf aus der
Ein Entwurf aus der "Allgemeinen Bauzeitung", veröffentlicht 1873© Bezirksmuseum


Während das Grätzel rund um den Wallensteinplatz hinter dem Augarten von Gründerzeithäusern dominiert und auch wegen seiner zentralen Lage als eines der aufstrebendsten Viertel Wiens gehandelt wird, sieht es auf der anderen Seite des Bahnhofs – von Dresdner Straße bis Handelskai – anders aus. Gemeindebauten aus den 1920er-Jahren stehen hier als mächtige Zeitzeugen der vielen Industriebetriebe, die sich einst an der Donau befanden. Auf dieser Seite des Bezirks ist die Bevölkerung weniger wohlhabend, die Infrastruktur dünner.

(c) Die Presse


Eine historische Chance, die beiden durch den Bahnhof getrennten Gebiete wieder miteinander zu verweben und die Bezirksgrenzen zur Leopoldstadt wieder aufzuweichen, wurde nun geschaffen. 2017, wenn der neue Frachtenbahnhof Inzersdorf fertig ist, siedeln die ÖBB um, und das Gebiet kann bebaut werden. Das neue Leitbild für das Areal, das dreimal so groß ist wie der Stadtpark, ist nun nach einjähriger Überarbeitung fertig. Ab 2019 wird ein neuer Stadtteil für 20.000 Menschen entstehen. „Die letzte großflächige Grundstücksreserve der Brigittenau wird verbaut“, sagt Bezirksvorsteher Hannes Derfler (SPÖ). Darum muss alles Platz finden, woran es dem Bezirk mangelt. Das sind vor allem Schulen und Wohnraum.

Zurück zur Gründerzeit

Rund zwei Drittel der Fläche werden für Wohnraum verbaut – frei finanziert wie gefördert. Die Bauten sollen sich um einen länglichen Park, eine grüne Lunge des neuen Grätzels, reihen. Einige alte Backsteinbauten, die nun beim Bahnhof stehen, werden in den Park integriert. „Hier soll ein Markt entstehen“, sagt der grüne Planungssprecher, Christoph Chorherr.

Ein Aktuelles Luftbild des Areals
Ein Aktuelles Luftbild des Areals© ÖBB

Fehler, die woanders bei der Planung gemacht wurden, sollen nicht wiederholt werden. „Jahrzehntelang hat man etwa Wohnen und Gewerbe separiert, das wird hier nicht passieren. Wir bauen Stadt und nicht nur für das Wohnen“, sagt er. Die Zeiten, in denen Wohnbauten und Einkaufszentren nebeneinander gebaut wurden, sollen vorbei sein. Inhaltlich orientiere man sich daher an den Häusern der Gründerzeit – mit hohen Erdgeschoßzonen und vor allem in Richtung Park durchaus schmäleren und kleinteiligeren Einheiten. „Wir wollen nicht nur große charmlose Blocks, denn das Außen des Hauses ist das Innen der Stadt“, sagt Chorherr. Auf dem Gelände wird es dazu drei Hochhäuser geben, die bis zu 80 Meter hoch sind.
Vor allem entlang der Nordwestbahnstraße sollen Geschäfte und Lokale entstehen, in denen sich Bewohner des neuen Viertels und der alten Grätzel treffen. Generell sollen Bauträger verpflichtet werden, Erdgeschoßzonen so zu bauen, damit sie flexibel nutzbar sind. „Das bedeutet in erster Linie eine Mindestraumhöhe von rund vier Metern und flexible Wände“, sagt Derfler. Diese Zonen sollen bei Bedarf zu Schulen umgewandelt werden. Fürs Erste werden ganze fünf Schulen, von Volksschulen über Mittelschule bis AHS, plus Bildungscampus mit insgesamt 75 Klassen auf dem Areal errichtet. Weiters wird die jüdische Lauder-Chabad-Schule die alte Post in der Nordwestbahnstraße adaptieren.
Eltern, die ihre Kinder gern mit dem Auto zur Schule bringen, werden im neuen Viertel Probleme haben: Straßen sind nämlich in dem Sinn nicht vorgesehen. „Es wird genug öffentliche Anbindungen geben, damit man das zu Fuß erledigen kann“, sagt Chorherr. Die Linie 33 soll über die Rauscherstraße in das Viertel verlängert werden und dann über die S-Bahnstation Traisengasse weiter zum Nordbahnhofviertel fahren. Die Linie 5 wird entlang der Wallensteinstraße verlängert und mit Umweg zum Praterstern fahren.
Dazu soll die alte Bahntrasse erhalten bleiben und eine Art Fußgänger- und Rad-Highway werden. Es soll ein durchgängiger Radweg vom Prater bis Nussdorf entstehen.

Letzte Platzreserve verbraucht

Der Bahnhof reiht sich somit in eine gewaltige Entwicklungskette im Hinterland des rechten Donauufers, die sich seit Jahren in einem dynamischen Transformationsprozess befindet – man denke an das Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnhof, den Prater, das Areal rund um die Messe oder die Krieau bis hin zur Marina City in der Leopoldstadt. Somit ist auch das letzte innerstädtische Stadtentwicklungsgebiet verplant, die Umweltverträglichkeitsprüfung für die Projekte startet im Herbst.

Eine Aufnahme vom ÖBB-Terminal aus dem Jahr 2010
Eine Aufnahme vom ÖBB-Terminal aus dem Jahr 2010 (c) imago stock&people (imago stock&people)

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