Hugo Dixon: "Die Brexit-Kampagne war teuflisch clever"

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Hugo Dixon, ein Wortführer der britischen EU-Befürworter, spricht über die Fehler von Remain und gibt David Cameron und Jeremy Corbyn die Mitschuld am Votum gegen die EU.

Die Presse: Die Briten haben sich für den Austritt aus der EU entschieden. Was ist schiefgelaufen?

Hugo Dixon: Viele Dinge. Allen voran hat Premierminister David Cameron den Fehler begangen, kein positives Narrativ über die britische EU-Mitgliedschaft zu entwerfen. Er beschränkte sich darauf, vor den Risken des Brexit zu warnen – was schön, gut und richtig war, aber er hätte auch davon sprechen sollen, welche Vorteile und Chancen die EU-Mitgliedschaft unserem Land bringt. Versagen Nummer zwei: Jeremy Corbyn, der Anführer der oppositionellen Labour-Partei, bemühte sich zu wenig, die Labour-Wähler für den Verbleib in der EU zu motivieren. Die Chefs der zwei größten politischen Gruppierungen Großbritanniens haben sich nicht wirklich ins Zeug gelegt.

Lag es also nur an der schlechten Performance der EU-Befürworter?

Nicht nur. Die Brexit-Kampagne war teuflisch clever. Ihre Macher führten die Öffentlichkeit mit Erfolg hinters Licht – vor allem, was die Zuwanderung anbelangt. Die Reisefreiheit innerhalb der EU wurde gezielt mit dem EU-Beitritt der Türkei und der Flüchtlingskrise verknüpft. Es wurde der Eindruck erweckt, die Türkei würde bis 2020 der Union beitreten – eine Behauptung, die völlig absurd war, aber bei den Wählern ankam.

Woher kommt diese obsessive Beschäftigung mit der Personenfreizügigkeit?

Cameron hat den Briten wiederholt versprochen, die Zahl der Einwanderer auf „wenige Zehntausend“ zu drücken. Nun waren es im Vorjahr allerdings 330.000. Camerons Glaubwürdigkeit war dahin. Die Wähler glaubten ihm nicht mehr.

Die Kampagne mag zwar teuflisch clever gewesen sein, doch sie war auch widersprüchlich: Brexit-Wortführer wie Boris Johnson scheinen eine andere Vorstellung von der britischen Zukunft zu haben als ihre Wähler.

Die Brexit-Bewegung war nie homogen, sondern immer eine Koalition zwischen kosmopolitischen Liberalen und einwanderungsfeindlichen Protektionisten. Der nächste Premierminister – ich tippe auf Johnson – wird es nicht leicht haben. Aber es hat sich bereits im Laufe der Kampagne abgezeichnet, dass sich die Brexit-Galionsfiguren schrittweise den Positionen der offen EU-feindlichen Partei Ukip angenähert haben. Ursprünglich kämpften sie ja für nationale Souveränität, doch dieses Argument zog beim Publikum nicht. Deswegen sattelten sie um auf das Thema Einwanderung . . .

. . . und hatten Erfolg.

Ja, aber um den Preis aufflammender Fremdenfeindlichkeit.

Wissen die Sieger des Referendums überhaupt, wie es jetzt weitergehen soll?

Es gibt Ideen, aber nicht unbedingt einen vereinbarten Fahrplan Richtung Austritt. Der neue Premier wird die Frage beantworten müssen, ob er nur Brexiteers ins Kabinett holt oder sein Team breiter aufstellt. Dann braucht er eine Verhandlungsposition: Was genau will man von Brüssel? Und zu guter Letzt muss man entscheiden, wer in die Verhandlungen eingebunden werden soll: nur das Kabinett, die Regierungspartei, Ukip-Chef Nigel Farage, Brexit-Befürworter von Labour?

Das alles dürfte Zeit in Anspruch nehmen.

Und selbst wenn sich alle auf einen Plan einigen, ist nicht klar, ob dieser Plan vor dem Beginn der Verhandlungen mit Brüssel dem britischen Parlament vorgelegt wird oder erst zum Schluss. Alles wenig ausgegoren.

Sie haben Ukip angesprochen. Wird sich die Partei nun auflösen, da ihr Ziel, der EU-Austritt, erreicht ist?

Wir sind noch nicht raus aus der EU, das wird Jahre dauern. Auch, weil die Wahlsieger es nicht besonders eilig zu haben scheinen. Solange der Austritt nicht vollzogen ist, wird Farage der Regierung auf die Finger schauen wollen. Es könnte ja durchaus zu einem zweiten Brexit-Referendum kommen.

Heißt das, dass der EU-Austritt für Sie noch keine ausgemachte Sache ist?

Die Chance, dass der Brexit rückgängig gemacht wird, ist verschwindend gering. Dafür müsste sich die politische Landschaft in Großbritannien fundamental verändern. Und die EU müsste uns zurückhaben wollen. Es ist nicht unmöglich, aber verdammt unwahrscheinlich.

ZUR PERSON

Hugo Dixon
Im Kampf um den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union stand der Publizist und Unternehmer an der vordersten Front. Dixon gründete und leitete die Kampagne InFacts.org, die fehlerhafte Behauptungen und Lügen der Brexit-Befürworter richtigstellte, und verfasste „The In/Out Question“, eine Fibel zum Referendum, in der er gegen den Austritt argumentierte. Der ehemalige Kolumnist der „Financial Times“ gründete 1999 den Internet-Informationsdienst BreakingViews, der 2009 von der Nachrichtenagentur Reuters übernommen wurde. Dixon schreibt unter anderem für die „New York Times“. [ Archiv ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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