Die ökonomische Muse von Kanzler Kern

Designated Austrian Chancellor Kern of the Social Democratic Party (SPOe) reacts during a news conference in Vienna
Designated Austrian Chancellor Kern of the Social Democratic Party (SPOe) reacts during a news conference in ViennaREUTERS
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Was ist die wirtschaftliche Vision des neuen SPÖ-Chefs? Sein iPhone-Beispiel zeigt: Er will einen Staat, der kraftvoll investiert. Dahinter stehen Thesen der Innovationsforscherin Mariana Mazzucato.

Wenn Christian Kern erklären will, was er mit seinem „New Deal“ für die Wirtschaft meint, dann greift er zum Telefon. Allerdings nur im übertragenen Sinne. Dem frisch gekürten Kanzler dient das iPhone von Apple als Beispiel dafür, wie sich Staat und privat ergänzen sollen: Die öffentliche Hand investiert mutig große Summen in die Grundlagenforschung. Wo die Saat aufgeht, setzen private Unternehmen sie in Markterfolge um. So war es auch beim iPhone: Keine einzige der bahnbrechenden Technologien im „Computer für die Westentasche“ stammt tatsächlich aus der Garage von Steve Jobs. Ob Halbleiter, Internet, Touchscreen, Navigationssystem oder Sprachassistent: Immer sorgten staatliche Labors, militärische Programme oder öffentlich finanzierte Unis für den Durchbruch.

Zu dieser Erkenntnis kam der neue Hoffnungsträger der heimischen Politik freilich nicht durch Eigenrecherche und Grübelei. Der Vielleser ist vielmehr ein Fan von Mariana Mazzucato. Die Innovationsforscherin mit italienischen Wurzeln landete mit der Streitschrift „Das Kapital des Staates“ einen Bestseller, durch den sie zur Kultfigur linker Intellektueller avancierte.

Die „Presse am Sonntag“ traf die temperamentvolle Ökonomin, die an der Universität von Sussex lehrt, vor einem Jahr in London. Auch sie griff damals rhetorisch zum iPhone – freilich mit erbittertem Unterton. Denn die 47-Jährige nimmt es den undankbaren IT-Konzernen übel, dass sie so wenig Steuern zahlen, obwohl der Staat ihren Erfolg erst ermöglicht hat. Ihr Furor trifft auch die US-Republikaner, die vom Erfolgsmodell öffentlicher Innovationskraft abrücken: „Wer den Staat nicht mag, beschreibt ihn als so öde und langweilig, dass niemand Interessanter mehr für ihn arbeiten will.“


USA als Vorbild. Eben-noch-ÖBB-Chef Kern findet die Politik jedenfalls noch spannend genug. Aber die Umsetzung seiner geborgten Vision dürfte auf zahlreiche Hürden und Fallen stoßen. Denn auch wenn Mazzucato von einem abstrakten Staat spricht, denkt sie doch meist an einen ganz konkreten: die USA, wo sie aufgewachsen ist. Ausgerechnet in der Hochburg des Kapitalismus entstand über viele Jahrzehnte ein spezielles Biotop von dezentralen Behörden, die immense Beträge gezielt in Forschungsprojekte lenken. Ähnlich läuft es sonst nur noch in Israel. In beiden Ländern stehen am Anfang meist Anforderungen des Militärs.

Zwar lobt sie auch Deutschland, das als Vorbild für Österreich praktikabler wäre. Aber beim Fraunhofer-Institut und der Förderbank KfW geht es doch um vergleichsweise klein gebackene Brötchen. Im großen Stil investieren könnte Europa als Ganzes, was außer in der Kernforschung (das Cern in Genf) bis heute nicht gelungen ist. Damit das kleine Österreich etwas bewegen kann, müsste es beträchtliche budgetäre Mittel freischaufeln. Kürzt die Regierung dafür die Sozialbudgets, begehrt die SPÖ-Basis auf. Erhöht sie die Steuern, verspielt Kern den Vertrauensvorschuss aus der Wirtschaft, den er für seine viel beschworene Aufbruchsstimmung braucht. Die jetzt genüsslich schnurrende Katze würde sich alsbald in den Schwanz beißen.

