Brussilows Armee überrennt Czernowitz

Erster Weltkrieg. Im Juni 1916 muss die östlichste Universitätsstadt der Donaumonarchie geräumt werden.

Am 18. Juni vor hundert Jahren muss die Universitätsstadt Czernowitz am östlichsten Rand der Monarchie evakuiert werden. Seit Tagen trommelt russische Artillerie auf die Stadt ein, die bereits von galizischen Flüchtlingen überfüllt ist. In den Zeitungen wird dieses dramatische Ereignis merkwürdig unterkühlt dargestellt. Wahrscheinlich, weil Czernowitz schon zweimal wegen des feindlichen Ansturms geräumt werden musste. Bis dahin haben die deutschen Professoren unbeirrt Vorlesungen gehalten: Cäsar Pomeranz, Leon Kellner, Hans von Frisch (ein Bruder des späteren österreichischen Nobelpreisträgers Karl von Frisch).

Am 4. Juni 1916 hatten die Russen unter dem Kommando von General Brussilow an der Ostfront mit einem Großangriff auf insgesamt dreihundert Kilometern Breite begonnen. Der russische Hauptstoß richtete sich gegen den nördlichen Frontabschnitt.

Es wurde zu einem verheerenden Schlag für die k. u. k. Armee und die deutschen Verbündeten. In nur drei Tagen hatte Österreich-Ungarn über 200.000 Soldaten verloren. Fast die Hälfte der Verluste waren Gefangene. Die Russen konnten Geländegewinne von achtzig Kilometern Tiefe erzielen und fast an der gesamten Südostfront vorrücken. Am 7. Juni wurde Luzk (heute Ukraine) erobert, am 18. Juni Czernowitz. Erst zusätzliche deutsche Truppen von der Westfront konnten die russische Offensive westlich des Styr schließlich zum Stehen bringen. Denn Österreich-Ungarn hatte keinerlei Reserven mehr. Die Soldaten mussten an der Südfront Italiens Angriffe am Isonzo abwehren.

Noch zwei Brussilow-Offensiven sollten in diesem Kriegsjahr 1916 folgen. Mit verheerender Wirkung – auch für die Moral der kaiserlichen Armee, deren Völkerschaften sich immer mehr auseinanderentwickelten. Zwar gab es ebenso in diesem Jahr keine Kriegsentscheidung an der Ostfront, aber katastrophale Verluste: Die habsburgische Armee eine Million Mann – ein Großteil davon Gefangene und Überläufer; die Deutschen verloren etwa 350.000 Mann. Aber auch die russische Armee zahlte mit 1,5 Millionen Soldaten einen enorm hohen Preis für ihre Offensiven, die letztlich nicht zum Durchbruch führten. Bei den Russen wuchs die Kriegsmüdigkeit ebenfalls.

Die Wiener „Neue Freie Presse“ berichtet in diesem Juni 1916 von einem Spendenrekord ihrer Leserschaft: Zehn Millionen für verwundete Soldaten, für Witwen und Waisen, für arbeitsunfähige Eltern. „Eine große Schuld wird gezahlt, eine unauslöschliche Dankbarkeit bestätigt und auch die Öffentlichkeit ist Pflicht, weil sie in diesem Falle ein notwendiges Bekenntnis und Beispiel, eine Kundgebung für die Armee wird . . .“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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