Christian Kern: „Griss wäre eine sehr gute Kandidatin“

Christian Kern im Bruno-Kreisky-Zimmer im Bundeskanzleramt: „Wir haben nicht vor, Österreich in einen autoritären Führerstaat zu verwandeln.“
Christian Kern im Bruno-Kreisky-Zimmer im Bundeskanzleramt: „Wir haben nicht vor, Österreich in einen autoritären Führerstaat zu verwandeln.“(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Irmgard Griss kann er sich als nächste Rechnungshofpräsidentin vorstellen, eine Koalition mit der aktuellen FPÖ-Führung eher nicht, sagt der neue Bundeskanzler, Christian Kern.

Die Presse: Der neue Kanzler heißt Christian Kern, der nächste Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Ist das der Beginn einer rot-grünen Ära in Österreich?

Christian Kern: Das sehe ich schon deshalb nicht so, weil das die arithmetischen Grundzusammenhänge außer Kraft setzen würde.


Sie meinen, das bildet die realen Verhältnisse nicht ab.

Es gibt ja auch keine rot-grüne Koalition. Wir werden uns aber bemühen, Bündnisse aufzusetzen, die über die Regierung hinausgehen. Reinhold Mitterlehner und ich wollen die Opposition intensiver einbeziehen und auch den Rechnungshofpräsidenten. Denn es mangelt ja nicht an guten Vorschlägen in diesem Land, sondern an deren Umsetzung.


Wann werden Sie damit beginnen?

Wir werden kurzfristig eine Reihe von Dingen vorschlagen, über den Sommer aber auch in Ruhe sortieren, was wir umsetzen wollen.


Wird das ein neues Koalitionsabkommen – oder ein Sideletter zum bestehenden?

Als das Abkommen formuliert wurde, gab es die Flüchtlingsbewegungen noch nicht in diesem Ausmaß. Wir haben Jahre mit unterdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum und steigender Arbeitslosigkeit erlebt. Auf Basis des Koalitionspaktes müssen wir jetzt schauen, dass wir neue, weiterführende Antworten auf diese Probleme finden.


„Agenda 2018“ – oder wie wird dieses Ding dann heißen?

Es geht auch um ein mittelfristiges Bild bis 2025. Das ist für die Politik ein atemberaubend langer Zeithorizont. Aber ich möchte, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen, welche Vision wir von Österreich in der Zukunft haben. Das Ergebnis wird dann eines Tages auch ein Mascherl bekommen.


Sie werden große Würfe brauchen, um die vielen enttäuschten Menschen wieder zu gewinnen.

Mir ist bewusst, dass es dieses Bedürfnis gibt. Aber das Ganze wird natürlich auf Basis der Kontinuität der Zweiten Republik geschehen müssen. Wir haben nicht vor, Österreich mit diesem Programm in einen autoritären Führerstaat zu verwandeln. Aber große Reformwürfe werden wir brauchen.


Was haben Sie vor?

Wir müssen in vielen Punkten die Spielregeln ändern. Mit den Produktionsmodellen der vergangenen Jahre werden wir die wirtschaftliche Zukunft nicht gestalten können. Die Globalisierung und die Digitalisierung sind prägende Kräfte in unserer Gesellschaft, vor denen wir uns nicht verstecken dürfen.


Welche Wirtschaftspolitik ist von Ihnen zu erwarten? Kreisky? Keynes? Der US-amerikanische „New Deal“ war ja ein Modell staatlicher Interventionspolitik.

Was an Bruno Kreiskys Wirtschaftspolitik links war, war schon damals nicht immer klar. Das war – zugespitzt formuliert – Modernisierung plus Rhetorik von Charly Blecha. Ich habe das Apple-Beispiel – öffentliche Grundlagenforschung, die von privaten Unternehmen zum Endprodukt geformt wird – nicht gebracht, weil das Produkt so cool ist, sondern weil da ein Diskurs dahintersteckt, in dem es heißt, nur das Private sei das Großartige. Und alles, was öffentlich zur Verfügung gestellt wird, sei schlecht und minderwertig. Von dieser Erzählung müssen wir wegkommen. Der Markt ist ein Konstrukt. Und mir geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer sich Märkte in bestimmte Richtungen entwickeln können.


Können Sie die Deutlichkeit nachvollziehen, mit der Voest-Chef Eder zuletzt eine Standortdepression der Industrie zum Ausdruck gebracht hat?

Es ist evident, dass wir eine Investitions- und Konsumschwäche haben. Und dass wir beim Wachstum hinterherhängen. Insofern teile ich, was Eder gesagt hat. Schweden hat ähnliche Strukturen wie Österreich, aber eine bessere Innovationsdynamik. Und die wird von Leitbetrieben ausgelöst. So wie die Schweden Volvo und Ikea brauchen, brauchen wir eine Voest, eine Strabag, eine OMV. Das Ziel muss sein, diese Unternehmen zu unterstützen.


Ihr „New Deal“ bedeutet also: Wirtschaftspragmatismus.

Natürlich, aber auch Nachfrageförderung. Den Österreichern bleibt nicht viel von ihrem Bruttoeinkommen. In diesem Land zu Wohlstand zu kommen ist weit schwieriger als Wohlstand zu behalten.


Steuerreform?

Dieses Thema ist nie abgeschlossen, wobei ich da eine klare Vorstellung habe: Wir können uns keine weitere Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote leisten.


Heißt das: Niedrigere Lohnsteuern, dafür aber eine höhere Besteuerung von Vermögen und Kapital?

Das wird jedenfalls von vielen Experten vorgeschlagen.


Werden Sie Teile der Steuerreform, die 2016 in Kraft getreten ist, zurücknehmen?

Nein.


