Winterkinder haben schlechtere Chancen im Sport

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Durch den relativen Alterseffekt bleiben in Kraftsportarten wie Fußball oder Skirennlauf Talente auf der Strecke. Ihr Geburtsdatum macht ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Robert Almer, Aleksandar Dragović, Christian Fuchs, Julian Baumgartlinger, Stefan Ilsanker oder David Alaba: Das sind nur einige Spieler des österreichischen Fußballnationalteams, die im ersten Halbjahr Geburtstag haben. Im Kader, der nach Frankreich geschickt wurde, sind acht Spieler im ersten und zehn Spieler im zweiten Quartal geboren. Aber nur drei Fußballer im dritten und zwei im vierten Quartal. Das ist nicht nur in Österreich so, sondern ein Phänomen, das Experten als relativen Alterseffekt in fast allen Nationalteams der Welt beobachten. Sportler, die zu Beginn eines Jahres auf die Welt gekommen sind, sind in Mannschaften deutlich überrepräsentiert.

Erich Müller, Leiter des Fachbereichs Sportwissenschaften der Universität Salzburg, hat sich den relativen Alterseffekt bei Fußballern angesehen und sich auf die Suche nach den Gründen für diese ungewöhnliche Verteilung gemacht. Schließlich ist in der Gesamtbevölkerung mit je einem Viertel pro Quartal die Verteilung sehr ausgewogen. „Es kann ja nicht sein, dass die im Jänner oder Februar geborenen Menschen sportlich talentierter sind als jene, die im November oder Dezember auf die Welt gekommen sind“, sagt Müller. Deshalb muss es andere Gründe für die ungleiche Verteilung geben.

Der Stichtag ist schuld

„Der Alterseffekt hängt mit dem Stichtag zusammen, an dem die Selektion der Talente erfolgt“, erläutert Müller. „Üblicherweise ist das im Fußball der 1. Jänner.“ In der sportlichen Praxis heißt das, dass ein Nachwuchsfußballer, der früh Geburtstag hat, um einige Monate mehr Zeit zum Training hatte als ein im Herbst geborener Konkurrent um den Platz in der Leistungsgruppe. „Gerade bei Kindern machen einige Monate oft große Unterschiede bei körperlicher, kognitiver und sozialer Entwicklung“, betont der Sportwissenschaftler.

Dazu kommt ein Vorsprung an Erfahrung und psychischer Stärke. „Durch diese Art der Selektion werden viele Talente nicht berücksichtigt“, ist Müller überzeugt. Jüngere Sportler eines Jahrgangs haben trotz ihrer Anstrengungen nur geringe Chancen, in die Elitemannschaft aufzusteigen.

Besonders stark ist der relative Alterseffekt bei Sportarten, die kraftbetont und sehr beliebt sind – etwa Fußball oder Skirennlauf. Dort ist der Selektionsdruck besonders groß. Müller hat mehrere Mannschaften im österreichischen Nachwuchsfußball untersucht und festgestellt, dass der relative Alterseffekt in allen Teams sehr ausgeprägt ist.

Der Forscher hat auch Vorschläge, wie man diesen Effekt minimieren oder gar ausschalten kann. Es sei wichtig, die Trainer für das Problem zu sensibilisieren. Technisch-taktische Fähigkeiten müssten in den Vordergrund gerückt und der biologische Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden.

Durch das bestehende System könnten sich nämlich bei den später im Jahr geborenen Sportlern meist nur jene durchsetzen, die körperlich Frühentwickler seien. Wer später im Jahr geboren und in seiner körperlichen Entwicklung nachhinkt, hat so gut wie keine Chance auf einen Platz in der Spitzenmannschaft.

Ein Ansatz könnte sein, einen rotierenden Stichtag einzuführen. Außerdem könnten zusätzliche Auswahlen für Spätentwickler oder Spätgeborene zu mehr Fairness beitragen und auch den Dezemberkindern mehr Chancen geben.

LEXIKON

Relativer Alterseffekt (RAE): Überrepräsentation von zu Beginn eines Selektionsjahres geborenen Athleten. Frühgeborene haben durch einen bestimmten Stichtag einen Altersvorsprung von bis zu zwölf Monaten. Eine Untersuchung unter heimischen Nachwuchsfußballern zeigte im U19- Nationalteam (Jahrgang 1995), dass 75 Prozent der Spieler im ersten oder zweiten Quartal geboren wurden. Bei der U17-Mannschaft waren es 76 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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