Ein Gute-Laune-Kanzler und keine „Selbstgeißelung“

Austrian new Chancellor Kern gives a thumb up as he leaves after the swearing in ceremony in the presidential office in Vienna
Austrian new Chancellor Kern gives a thumb up as he leaves after the swearing in ceremony in the presidential office in Vienna(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Neo-Kanzler Kern predigte gegen Stillstand und Dogmen. Vizekanzler Mitterlehner gab ein „Ich will“-Versprechen ab, verteidigte aber auch die rot-schwarze Ära Faymann.

Wien. Es ist wie bei einem Motivationsseminar für Spitzenmanager und Abteilungsleiter. Nur ist da der Vortragssaal nicht gesteckt voll, und der ORF überträgt nicht direkt. Neo-Bundeskanzler Christian Kern spricht am Donnerstag bei seiner Premiere auf der Regierungsbank im Hohen Haus im Stil eines Aufbautrainers an seine Regierungsmitglieder, alle Parlamentarier und Zuseher. Seine zentrale Botschaft zielt mit seinem Amtsantritt auf einen Stimmungsumschwung. In der Wirtschaft mit einem New Deal zur Ankurbelung von Investitionen und Beschäftigung und in der Bevölkerung: „Die größte Wachstumsbremse ist am Ende des Tages die schlechte Laune.“

Kaum Ankündigungen

Selbst renommierte Journalistinnen liegen dem 50-jährigen Regierungs- und SPÖ-Chef seit seinem ersten medialen Auftritt am Dienstag zu Füßen. Dafür reicht es aus, dass ein Bundeskanzler statt in „Wortkaskaden“ in knappen, einprägsame Sätzen ohne Rednerpult sprechen kann. Vom Manuskript abgelesene Regierungserklärungen waren einmal. Kern überrascht die Abgeordneten und prominenten Zuhörer auf der Galerie, angefangen von Bundespräsident Heinz Fischer über Rechnungshof-Präsident Josef Moser bis zu dem zuerst in den Bawag-Sumpf und dann in Gewerkschaft und SPÖ in Ungnade gefallenen Ex-ÖGB-Präsidenten Fritz Verzetnitsch, mit der frei vorgetragenen Erklärung. Diese dauert nur gut 20 Minuten. Kern verzichtet dabei bewusst mit Ausnahme des New Deal auf die vollmundige Ankündigung konkreter Vorhaben.

Der im Eiltempo bestellte Chef der rot-schwarzen Regierung verpasst sich das Prädikat „frischgefangener Politiker“. Er schließt nahtlos an die bereits am Dienstag erfolgte scharfe Abgrenzung zur fast achtjährigen Amtszeit seines Vorgängers Werner Faymann an. Der Ex-ÖBB-Chef verfällt dabei mitunter in Plattitüden von Marketing-Managern wie „Die Politik muss raus zu den Menschen“.

„Wer keine Visionen hat, braucht Arzt“

Kern verdammt, dass Österreich ein Bild des Stillstands abgebe. Er trommelt sein Versprechen zum Dialog: „Mein Verständnis ist, dass wir nicht über fertige Konzepte, Dogmen und Doktrinen reden.“ Er geißelt die Kompromisssucht und peitscht unausgesprochen vor allem Rot und Schwarz: „Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen.“ Er kanzelt rituelles Politgehabe ab: „Politik wird vielfach in der Öffentlichkeit wie eine Art Hunderennen wahrgenommen.“

Der „Frischgefangene“ stellt dem sein Amtsverständnis mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zu Visionen gegenüber. Selbst in den Reihen der ÖVP und der Oppositionsparteien erntet er süffisantes Lächeln, weil der designierte SPÖ-Vorsitzende sich zur Abwandlung eines Bonmots aufschwingt: „Im Jahr 2016 bedeutet keine Visionen haben, dass derjenige, der keine Visionen hat, tatsächlich einen Arzt braucht.“ Kern spielt damit auf einen Ausspruch an, der dem ehemaligen Langzeitkanzler Franz Vranitzky zugeschrieben wurde, der aber von der verstorbenen SPD-Ikone Helmut Schmidt stammt.

Für Ex-SPÖ-Chef Faymann war die eindeutige öffentliche Absage an die FPÖ Fixpunkt in dessen Reden. Davon unterscheidet sich Kern in Tonalität und Schärfe. Auf das Verhältnis zur FPÖ gemünzt ist nur jene Passage, in der der jetzige rote Regierungschef dem Appell zur Weltoffenheit ein Plädoyer für eine „Politik der Heimatverbundenheit und des Patriotismus“ gegenüberstellt und eine Absage an „Chauvinismus und Hetze gegen Minderheiten“ anschließt.

Der Applaus nach Kerns Rede ist selbst bei seinen Genossen nicht übertrieben und demonstrativ überschwänglich. Bei der ÖVP klatschen manche verhalten, andere wie Klubobmann Reinhold Lopatka oder die frühere Finanzministerin Maria Fekter kaum bis gar nicht.

