Ein Ort, am Wahlzettel gespalten - im Wirtshaus vereint

Am Stammtisch beim Schurlwirt in Pillichsdorf war das Unentschieden bei der Wahl Thema
Am Stammtisch beim Schurlwirt in Pillichsdorf war das Unentschieden bei der Wahl Thema (c) Julia Neuhauser
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Im niederösterreichischen Pillichsdorf haben 345 Bürger für Alexander Van der Bellen gestimmt. Exakt 345 wählten auch Norbert Hofer.

Im Gemeindeamt Pillichsdorf wird gescherzt: „Noch hängt das Porträt von Heinz Fischer hier. Schon bald werden wir aber die Bilder von Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer nebeneinander aufhängen“, sagt Bürgermeister Franz Treipl (ÖVP). In seiner 1000-Seelen-Gemeinde im Bezirk Mistelbach im Weinviertel haben exakt 345 Einwohner am Wahlsonntag ihr Kreuz bei Van der Bellen gemacht – und exakt 345 bei Hofer. Ein Unentschieden, das die Gemeinde auf dem Papier spaltet.

Beim Schurlwirt, dem mittlerweile einzigen Gasthaus im Ort, hat es vor der Präsidentschaftswahl oft heftige Debatten gegeben. „Die beiden Lager haben sich einbetoniert. Es gab keine Zugeständnisse und viele Denunzierungen: Hofer sei ein Nazi und Van der Bellen ein Freimaurer und Kirchenfeind, hieß es da“, sagt der Bürgermeister. Irgendwie erleichtere ihn das Unentschieden. „Wir haben keinen Gewinner und keinen Verlierer produziert. Jeder Pillichsdorfer hat das Richtige gewählt und das Gefühl, dass seine Stimme wichtig war.“

Davon sind auch die drei Herren, die an diesem Vormittag mit Kaffee, G'spritzem und einem Achterl Weiß am Stammtisch Platz genommen haben, überzeugt. Politisch sind sie sich nicht einig. „Mein Lebtag war ich ein Schwarzer“, sagt der frühere Totengräber Schurl Vogt. Diesmal hat er Van der Bellen gewählt: „Weil ich die Marionette vom Strache nicht will.“ Auch Josef Keck hat sich für Van der Bellen entschieden. Hofer war ihm „zu jung“. Der pensionierte Tapezierer Franz, der zwischen den beiden sitzt, hat seine Stimme Norbert Hofer gegeben – „weil die anderen so viel Blödsinn machen“.

In seiner Familie werde schon lange nicht mehr über Politik gesprochen. Vorsichtshalber. Einer seiner Brüder sei „überrot“, der andere „übergrün“ und der Schwager „blau“. „Da wäre es fast einmal zur Rauferei gekommen.“ Im Wirtshaus und im Ort seien die unterschiedlichen Wahlentscheidungen aber kein Problem: „Gespalten ist bei uns wirklich gar nichts. Wer was wählt, ist so was von egal.“



„Wahl zwischen Pest und Cholera.“Auch der Bürgermeister sieht die Gemeinde nicht zweigeteilt. Bei der Präsidentschaftswahl sei es den meisten ja nicht um eine Herzensentscheidung, sondern „um die Wahl zwischen Pest und Cholera“ gegangen. Deshalb sei es auch nicht schwer, dass man sich in der traditionell schwarzen Gemeinde am Rande des Marchfelds „wieder in der goldenen Mitte trifft“. Schon bisher seien die Pillichsdorfer nicht empfänglich für Extreme gewesen. Es habe im Gemeinderat weder Blaue noch deklarierte Grüne gegeben.

Aufgewühlt scheint in der beschaulichen Gemeinde mit den gepflegten Vorgärten und der langen Kellergasse niemand zu sein. Die Mütter, die sich um 11.45 Uhr vor dem Kindergarten versammeln, um die Kleinen abzuholen, berührt die Hofburgwahl nur wenig: „Ich hab mit den Kindern andere Sorgen“, sagt eine junge Frau, während sie ihre Tochter zu trösten versucht. „Eine wirkliche Dorfgemeinschaft gibt es ohnehin schon lange nicht mehr. Die Jungen sitzen alle in ihrem eigenen Haus oder Garten“, sagt ein Großvater, der mit seinem Enkerl vorbeispaziert. Und die Zuagroasten, die Zugezogenen aus dem nahen Wien, die in den modernen Siedlungen am Ortsrand leben, kenne man persönlich erst gar nicht, sagen die Einheimischen.

Politisch scheinen die Pillichsdorfer des Öfteren zerrissen zu sein. Im Februar stimmten die Einwohner bei einer Volksbefragung über den Bau eines Gewerbeparks ab. Auch da war das Ergebnis mit 50,7 Prozent Nein- und 49,3 Prozent Ja-Stimmen denkbar knapp. „Das war entscheidender für den Ort und hat die Leute mehr aufgebracht als die Wahl“, sagt ein junger Mann, während er mit einem Besen die Einfahrt kehrt.

In den sozialen Netzwerken, wie auf Facebook, habe er die Aggression zwischen den Van-der-Bellen- und Hofer-Wählern sehr wohl gespürt. Nicht aber im Ort. „Ich habe Van der Bellen gewählt. Aber ich verstehe die Wahlmotive der anderen. Die Leute haben Angst – vor allem wegen der Flüchtlingskrise.“

In der Pfarrkirche hängt ein handgeschriebener Din-A4-Zettel: „Weiterhin suchen wir DRINGEND Wohnräume für Flüchtlinge!“ steht da geschrieben. Denn noch hat Pillichsdorf keinen Asylwerber aufgenommen. Im nahen Wolkersdorf gibt es bereits welche – und am Stammtisch beim Schurlwirt kennt man viele Geschichten darüber. Es wird von Flüchtlingen erzählt, die sich im Supermarkt bedienen, ohne zu bezahlen, und von Orten, an denen sich die Polizei gar nicht mehr hintraut. Widerspruch gibt es keinen – auch nicht von den Van-der-Bellen-Wählern.

Die Kirchenglocken läuten. Es ist zwölf. Beim Wirt haben sich die Tische mittlerweile auch abseits des Stammtischs gefüllt. An der Bar wird weiter politisiert: „Einen Präsidenten Hofer hätte ich mir schon vorstellen können, einen Kanzler Strache aber nicht. Der ist mir zu scharf“, sagt ein Pillichsdorfer. Dann betreten zwei Herren das Gasthaus: „Jössas! Da kommen die Grünen vom Lagerhaus“, werden sie neckisch begrüßt. Grün- und Blau-Wähler witzeln seit Wochen übereinander, sagt die Kellnerin: „Doch am Ende des Tages sitzen sie gemeinsam an einem Tisch und saufen miteinander.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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