Grüne - „Zu sehr mit erhobenem Zeigefinger“

Grünen-Chefin Eva Glawischnig (r.) ist nach Van der Bellens Sieg selbst gefordert.
Grünen-Chefin Eva Glawischnig (r.) ist nach Van der Bellens Sieg selbst gefordert. APA/ROLAND SCHLAGER
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Tirols Parteichef Georg Willi sieht die Grünen mit Van der Bellen als Bundespräsidenten in der Gesellschaftsmitte angekommen. Glawischnig solle eine Regierungsbeteiligung aktiv angehen.

Für die Grünen stellt sich nach der Hofburg-Wahl die Frage, welche Lehren sie als Partei aus diesem Erfolg ziehen. Georg Willi, Nationalratsabgeordneter und Landessprecher der Tiroler Grünen, gibt Antworten zu den Konsequenzen.

Die Presse: Ist mit Alexander Van der Bellen als neuem Präsidenten das Tor zu einer grünen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene aufgestoßen worden?

Georg Willi: Mit ihm sind wir in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bisher waren wir Vorausdenker, manchmal unbequem und manchmal auch zu sehr mit dem erhobenen Zeigefinger. Letztlich immer ein Minderheitenprogramm. In der Person Van der Bellens ist es gelungen, Gruppen weit über die grünen Grenzen hinaus zu mobilisieren. Er ist als Grüner – das wussten alle – in die Breite der Gesellschaft vorgestoßen.


War es für die Grünen höchste Zeit, die Politik des erhobenen Zeigefingers aufzugeben?

Ja. Das sieht man dort, wo sie mitregieren. Sie lernen, dass man für Lösungen Mehrheiten finden und dafür Abstriche machen muss, ohne die eigenen Positionen aufzugeben.

Verstehe ich Sie richtig: Die Grünen sollten alles daran setzen, um nach der nächsten Nationalratswahl in der Regierung zu sitzen?

Damit die zentralen Probleme Österreichs gelöst werden können, ist es notwendig mitzuregieren. Unsere Ansätze sind keine theoretischen Konstrukte mehr, sie sind wissenschaftlich abgesichert. Wir sind zum Beispiel die einzige Partei, die eine ökosoziale Steuerreform durchführen und die Probleme rund um den Klimawandel angehen und lösen kann. Dafür braucht es eine Regierungsbeteiligung. Die anderen Parteien wollen keine unbequemen Entscheidungen treffen, weil sie Angst davor haben, Stimmen zu verlieren. Wir hingegen sagen, dass schmerzliche Veränderungen notwendig sind. Zu Beginn tun sie weh, aber mittelfristig und nachhaltig stellt sich der Erfolg ein.


Wie hoch schätzen Sie die Chancen einer grünen Regierungsbeteiligung im Bund nach der nächsten Wahl ein?

Etwa 60 Prozent. Das hängt sehr davon ab, wie sich die ÖVP entwickelt. Wenn Reinhold Mitterlehner nicht die Kraft hat, die Lopatkas in seiner Regierung, die für eine Politik des Bremsens stehen, die niemandem einen Erfolg gönnen und für alles eine Gegenleistung haben wollen, in den Hintergrund zu drängen, könnte Christian Kern die Geduld verlieren. Dann kommen neue Koalitionsvarianten ins Spiel.


Sie meinen SPÖ mit den Grünen und Neos.

Genau.


Was ist mit der Variante SPÖ, ÖVP und Grüne?

Das kommt nur infrage, wenn die ÖVP unbedingt in der Regierung sein muss, sich aber Rot-Schwarz nicht ausgeht.

Haben sich die Chancen der Grünen für eine Regierungsbeteiligung mit Christian Kern als Bundeskanzler dramatisch verbessert?

Ja, weil er offener ist und eher das Argumentative in den Vordergrund stellt als das politisch Strategische. Ich weiß das, weil ich als Verkehrssprecher viel mit ihm zu tun hatte.

Dann hoffen Sie also, dass Eva Glawischnig nach der nächsten Wahl eine Regierungsbeteiligung nicht wieder verabsäumt? Bei unserem letzten Interview meinten Sie, dass die Grünen nach der letzten Wahl 2013 zu früh aufgegeben und sich in die Opposition zurückgezogen haben.

Ich wünsche mir schon, dass sie eine Regierungsbeteiligung sehr aktiv angeht. Und ich weiß auch, dass sie das will. Nach den letzten Wahlen war sie eine Zeit lang sehr enttäuscht, dass die Grünen es nicht in die Regierung geschafft haben. Denn eine Regierungsbeteiligung ist nach außen hin das viel wichtigere und erfolgreichere Signal. Die Wiener Grünen sind das beste Beispiel. Sie haben die letzten beiden Wahlen verloren, die Niederlagen sind aber durch die Regierungsbeteiligung untergegangen.

Wird es vorgezogene Wahlen geben?

Im Moment glaube ich das nicht, weil es wirklich einen neuen Spirit in der Regierung gibt, das habe ich zuletzt selbst im Parlament gespürt. Ob dieser Spirit umgesetzt wird, werden wir in den kommenden Monaten sehen.


Ob Neuwahlen oder nicht: Wird die ÖVP mit Mitterlehner oder Sebastian Kurz als Spitzenkandidaten antreten?

Mit Kurz nur dann, wenn Mitterlehner von sich aus aufgibt. Dass die ÖVP ihren Vizekanzler abmontiert, glaube ich nicht.


Und wie soll es mit Ihnen weitergehen? Wollen Sie einmal Eva Glawischnig beerben?

Ich bin Teamspieler und nehme den Platz ein, der aus Sicht der Gruppe Sinn hat.


Schließen Sie es aus?

(Denkt lange nach, Anm.) Ich habe es nicht im Blick. Ich konzentriere mich auf meine Sprechertätigkeiten, und da gibt es viel zu tun. Ich sehe, dass die Stadtbewohner ein enormes Bedürfnis nach Lebensqualität haben und bereit wären, ihre Autos öfter stehen zu lassen, wenn man ihnen Alternativen bietet. Zudem können wir mit erneuerbaren Energien die Abhängigkeit von Öl überwinden und die gesparten Milliarden woanders investieren – etwa in die Bildung, Infrastruktur und das Sozialsystem.

ZUR PERSON

Georg Willi (57) ist ein grünes Urgestein. Der Innsbrucker ist Nationalratsmandatar, Mitglied des Bundesvorstands, Tiroler Landessprecher der Grünen und war von 1994 bis 2013 Klubchef im Landtag. [ Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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