Ob Jobs für Flüchtlinge, Bildung oder flexible Arbeitszeit: Regierung und Sozialpartner kamen sich zuletzt öfter in die Quere. SPÖ und ÖVP schrieben aber auch manchen Plan einfach ab.
Wien/Linz. Er lässt sich nicht gern abkanzeln. Reinhold Mitterlehner, ÖVP-Obmann und Vizekanzler, reagierte säuerlich darauf, dass Arbeiterkammer-Chef Rudolf Kaske (SPÖ) und auch Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl seinen Appell zur „Umorientierung“ weg vom Klienteldenken hin zu dem, was Österreich brauche, abgeschmettert hatten. Gerade von dieser Regierung brauche man sich das nicht sagen zu lassen, grantelte Leitl im ORF-Radio. Mitterlehner, früher Vizegeneralsekretär der Wirtschaftskammer unter Leitl, gab am Montag Kontra: „Wenn man die ganze Empörung jetzt hernimmt, ist das eher die Bestätigung dafür, dass die Vorwürfe in der Sache nicht falsch sind.“
Im Büro des Vizekanzlers wird darauf aufmerksam gemacht, dass Voest-Chef Wolfgang Eder am 6. Mai im „Presse“-Interview ebenfalls das System der Sozialpartnerschaft als „Hüter überkommener Strukturen“ gebrandmarkt habe. Da habe es keinen Aufschrei gegeben. Tatsächlich müssen freilich, wie eine Rückschau zeigt, Regierung und Sozialpartner bei Verzögerungen und Blockaden von Reformen vor der eigenen Tür kehren. Dies, obwohl beispielsweise bei der Regierungsklausur Ende September 2014 in Schladming die Sozialpartnerchefs ebenfalls mit im Boot waren.
► Bildung: Die Wirtschaftskammer erinnerte am Montag aus Anlass des Nationalen Bildungsberichts daran, dass SPÖ und ÖVP bei Neuerungen in der Schule säumig sind. Schon vor Jahren haben Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen flankiert von der Industriellenvereinigung Vorschläge für einen effizienteren Einsatz der Schulmilliarden vorgelegt. Rot und Schwarz haben sich am 17. November des Vorjahres unter Krämpfen mit den Ländern auf Reformschritte einigen können, aber zu Änderungen im Schulrecht gibt es vom Bildungsministerium erst einen Gesetzesentwurf. Ein halbes Dutzend weiterer Kapitel ist unerledigt. Jetzt ruhen die Hoffnungen auf Neoministerin Sonja Hammerschmid.
► Arbeit für Flüchtlinge und Ausländer: Anfang Mai gab es einen Gipfel der Regierung mit den Sozialpartnern, damit Asylwerber rascher Jobs erhalten und damit integriert werden. ÖGB, Arbeiter- und Wirtschaftskammer hatten sich auf Erleichterungen in Berufen mit fehlenden Fachkräften oder Lehrlingen verständigt. Wirtschaftsminister Mitterlehner war mit Blick auf die hohe Arbeitslosenrate ein Hauptbremser. Der Gipfel endete ergebnislos. Jetzt kommt der Vizekanzler in der Frage durch Bundeskanzler SPÖ-Chef Christian Kern unter Zugzwang. Bei Lockerungen der Ausländerbeschäftigung stand und steht besonders der Gewerkschaftsbund auf der Bremse. Bisweilen werden Vereinbarungen der Sozialpartner von der rot-schwarzen Regierung allerdings dankbar praktisch eins zu eins übernommen: So geschehen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte, einem Punktesystem für eine kontrollierte Zuwanderung für die in Österreich benötigten Arbeitskräfte im Jahr 2011.
► Arbeitszeit: Sehr verärgert war Mitterlehner, als 2014 ein von ihm mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) weitgehend ausgehandelter Plan für flexiblere Arbeitszeiten mit der Möglichkeit des Zwölf-Stunden-Tages torpediert wurde. Hauptschuldiger waren ÖGB und Arbeiterkammer, die unterstützt von der SPÖ die sechste Urlaubswoche für alle nach 25 Berufsjahren durchboxen wollten.
► Pensionen: Dankbar griffen SPÖ und ÖVP beim Pensionsgipfel am 29. Februar auf Papiere der Sozialpartner zurück, um Invaliditätspensionen durch Teilkrankenstände einzudämmen. Die Hälfte des eilig erstellten rot-schwarzen Deals war aus Sozialpartnervorschlägen früherer Jahre abgeschrieben worden. Mit einem höheren Frauenpensionsalter und automatischer Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters prallte die ÖVP an der Phalanx von Gewerkschaft und SPÖ ab. Auf den Gesetzesentwurf muss Österreich seither immer noch warten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)