Therapie für eine gespaltene Nation

Mediator Herbert Drexler: „Es geht nicht darum, dass einer seinen Standpunkt aufgibt, sondern es soll gemeinsam eine Lösungen gefunden werden.“
Mediator Herbert Drexler: „Es geht nicht darum, dass einer seinen Standpunkt aufgibt, sondern es soll gemeinsam eine Lösungen gefunden werden.“ (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Mediator und ein Psychotherapeut erklären, was man gegen die Polarisierung der Gesellschaft machen könnte.

Österreich ist ein Land, das weitgehend auf Konsens aufgebaut ist – konnte man zumindest bis vor Kurzem meinen. Bei allen Gegensätzlichkeiten in Gesellschaft und Politik gab es doch ein Grundverständnis gegenseitiger Akzeptanz. Doch dann kam der Flüchtlingsstrom und spaltete das Land: In Helfer und Skeptiker. Oder, unfreundlicher formuliert: In naive Anhänger der Willkommenskultur und Fremdenhasser. Die Präsidentschaftswahl gab dieser Spaltung auch politisch Ausdruck: Hier die Van der Bellen-Anhänger, dort die Hofer-Wähler.

Dass beide Lager annähernd 50Prozent erreicht haben, verstärkt das Bild einer gespaltenen Nation, in der hinter der Sachfrage „Wie geht man mit Flüchtlingen um?“ viele Bruchlinien sichtbar sind: Stadt gegen Land, sozial Benachteiligte gegen Gebildete, gesellschaftlich Liberale gegen Traditionalisten, um nur einige zu nennen. Die Gefahr, dass diese Polarisierung bestehen bleibt und zu einem zunehmend schärferen Ton in der politischen Auseinandersetzung führen wird, besteht. Lässt sich das ändern? Die „Presse am Sonntag“ hat mit zwei Fachleuten gesprochen, die sich professionell mit Konflikten befassen.


Ein Mediator für das Land. Unlösbar scheinende Konflikte ist Herbert Drexler in seiner Berufspraxis gewohnt. Trotzdem könne es gelingen, so der Präsident des Bundesverbands für Mediation, tragfähige Lösungen zu finden. Und zwar wie? In Konfliktsituationen prallen „subjektive Wirklichkeiten“ aufeinander, so Drexler. Jeder reklamiere für sich, dass seine Wirklichkeit die Wahrheit ist. Der erste Schritt der Mediation sei es, den Menschen zu helfen, dass sie erkennen, dass die subjektive Wirklichkeit eben subjektiv ist. Und dass sie andere Wirklichkeiten erkennen und anerkennen können.

Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, die Mediation auch zuzulassen: Diese beruht auf Freiwilligkeit. Die Mediation ist ein moderierter Prozess, in dem es nicht darum geht, dass einer seinen Standpunkt aufgibt, sondern gemeinsam eine interessensbasierte Lösung zu finden. Aufgabe des Mediators ist es auch, eine Eskalation durch Emotionen zu verhindern.

Die Methode wird bereits vielfach angewandt. Beispielsweise bei Konflikten in Unternehmen, bei Scheidungen, bei Nachbarschaftsstreits, bei denen man einen Mediationsversuch nachweisen muss, ehe man vor Gericht gehen kann. Aber auch in politiknahen Bereichen hat das Verfahren bereits Einzug gehalten: Bei großen Bauprojekten mit massiven Widerständen der Anrainer wird mittels Mediation versucht, gemeinsame Lösungen zu finden.

Stolz ist Drexler auf ein Projekt im Bereich der Schulen: Der Verband bildet Schüler zu Peer-Mediatoren aus, als Antwort auf die Konflikte, die auch in den Schulen zunehmen. Drexler: „In Amerika schult man die Lehrer im Gebrauch der Waffe. Auch eine Methode, mit Konflikten fertigzuwerden.“

Und in der aktuellen Flüchtlingsfrage? Auch da wäre Mediation möglich, meint Drexler. Der Mediator müsste darauf hinweisen, dass über grundlegende Bedürfnisse der Menschen diskutiert wird, nicht über Standpunkte: „Statements wie ,Wien darf nicht Istanbul werden‘ – was soll man darüber diskutieren?“ Aber: Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Sicherheit, sie haben Angst um ihre Arbeitsplätze.

Und wer könnte die Rolle des Mediators für ein ganzes Land übernehmen? Eine Möglichkeit wäre ein Weisenrat. Dieser dürfe aber selbst keine Machtposition einnehmen. Die andere Möglichkeit: Der Bundespräsident hätte „keine schlechte Position für diese Rolle“. Er müsste nach der Angelobung für einen Dialog im Sinn einer Mediation sorgen, im Sinn von: Was sind die Interessen der Bevölkerung, was die Interessen der einzelnen Parteien? Alexander Van der Bellen sieht er für diese Rolle durchaus geeignet.


Ein Psychotherapeut für das Land. Mit Konflikten hat auch Peter Stippl, Präsident des Bundesverbands für Psychotherapie, in seiner Praxis häufig zu tun. Gäbe es auch eine Therapie für ein gespaltenes Land? Im Prinzip schon, meint Stippl, allerdings gelte hier das Gleiche wie für jede Psychotherapie: Grundvoraussetzung sei die Einsicht des potenziellen Patienten in die Problemlage und der Wille zur Veränderung. „Wesentlich ist, dass jemand die Energie aufbringt zu sagen: ,Ich benötige Hilfe.‘“

Dann gehe es darum, das Gemeinsame in den Mittelpunkt zu stellen und das Trennende zu relativieren. „Es gibt so viel Gemeinsames in dem Land, nur der Weg dorthin wird unterschiedlich gesehen“, so Stippl. Auf dem Land sei ein Abbau der Konflikte jedenfalls leichter als in der Stadt. Denn dort gebe es mehr Gemeinsamkeiten – bei Feuerwehrfesten und Kirchenfesten sieht man sich andauernd. „Und da will man nicht mit der Hälfte der Leute zerstritten sein.“

Beim Thema Flüchtlinge sieht Stippl einen Ansatz: „Es gibt nichts Verbindenderes als gemeinsam zu arbeiten.“ Eine Methode, die auch bei aggressiven, gewalttätigen Jugendlichen angewandt wird: Wenn diese auf einem Boot oder einem Berghof auf sich allein gestellt sind, entstehe Kooperation und Gemeinschaft.

Ein Therapeut könne freilich nicht im Alleingang ein Land heilen – „das wäre eine Größenfantasie“ – sondern bedürfe der Mitarbeit des Umfelds. So wie in einer Therapie ja auch oft das Umfeld des Klienten eingebunden wird. Diese Rolle könnten Sport- und Kulturvereine, Parteien oder Religionsgemeinschaften übernehmen. Und noch eine Anregung hat Stippl: „Den Humor nicht zu kurz kommen lassen. Das ist eine Ressource. Lachen ist erlösend.“

Zu den Personen

Herbert Drexler war Manager bei Siemens. Seit 2010 ist er selbstständiger Unternehmensberater, Mediator und Coach. Er ist Präsident des Bundesverbands für Mediation.

Peter Stippl ist seit 1995 Psychotherapeut, er leitet auch die Krisenintervention Burgenland. Stippl ist Präsident des Bundesverbands für Psychotherapie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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