Mitterlehner verspricht: „Ich will“

Gemäß Tagesordnung folgt nun unmittelbar eine Erklärung des nicht neuen Vizekanzlers. Reinhold Mitterlehner bekundet gleich, dass er zu einer neuen Form der Zusammenarbeit der rot-schwarzen Regierungspartner und zu einem neuen Stil in der Politik bereit ist. „Ich will“, sind die ersten Worte aus dem Mund des ÖVP-Chefs. Und: „Ich glaube, unsere Seite will auch.“

Das ist allerdings viel weniger bemerkenswert als die folgenden Sätze zur Ehrenrettung Faymanns, dessen Namen manchen Sozialdemokraten seit dessen Rücktritt vor nicht einmal zwei Wochen nicht mehr über die Lippen kommen will. Der bisherige Bundeskanzler habe in einer schwierigen Zeit vor allem in Europa intensiven Einsatz für Österreich gezeigt, sagt Mitterlehner würdigend. Der ÖVP-Obmann verwahrt sich außerdem im Gegensatz zum Bild, das Kern eben von der bisherigen Regierungspolitik gezeichnet hat, unüberhörbar gegen „lauter Selbstgeißelung“. Es sei auch nicht so gewesen, dass Faymann als „Einzelunternehmer“ politisch in der Koalition tätig gewesen sei. Ein kleiner Seitenhieb auf den Umgang der SPÖ mit ihrem Ex-Parteichef. Faymann dankt Mitterlehner für das Lob via SMS.

Der Neue neben ihm und dessen Rede hat den Vizekanzler angespornt. Mitterlehner redet frei und lässt aufblitzen, dass auch er rhetorisch einiges drauf hat, wenn er gefordert ist. Subtil übermalt er Kerns ganz düster gehaltenes Bildnis der rot-schwarzen Zusammenarbeit: „Es gibt den Schein, dass alles Stillstand war.“

Dem hält er die Bewältigung der Wirtschaftskrise 2009, das Ende der Erdgaskrise, die Steuerreform und sogar die Abkehr von der Parteibuchwirtschaft entgegen. „Man schaffte es selbst zur Präsidentin des Obersten Gerichtshofs ohne Parteibuch.“ Dieser späte Konter gilt Ex-OGH-Chefin Irmgard Griss, die im ersten Durchgang des Wahlkampfs für das Bundespräsidentenamt stets ihre Unabhängigkeit wie eine Leuchtfackel vor sich hergetragen hat.

Lopatka und Kern in der Telefonzelle

In der Debatte sind zuerst die Klubobleute an der Reihe. Für die FPÖ ruft Heinz-Christian Strache einmal mehr nach baldigen Wahlen, SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder wirft ihm vor, mit seinem Old-School-Politikverständnis habe er sich selbst ins Winkerl gestellt, Grünen-Chefin Eva Glawischnig gibt Rot-Schwarz eine „letzte Chance“.

Größer wird das Interesse, als ÖVP-Klubobmann Lopatka zum Rednerpult tritt. Der hat zuletzt gegen Kern als ÖBB-Chef gestichelt, war aber von Mitterlehner zurückgepfiffen worden. Schon am Vorabend hat Lopatka im ORF-Fernsehen mit Hinweis auf den einstigen deutschen Kanzler Konrad Adenauer betont, man könne über Nacht klüger werden. Jetzt versichert Lopatka subtil, die Zusammenarbeit, „wie sie vom Herrn Vizekanzler angesprochen wurde“, werde von ihm voll unterstützt. So viel Applaus hat ein ÖVP-Klubchef noch selten aus den Reihen der SPÖ-Abgeordneten erhalten.

Aber der ÖVP-Fraktionschef bleibt Kern nichts schuldig. „Ich habe mich noch nie in einer Telefonzelle gesehen“, sagt Lopatka. Denn der neue Kanzler hat zuletzt auch mit „Selbstmordattentätern“, die sich in Telefonzellen in die Luft sprengen, abgerechnet. Nun setzt Lopatka auf den sich modern gebenden Kanzler nach, seien Telefonzellen in Handy-Zeiten „ein uraltes Bild“.

AUF EINEN BLICK

Regierungserklärung. Mit Reden des neuen Bundeskanzlers, Christian Kern (SPÖ), und von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) im Nationalrat erfolgte vorerst der Schlusspunkt der Rochade im roten Regierungsteam. Kern bekräftigte seine Ankündigung für einen „New Deal“ für Wirtschaft und Beschäftigung und für sein Projekt „Österreich 2025“. Die neuen SPÖ-Regierungsmitglieder stellten sich auch den Abgeordneten vor: Bildungsministerin Sonja Hammerschmid, Verkehrsminister Jörg Leichtfried, Kanzleramtsminister Thomas Drozda und Staatssekretärin Muna Duzdar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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