Prägnante Musiktheater-Figuren en miniature und en gros

Alfred Šramek
Alfred Šramek(c) Wiener Staatsoper / Michael Poehn
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Zum Tod von Alfred Šramek. Das treue Mitglied des Ensembles der Wiener Staatsoper absolvierte seit seinem Debüt 1975 mehr als 2500 Abende im Haus am Ring. Schon von schwerer Krankheit gezeichnet, trat Šramek im April noch als Mesner in „Tosca“ auf. Er starb am Donnerstag 66-jährig.

Mehr als 40 Jahre lang war er immer da, ob italienisches Fach oder deutsches, französisches oder russisches, ob in einer Kleinstrolle wie als Zweiter Gefangener im „Fidelio“ oder als Titelheld in Mozarts „Figaro“. Wie kaum ein anderer Sänger hat Alfred Šramek das Ensembletheater alten Stils repräsentiert, das trotz vieler Unkenrufe in Wien noch immer fröhliche Urständ feiert; und zwar weil Sänger von Šrameks Format bereit sind, das, was man gemeinhin als Karriere bezeichnet, nicht zu machen.

Von Kindesbeinen an sangesfreudig, wechselte der 1951 in Mistelbach geborene Teenager nach dem Stimmbruch von den Mozart-Sängerknaben ans Konservatorium. Seine Lehrer hießen Hilde Zadek und Fritz Klein – das Schicksal Šrameks war damit besiegelt. Denn beide, Zadek wie Klein, gehörten mit Leib und Seele der Wiener Staatsoper an. Das wache und lebhafte Naturell des jungen Niederösterreichers nahm die Signale auf und wusste sie wohl zu deuten: In Pfitzners „Palestrina“ debütierte er in der Ära Rudolf Gamsjägers.

Und wäre das Traditionsbewusstsein unter den verflossenen Direktoren – Šramek erlebte deren sechs – nicht verkümmert, dann hätte man dieses Werk niemals aus dem Spielplan genommen, und aus „Kapellsänger“ und „achtem Meister“ wäre in der wienerischen „Palestrina“-Hierarchie gewiss der eine oder andere Prälat oder Kardinal geworden, wie sie in diesem Gradmesser des Ensemblegeistes das Konzil des Mittelaktes bevölkern.

Im Übrigen aber hat Alfred Šramek alles, aber auch wirklich alles gesungen, was das trotz Pfitzner-Abstinenz reiche Repertoire der Wiener Staatsoper hergibt, vom Ersten Soldaten in der „Salome“ bis zu bedeutenden Partien des Mozart-Fachs, ob Figaro, Leporello oder Don Alfonso. Als Dulcamara in Donizettis „Liebestrank“, den er 59 Mal gesungen hat, oder als Bartolo in Rossinis „Barbier von Sevilla“ – der mit 175 Auftritten zu Šrameks meistgesungener Rolle wurde – hat er unvergessliche komödiantische Akzente gesetzt.

Diese waren bei ihm stets mit einem Schuss Selbstironie verbunden, die sich in ein bewusstes Understatement verwandeln konnte. Dem setzte Šramek, wenn es sein musste, schon als blutjunges Ensemblemitglied ein höchst selbstbewusstes Auftreten entgegen, das zum Gaudium der älteren Kollegen schon anlässlich der Proben zur Premiere von „Ariadne auf Naxos“ im zweiten Jahr von Šrameks Engagement zu einer Konfrontation mit einem Angstgegner sämtlicher Sänger und Musiker des Hauses führte. Auf Karl Böhms grantige Frage an den jungen Sänger, der den Lakaien sang, „Was gehen S' denn da herum, als ob Sie das Ganze nichts anginge? Wo ist der Regisseur?“, antwortete Šramek unerschrocken: „Der Regisseur hat mir gesagt, ich soll da herumgehen, als ob mich das Ganze nichts anginge.“

Lichtblicke der Wiener Ensemblekunst

Gefürchtet hat sich Šramek vor niemandem, weil er wusste, was er konnte und dass er allen Aufgaben, die ihm gestellt wurden – auch der spontansten Rettungsaktion –, immer gewachsen sein würde. Mit nonchalant hingestreuten Kabinettstücken, größter Musiktheaterkunst auf kleinstem Raum, hat er an schwachen Abenden für Lichtblicke gesorgt, und die stärksten Augenblicke der Wiener Oper wären ohne seine Charakterzeichnungen nicht so stark gewesen. Daran wird man auch bei prominent besetzten Abenden etwa in Puccinis „Tosca“ künftig immer denken; ein bisschen Šramek wird für Wiener Opernfreunde in Gedanken immer dabei bleiben!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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