Kern: "Befürchte keinen Dominoeffekt"

BREXIT: PRESSESTATEMENT VON BK KERN
BREXIT: PRESSESTATEMENT VON BK KERNAPA/BKA/ANDY WENZEL
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Der Bundeskanzler glaubt, dass die EU durch den Brexit an Bedeutung verlieren wird. Die FPÖ will eine "Neugründung der EU als reine Wirtschaftsunion".

"Das ist heute kein guter Tag für Großbritannien, für Europa, aber es ist auch kein guter Tag für unser Land." Mit diesen Worten eröffnete Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sein Statement zum Brexit-Referendum. Europa werde durch den Austritt Großbritanniens an Stellung und Bedeutung in der Welt verlieren.

Die nachhaltigen Auswirkungen, insbesondere im Bereich der Wirtschaft, würden noch "geraume Zeit zu spüren" sein, betonte Kern. Es gehe nun aber darum, diese so gering wie möglich zu halten. Für Österreich seien aber keine großen wirtschaftlichen Folgen zu erwarten. Aktuell beträgt der Anteil der Exporte nach Großbritannien fünf Prozent.

"Es kann nicht sein, dass wir permanent nur über Wettbewerbsfähigkeit reden"

Für den Kanzler zeigt das Referendum einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung. "Wir haben auch zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Referendum negativ ausgeht, wenn man davor zehn Jahre eine Fundamental-Opposition gegen europäische Fragestellung eingenommen hat." Die EU brauche eine Reform, bei der der Fokus "ganz klar auf Wirtschaftsfragen, auf sozialen Fragen" liegt, erklärte er. Vom europäischen Projekt dürften nicht nur Großkonzerne profitieren, in den Mittelpunkt müsse Fairness und die Verteilung von Wohlstand rücken: "Es kann nicht sein, dass wir permanent nur über Wettbewerbsfähigkeit reden".

Die Politik, "die wir betreiben", müsse "deutlich hinterfragt" werden, so der Kanzler. Die Fragestellung "mehr oder weniger Europa" wäre nun eine allerdings eine "Themenverfehlung".

"Ich befürchte keinen Dominoeffekt", betonte Kern: "Wir werden Österreich jedenfalls mit Sicherheit keinem Referendum aussetzen". Man müsse sich vielmehr fragen: "Wie schaffen wir, dass das europäische Projekt bei den Menschen wieder ankommt?“ Die Pro-Europäer hätten sich bisher "viel zu defensiv" verhalten.

Mitterlehner: "Europa muss sich möglichst rasch neu aufstellen"

Auch VP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sieht den Brexit als Zeichen für eine "tiefe Vertrauenskrise". Die EU werde nicht mehr als Friedens- und Wohlstandsprojekt wahrgenommen, sondern als Summe von Krisen, Ängsten und Nationalismen. "Europa muss sich möglichst rasch neu aufstellen", forderte Mitterlehner in einem schriftlichen Statement.

Wirtschaftlich gesehen geht der Politiker davon aus, dass es eine Zeit lang Unruhe an den internationalen Finanzmärkten geben werde, gepaart mit währungspolitischen Auswirkungen. "Die Lage sollte sich aber mittelfristig wieder beruhigen." Schließlich werde es sich das Vereinigte Königreich bei einem Exportanteil von rund 50 Prozent in Richtung EU und umgekehrt nicht leisten können, sich vollkommen abzuschotten. "Trotz der aktuellen Belastung des Wirtschafts- und Investitionsklimas sollten die Konsequenzen daher mittelfristig beherrschbar sein", so Mitterlehner.

FPÖ für "Neugründung der EU"

FP-Chef Heinz-Christian Strache forderte auf Facebook eine "Neugründung der EU als reine Wirtschaftsunion". Die politische EU sei gescheitert.  Die FPÖ spricht sich außerdem für den Rücktritt von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz aus. Diese stünden für die "Fleisch gewordene Fehlentwicklung in Europa", heißt es in einem Eintrag auf der FPÖ-EU-Website. "Mit etwas Anstand sowie auch Respekt vor einer guten Zukunft Europas sollen sich diese sofort zurückziehen", werden Strache und der FPÖ-EU-Abgeordnete Harald Vilimsky zitiert. Reformen könnten nur ohne Schulz und Juncker erfolgen.

"Sollte jedoch die EU an ihrer Reformunwilligkeit weiter erlahmen und auch noch Länder wie die Türkei hereinholen, dann sei auch für Österreich eine Abstimmung über den weiteren Verbleib in der EU eine politische Zielerklärung", so Strache und Vilimsky. Das Ergebnis des Referendums werten sie als "eine Weichenstellung für die Demokratie und gegen den politischen Zentralismus, aber auch gegen den anhaltenden Migrationswahn". Die FPÖ fordert "massive Redimensionierung der europäischen Institutionen, eine umfassende Rückgabe von Entscheidungskompetenzen aus Brüssel an die Parlamente der Mitgliedsstaaten sowie auch die Sistierung von Schengen in dieser chaotischen internationalen Situation". Auch die direkte Demokratie müsse wieder hohe Bedeutung in Europa erlangen.

Grüne befürchten "schwerwiegende Folgen"

Grünen-Chefin Eva Glawischnig befürchtet "schwerwiegende Folgen" der britischen Entscheidung. "Ein Neuaufbruch für Europa wird neuerlich aufgeschoben", konstatierte sie. Das Nein zu Europa sei Ergebnis "eines fahrlässigen politischen Spieles" von Cameron. "Für die fortschrittlichen Kräfte in Europa bedeutet dieses Ergebnis, dass wir uns zusammensetzen müssen, um eine Alternative zu den rückwärtsgewandten, nationalistischen und anti-europäischen Reflexen der rechten Parteien zu entwickeln."

Neos-Chef Matthias Strolz sprach von einer "bedauerlichen Entscheidung", warnte aber vor einer "Schockstarre" der EU: "Es muss jetzt möglichst rasch zu einer klaren Lösung zwischen Union und Großbritannien kommen." Der EU müsse nun reformiert werden, "und das rasch und entschlossen. Wir müssen einen grundlegenden Wandel einleiten."

Robert Lugar, Klubobmann des Team Stronach, sieht nun "das Tor zu einer Erneuerung der EU weit geöffnet". Die EU sollte zu ihren Anfängen als Wirtschaftsgemeinschaft zurückkehren. Die politische Union dagegen sei "zum Scheitern verurteilt".

>> FPÖ-EU-Website

(APA/Red. )

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