Die unabhängige Präsidentschaftskandidatin und ÖVP-Europapolitiker Karas warnen vor einer Polarisierung durch Hofer.
Wien. Nein, eine Wahlempfehlung sei das nicht, versicherte die – knapp an der Stichwahl gescheiterte – Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss, als sie am Mittwoch gemeinsam mit Alexander Van der Bellen vor die Medien trat, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass sie bereits gewählt habe, und zwar Van der Bellen. „Wahlempfehlungen sind etwas Antiquiertes“, sagte die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs. Der mündige Wähler brauche das nicht.
Warum sie sich dann hinstelle und ihre Wahlentscheidung preisgebe? Weil in den vergangenen Tagen eine Polarisierung spürbar geworden sei, ein „Lagerwahlkampf auf erschreckend tiefem Niveau“, sagte Griss. Viele ihrer Wähler hätten sie gefragt, wen sie in der Stichwahl am Sonntag wählen sollten bzw. angekündigt, weiß zu wählen. Das sei aber keine Option: „Wir müssen wählen.“
Grundsätzlich hält Griss beide Kandidaten für wählbar, auch Norbert Hofer. Aber ihren Kriterien an das höchste Amt im Staat, „Weltoffenheit, eine konstruktive Mitarbeit in Europa, eine Amtsführung mit Maß“, werde Van der Bellen eben eher gerecht.
Ähnlich äußerte sich EU-Europaabgeordneter Othmar Karas gegenüber der „Presse“. Er ist nun der einzige aktive ÖVP-Politiker, der offen Van der Bellen unterstützt. „Meine Liebe und Verantwortung für Österreich lassen mir keine andere Wahl. Van der Bellen stellt Österreich in Europa nicht ins falsche Eck. Er ist berechenbar, europäischer, unabhängiger, verantwortungsvoller.“ Außerdem stehe er auf dem Boden der Verfassung, unserer internationalen Verpflichtungen und den Menschenrechten. Karas warnt: „Hofer hat einen professionellen Wahlkampf gemacht. Der Schein trügt aber. Er ist nicht unabhängig von Strache, Kickl und Le Pen, sondern deren Instrument. Unsere Zukunft und die europäische Demokratie braucht einen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.“
Auf die Frage, ob er sich wünsche, dass weitere ÖVP-Politiker Van der Bellen unterstützten, gab sich Karas zurückhaltend: „Jeder solle tun, was er für richtig hält.“ Am 22. Mai finde eine Grundsatzentscheidung statt. Es gehe um die Rolle des Bundespräsidenten nach innen und Österreichs Rolle und Ansehen in Europa und der Welt. (pri/wb)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2016)