Juncker: "Wir bestimmen die Tagesordnung, nicht die Briten"

Jean Claude-Juncker im Europaparlament.
Jean Claude-Juncker im Europaparlament.APA/AFP/JOHN THYS
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Der EU-Kommissionspräsident sagt, es werde keine Geheimverhandlungen mit London geben. Noch weitere Mitgliedsstaaten würden die EU verlassen, meint Farage.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Briten aufgefordert, ihre Position so schnell wie möglich zu klären. "Nicht heute, nicht morgen früh, aber doch recht schnell." Zudem habe er seiner Behörde jegliche Vorverhandlungen mit der britischen Seite über einen EU-Austritt verboten. "Solange es keine Notifizierung gibt, gibt es auch keine Verhandlungen", sagt Juncker bei einer Sondersitzung des Europaparlaments mit Blick auf die Aktivierung von Artikel 50 der EU-Verträge, die von Großbritannien ausgehen müsste.

Es sei notwendig, dass die Briten konsequent reagierten, "anstatt sich jetzt in Katz- und Mausspiele zu verstecken. Das ist nicht die Interpretation des Wählerwillens, denn der ist klar und deutlich: Die Briten möchten raus aus der EU, dementsprechend sollte man handeln".

In seiner kämpferischen Rede in Brüssel erklärte Juncker auch, mit dem Austritt Großbritanniens sei zwar "ein Flügel verloren", aber "unser Flug hält an. Es ist kein Flug ins Ungewisse, sondern zu einem vorher in den Verträgen festgelegten Ziel". Auch Forderungen, wonach sich die EU ändern müsse, relativierte Juncker. "Nein, wir werden den Weg der Modernisierung Europas weiter beschreiten, den wir mit Zustimmung des EU-Parlaments begonnen haben. Alle sagen, es muss was geändert werden, ohne zu sagen was. Es wird nicht das Wesentliche geändert. Das ist das Europa als Friedensprojekt und als Zukunftsprojekt, das bleibt".

"Warum sind Sie hier?"

Der Kommissionspräsident verwies gleichzeitig darauf, dass "wir mit Großbritannien eine neue Beziehung herbeiführen müssen". Allerdings "hängt das nicht von irgendwelchen Geheimverhandlungen mit britischen Unterhändlern ab, sondern auch von uns. Wir bestimmen die Tagesordnung, nicht die, die die EU verlassen", wetterte Juncker.

In seiner Rede wurde Juncker auch persönlich. Er sei nicht krank, so wie das einige Zeitungen kolportiert hatten. Und er sei nicht der emotionslose Bürokrat oder Roboter, wie ihn die britische Presse dargestellt hatte. Einen Seitenhieb erlaubte sich der Kommissionspräsident auch in Richtung des Chefs der United Kingdom Independent Party (Ukip), Nigel Farage, ein Aushängeschild der Brexit-Kampagne: "Ich bin wirklich erstaunt, dass Sie hier sind. Sie haben für einen Austritt gekämpft. Die Briten haben für einen Austritt gestimmt. Warum sind Sie hier?"

Farage hingegen dürfte seinen Sieg am Dienstag ausgekostet haben. "Ist es nicht lustig? Als ich vor 17 Jahren hierher gekommen bin und sagte, dass ich Großbritannien aus der EU führen wolle, habt ihr mich alle ausgelacht", sagte der Ukip-Chef. "Also jetzt lacht ihr nicht, oder?" Die EU wolle nicht wahrhaben, dass der Euro versage und dass die Flüchtlingspolitik zu massiven Zerwürfnissen unter den Mitgliedsstaaten geführt habe.

Das größte Problem aber sei, dass die EU der europäischen Bevölkerung eine politische Union aufgezwungen habe. Das britische Referendum biete Demokraten in ganz Europa nun neue Hoffnung, sagte Farage. "Großbritannien wird nicht der letzte Mitgliedsstaat sein, der die EU verlassen wird."

Merkel fordert Zusammenhalt in der EU

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte am Dienstag vor dem Bundestag in Berlin, dass es keinerlei Sondervergünstigungen für die Briten nach dem Austritt aus der EU geben werde. Die deutsche Regierung werde sicherstellen, dass es in den Trennungsverhandlungen nicht nach dem "Prinzip der Rosinenpickerei" für Großbritannien zugehen werde. Es werde deutlich werden, dass es einen spürbaren Unterschied gebe zwischen einem EU-Mitglied und einem Drittstaat außerhalb der Union. Die "britischen Freunde" sollten sich nichts vormachen.

Ein Land könne sich nicht den Pflichten eines Mitgliedslandes entziehen und sich nur die Vorteile sichern. Freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt werde nur der haben, der selbst eine freie Bewegung von Menschen, Kapital, Dienstleistungen und Gütern sicherstelle. Für Europa sollte es nun nicht um eine Debatte um mehr oder weniger Europa gehen, sondern um ein erfolgreicheres Europa.

Zudem forderte sie die Geschlossenheit der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten und warnte vor einer Spaltung Europas. Jeder Vorschlag, der die EU der 27 als Ganzes aus dieser Krise führen könne, sei willkommen, sagte Merkel. "Jeder Vorschlag, der dagegen die Fliehkräfte stärkt, die Europa schon so sehr strapazieren, hätte unabsehbare Folgen für uns alle. Er würde Europa weiter spalten", sagte sie in der Sondersitzung des Parlaments. Sie werde sich dafür einsetzen, das zu verhindern. "Ich sehe gute Möglichkeiten, dass uns das gelingen kann."

Tusk will keine Vorab-Verhandlungen

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat vor dem EU-Gipfel zu den Brexit-Beratungen in Brüssel klargestellt, dass die EU auf einen Austrittsantrag des Vereinigten Königreichs warten muss. Man müsse die EU-Verträge respektieren, sagte Tusk am Dienstag in Brüssel. Demnach müsse die britische Regierung einen EU-Austritt initiieren, "das ist der einzig legale Weg, den wir haben".

"Ohne Notifizierung von Großbritannien werden wir keine Verhandlungen über das Scheidungsverfahren oder über unsere künftigen Beziehungen starten", sagte Tusk. Europa sei bereit zu den Verhandlungen "ohne jeglichen Enthusiasmus".

(APA/red.)

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