Die Registrierkassenpflicht ist nach wie vor ein wunder Punkt für die Wirtschaft.

Grundsätzlich ist das eine richtige Maßnahme. Man kann nicht gegen Steuerehrlichkeit sein. Feuerwehr- und Vereinsfeste – da bin ich mit Reinhold Mitterlehner einer Meinung – sind allerdings unter einem anderen Gesichtspunkt zu sehen. Die kann man nicht direkt mit Unternehmen vergleichen. Da wird man andere Lösungen suchen müssen.


Wie wollen Sie mit jenen fast 50 Prozent umgehen, die bei der Bundespräsidentenwahl Norbert Hofer gewählt haben?

Man muss ihnen klarmachen, dass manche Rezepte, die in diesem Wahlkampf angeboten wurden, Österreich nicht auf den Pannenstreifen, sondern in die Schredderanlage bringen. In einem Land, in dem ein Viertel der Arbeitsplätze und ein Drittel der Wertschöpfung an den Exporten hängt, zu glauben, es geht mit Isolationismus, ist Unsinn. Ja, wir müssen den Protest aufnehmen. Aber wir müssen realistische Lösungen anbieten.


Aber wie wollen Sie diese Frustrierten konkret erreichen?

Sie dürfen sich da keine Zauberkunststücke erwarten. Bismarck hat gesagt: „In sechs Monaten kann man viel zerstören, aber wenig Gutes bewirken.“ Wir werden eine gewisse Zeit brauchen, bis unsere Politik ankommt.


Für viele Hofer-Wähler waren die Flüchtlinge ein Motiv. Werden Sie an der Obergrenze von 37.500 Asylanträgen in diesem Jahr festhalten?

Dieser Beschluss ist die Basis, von der wir ausgehen. Es wäre ein kapitaler Fehler, das Sicherheitsbedürfnis der Menschen kleinzureden. Es ist richtig, wenn die Strafandrohung für öffentlichen Drogenhandel per 1. Juni auf zwei Jahre erhöht wird. Wir müssen aber auch für eine ordentliche Integration jener sorgen, die unsere Hilfe brauchen.


Was geschieht, wenn die Obergrenze Ende des Sommers erreicht ist?

Unser Ziel muss sein, diesen Wert einzuhalten. Dem voran ist aber die Frage zu stellen, wie viele Menschen wir überhaupt integrieren können. Wenn es – was ich nicht annehme – zu Problemen in den Schulen, im Gesundheitssystem kommt, möchte ich nicht an einer Zahl festhalten. Wenn aber die Integration gut funktioniert, wird wohl auch der 37.501 Platz in unserem Land finden.


Kann man Integration so schnell messen?

37.500 Asylanträge sind die Basis, anhand derer wir die Maßnahmen zu justieren haben. Die eine oder andere wird aber sicher Zeit brauchen, bis sie wirkt.


Werden Sie die Abschreckungspolitik mit Zäunen und Plakaten weiterführen?

Ich nehme nicht an, dass das der entscheidende Faktor ist, kann aber auch das Gegenteil nicht beweisen. Wir sind jedenfalls ganz schlecht beraten, wenn wir durch öffentliche Diskussionen Ängste schüren. Es ist ja jetzt schon so, dass die objektive Kriminalität und das subjektive Sicherheitsgefühl enorm auseinanderklaffen.


Wie wird die SPÖ künftig mit der FPÖ umgehen?

Es wird einen Katalog geben, in dem die Bedingungen definiert werden, unter denen wir bereit sind, mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten: Die Absicherung der sozialen Sicherheit, ein Bekenntnis zu Europa, ein gesunder Patriotismus, der sich eben nicht in Hetze gegen Minderheiten ergeht. Denn das ist ein absolutes No-Go.


Sie bleiben also bei der Vranitzky-Doktrin: Keine Koalition mit der FPÖ.

So würde ich es nicht formulieren. Aber wenn Sie mir die Frage stellen, ob ich mir vorstellen kann, mit der aktuellen FPÖ-Führung gedeihlich in einer Koalition zusammenzuarbeiten, wäre meine Antwort: Ich hätte große Zweifel, dass das funktionieren kann.


Wenn nicht mit Heinz-Christian Strache – vielleicht können Sie ja mit Norbert Hofer gedeihlich zusammenarbeiten?

Ich habe, ehrlich gesagt, keine große Differenz zwischen der Linie der FPÖ und der des Herrn Hofer feststellen können.


Weil Sie vorhin Bismarck zitiert haben: Für die Besetzung des Rechnungshofes haben Sie kein halbes Jahr mehr Zeit. Wer soll nächster Präsident werden?

Reinhold Mitterlehner und ich haben vereinbart, dass jeder Kandidaten nominiert. Uns ist aber eine gewisse Unabhängigkeit wichtig. Ich glaube, dass wir schlecht beraten wären, wenn wir versuchen, politische Kantonisten durchzusetzen.


Wäre Irmgard Griss eine solche Kandidatin?

Irmgard Griss wäre eine sehr gute Kandidatin. Für ihre Arbeit rund um die Hypo kann man ihr nur größte Wertschätzung entgegenbringen. Aber ich bin überzeugt, dass uns darüber hinaus noch vier, fünf weitere hervorragende Kandidatinnen einfallen werden.

Zum Interview

Premiere. Das erste Zeitungsinterview hat der neue Bundeskanzler, Christian Kern (SPÖ), der „Presse“ und den Chefredakteuren der Bundesländerzeitungen „Kleine Zeitung“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Salzburger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“ und „Vorarlberger Nachrichten“ gegeben. Das Gespräch fand gestern, Dienstag, nach dem Ministerrat im Bundeskanzleramt statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2016)

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