Dazu kommt: Ein Staat nach dem Ideal Mazzucatos geht gewaltige Risken ein. Er investiert in einer Phase, in der noch völlig ungewiss ist, ob eine neue Technologie zum Erfolg führt. Beim Plaudern gibt die Autorin gern zu, was sie in ihrem Buch geflissentlich unter den Tisch kehrt: dass auch der Staat dabei „oft viel Mist macht“. Viele öffentlich gewollte Innovationen sind spektakulär gescheitert, vom Debakel der französischen Concorde bis zu den jüngsten Solar-Flops der Amerikaner. Kein Vorwurf, sondern Schicksal.

Was wiederum bedeutet: Die öffentliche Hand braucht nicht nur volle Kassen, sondern auch einen sehr langen Atem. Das aber steht im diametralen Widerspruch zu den Erwartungen an Kern. Er soll möglichst schnell „liefern“, am besten schon bis zum Herbst, damit der Zauber des Neustarts nicht verblasst: höheres Wachstum, weniger Arbeitslose – und damit weniger unzufriedene Wähler, die zur FPÖ mit ihren populistischen Parolen überlaufen.

Wie will Kern also hehre Vision und holprigen Politikalltag unter einen Hut bringen? Offenbar durch Anreize, damit Unternehmen wieder echte Erweiterungsinvestitionen wagen. Laut „Trend“ könnte es dabei um Prämienmodelle gehen, bei denen die öffentliche Hand jeden Euro verdoppelt, der in zukunftsträchtige Sektoren investiert wird. Oder um Abnahmegarantien und Investitionsfreibeträge für Start-ups. Wenn das stimmt, dann hat man in Kerns Umfeld die Botschaft von Mazzucato gründlich missverstanden.

Auch wenn solche Werkzeuge in der Praxis recht rasche Wirkung versprechen: In der Denkwelt der Volkswirtin sind diese Förderungen hinausgeworfenes Geld, weil sie nur subventionieren, was in der Privatwirtschaft früher oder später ohnehin geschieht. Der Staat müsse vielmehr „das tun, was die Privaten nicht tun“ – also selbst in ungewisse Zukunftsthemen investieren, an die sich kein Unternehmen und kein Kapitalgeber heranwagt.

Mission possible. Nun ist es nicht erst ihre Erkenntnis, dass bei Grundlagenforschung der Markt versagt und der Staat einspringen muss. Aber es geht ihr nicht darum, dass er „einen kleinen Defekt repariert“, sondern „aktiv Märkte gestaltet“, weil er eine „große Idee, eine Mission“ hat. Zumindest das sollte sich auf hiesige Verhältnisse herunterbrechen lassen: mit einem vernetzten Gesamtplan für staatliche Investitionen, der Unis und Unternehmen einbindet. Dazu braucht es keine schwer aufzutreibenden Milliarden, sondern nur die Zielstrebigkeit und den Überblick eines guten Managers. Beides Qualitäten, die Kern mitbringen sollte. Und vielleicht kann er ja seine Muse Mazzucato als Beraterin engagieren.

Zur Person

Mariana Mazzucato(47) ist eine Ökonomin, die zum Thema Innovation forscht und an der Universität von Sussex in England lehrt. Sie hat italienische Eltern, wuchs aber in den USA auf und besitzt beide Staatsbürgerschaften. Die Mutter von vier Kindern ist mit einem italienischen Filmproduzenten verheiratet.

„Das Kapital des Staates“ ist die Übersetzung ihres Erfolgsbuches, das im Original treffender „The Entrepreneurial State“ heißt (Verlag Kunstmann, 320 Seiten).
Giliola Chistè

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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