Alles deutet auf neue Stichwahl

Gerhart Holzinger, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, ist um eine straffe Verhandlungsführung bemüht
Gerhart Holzinger, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, ist um eine straffe Verhandlungsführung bemüht(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Der Verfassungsgerichtshof verkündet heute um 12 Uhr, ob die Wahl Alexander Van der Bellens gilt. Alles deutet auf eine Aufhebung der Stichwahl.

Schon heute, Freitag, fällt die Entscheidung, ob die Stichwahl ums Bundespräsidentenamt wiederholt werden muss. Zuletzt deutete alles auf eine Neuwahl. Der knappe Sieg Alexander Van der Bellens steht nach der Anfechtung durch Norbert Hofers FPÖ erneut in Frage. Nachdem „Die Presse“ gestern Nachmittag berichtet hatte, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) heute sein Erkenntnis öffentlich verkünden dürfte, bestätigte ein VfGH-Sprecher am Abend über Twitter: Der Gerichtshof gibt um 12 Uhr das Ergebnis seiner Beratungen bekannt. Die vorgezogene Entscheidung – der VfGH hätte bis nächsten Mittwoch Zeit – deutete darauf hin, dass die Stichwahl aufgehoben wird. Dem Vernehmen nach haben die VfGH-Richter genau das schon gestern beschlossen.

Der Gerichtshof hat an bisher fünf Verhandlungstagen vor den Augen der Öffentlichkeit die wichtigsten Beschwerdepunkte in der Anfechtungsschrift der Freiheitlichen erörtert. Dabei hat sich vorige Woche herausgestellt, dass zwar nicht alle, aber viele von der FPÖ aufgezeigten Unregelmäßigkeiten bei der Auswertung der Briefwahl passiert sind. Etliche Vorschriften über die Auszählung wurden verletzt. Und nicht nur die, wann am Tag nach der Wahl mit der Auszählung zu beginnen ist (9 Uhr). Im Extremfall zählten Beamte Stimmen fix und fertig aus, um der erst für danach einberufenen Bezirkswahlbehörde das Ergebnis zur Unterschrift vorzulegen.

Auch Van der Bellens Anwälte waren irritiert vom lockeren Umgang mit den Wahlvorschriften, wie er in 18 Bezirken in mehr oder weniger gravierender Form dokumentiert ist. Sie betonen aber, dass in der Befragung von 67 Zeugen – auch aus der FPÖ – kein einziger Hinweis auf eine tatsächliche Manipulation aufgetaucht sei. Das trifft zwar zu, doch kommt es nach der bisherigen Rechtsprechung des VfGH darauf nicht an. Es genügt schon, wenn in einem relevanten Ausmaß ebenjene Vorschriften verletzt wurden, die Manipulationen vorbeugen sollen, und wenn das Wahlergebnis dadurch beeinflusst werden konnte.

Einer der 14 Höchstrichter, Johannes Schnizer, hat diesen Mittwoch daran erinnert: Es war der Vater der Bundesverfassung, Hans Kelsen, der die strenge Judikatur schon 1927 als Referent am VfGH geprägt hatte. Die Grünen wollten den Gerichtshof nun dazu bewegen, die Wahl trotzdem gelten zu lassen, weil er diesmal ein ausführliches Beweisverfahren geführt und dabei keine Manipulationen geortet habe. Schnizer entkräftete dieses Argument mit dem Hinweis, dass auch Kelsen – sogar persönlich – Beweise erhoben und keinen Missbrauch festgestellt habe. Umso schwerer, so lässt sich folgern, kann der VfGH von seiner Linie abweichen.

Robert Stein im Kreuzverhör

Noch ein Umstand spricht für eine Aufhebung. Die Höchstrichter haben am Mittwoch Robert Stein, den stellvertretenden Leiter der Bundeswahlbehörde, fast ausschließlich wegen eines Beschwerdepunktes der FPÖ ins Kreuzverhör genommen: wegen der Weitergabe von Teilergebnissen am Wahlsonntag (22. Mai) an mehr als 20 Adressaten, darunter die APA und andere Medien, durch das Innenministerium. Das wird laut Stein schon seit 30 Jahren so gemacht. Die Empfänger müssen sich auch einzeln dazu verpflichten, die Sperrfrist einzuhalten. Eine gesetzliche Grundlage gibt es dafür jedoch nicht.
Jedenfalls sind am Wahltag, wohl auch über andere Kanäle (Parteien, Gemeinden), erste Ergebnisse lang vor Wahlschluss um 17 Uhr auf Social Media durchgesickert. Es liegt nahe, dass das Wahlresultat auch dadurch beeinflusst sein konnte.

Will der VfGH schon anhand von nur zwei Vorwürfen entscheiden – Auswertung der Briefwahl, vorzeitige Bekanntgabe –, kann er eigentlich nur der Anfechtung stattgeben. Der VfGH könnte sagen, dass schon diese Punkte die Wahl ungültig machen. Er könnte aber wohl kaum umgekehrt entscheiden, dass diese und – ungeprüft – auch die weiteren Anfechtungsgründe nichts hergeben. Die FPÖ hat ja etliche andere Einwände vorgebracht, von der Kürze der Anfechtungsfrist (eine Woche) bis zum angeblichen Widerspruch der Briefwahl gegen Prinzipien der Verfassung. Um das zu prüfen, müsste der VfGH das Verfahren fortsetzen.

Die "Presse" wird die Entscheidung des VfGH live tickern

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)


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