Andreas Schieder: „Die Leute sind nicht faul“

SPÖ-Klubchef Schieder will mehr Sachleistungen bei der Mindestsicherung.
SPÖ-Klubchef Schieder will mehr Sachleistungen bei der Mindestsicherung. Die Presse/Clemens Fabry
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SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder verwahrt sich gegen „ungute Neiddebatte“ über Bezieher der Mindestsicherung. FPÖ-Hofburg-Bewerber Hofer hält er „nicht für eine Katastrophe“.

Die Presse: Woran merkt man eigentlich, dass wir einen neuen Bundeskanzler haben?

Andreas Schieder: An mehreren Dingen. Erstens: Die Stimmung hat sich in eine Aufbruchstimmung gewandelt. Es geht ein Ruck durchs Land.

Tatsächlich? Woran merken Sie das?

Es gibt eine positive Stimmung, es gibt auch positive Erwartungen. Die Aufgabe wird es jetzt sein, diese positive Erwartungshaltung auch zu erfüllen.

Christian Kern ist mit dem Befund angetreten, die Leute seien angewidert von der Politik, in der Regierung werde nur gestritten, man gönne sich gegenseitig keinen Erfolg. Das wäre eigentlich auch eine gute Analyse der vergangenen Wochen.

Politik ist natürlich auch das Ringen um Positionen. Wichtig ist, was im Mittelpunkt steht: der Streit an sich oder geht es darum, zu Lösungen zu kommen. Christian Kern steht für Lösungen. In der kurzen Zeit, in der er Bundeskanzler ist, sind das Start-up-Paket und das Bildungspaket beschlossen worden.

Und beim Bildungspaket sind wir schon wieder beim Streit.

Ja, es gibt einige, die nicht einsehen wollen, dass eine Entscheidung getroffen worden ist. Das ist leider die Realität. Aber wichtig ist, dass der Bundeskanzler, der Vizekanzler, die Bildungsministerin letztlich in die Richtung arbeiten.

Der Vizekanzler arbeitet in die Richtung, andere in der ÖVP nicht?

Da die Sacharbeit und die Lösungen im Vordergrund stehen, werde ich mich auf inhaltliche Fragen konzentrieren und so Ihrer Frage ausweichen.

Unterschiedliche Ansichten gibt es in vielen Bereichen. Zum Beispiel will die ÖVP eine Reform der Mindestsicherung. Ist das notwendig?

Da hat die ÖVP, um präzise zu sein, mehrere Vorstellungen. Einige Länder stellen sich massive Einschnitte vor, auf Kosten der Kinder. Das halte ich nicht für sinnvoll. Ich kenne aber auch westliche Bundesländer, in denen die ÖVP keine Veränderungen will. Und der steirische Landeshauptmann Schützenhöfer, der ein ÖVP-Schwergewicht ist, hat gesagt, man darf an diesen Grundfesten des Sozialstaats nicht rütteln. Für mich ist ein Abschieben der Leute in die totale Armutsfalle ein Fehler. Was wir uns vorstellen können, ist eine Reform mit mehr Sachleistungen, mehr Anreiz zu Arbeit.

Gibt es derzeit zu wenig Anreiz?

Es ist unterschiedlich. 70 bis 90 Prozent der Leute bekommen gar nicht die volle Mindestsicherung, sondern eine Zuzahlung, weil das Arbeitseinkommen so niedrig ist.

Oder das Arbeitslosengeld.

Oder das Pensionseinkommen. Aber man kann ihnen nicht unterstellen, diese Leute seien faul. Wir müssen eher dort ansetzen, dass sie in Zukunft nicht mehr so wenig verdienen. Aber ich verhehle nicht: Auch als Sozialdemokrat, der sehr für die Mindestsicherung ist, bin ich der Meinung, ein Sozialsystem funktioniert nur dann, wenn es strenge Regeln gibt. Dieses System muss man sich ansehen, ob man nachschärfen kann, weil der Sozialstaat nicht ausgenützt werden darf. Gleichzeitig will ich kein System, in dem man auf die Leute hinzeigt und sagt, das sind Sozialschmarotzer. Die Alternative wäre, dass es viel mehr Obdachlose gibt, die in Busstationen schlafen. Diese Bilder sind uns erspart geblieben.

Aber die Diskussion dreht sich weitgehend um Flüchtlinge, bei denen die Gefahr gesehen wird, dass sie im Sozialnetz hängen bleiben.

Ich halte es für einen Fehler, dass manche versuchen, das Thema Asyl mit dem Thema Mindestsicherung so zu verknüpfen, dass man eine ungute Neiddebatte auslöst. Man erweckt den Eindruck, als würde der Asylwerber dem Österreicher etwas wegnehmen. Der fatale Schluss ist dann, dass man dafür den Österreichern, den Kindern in unserem Land, die Mindestsicherung wegkürzt.

Aber die Erfahrung zeigt, dass bei bestimmten Gruppen von Flüchtlingen der Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht funktioniert. Sehen Sie da kein Problem?

Die Erfahrung zeigt, wenn man die richtigen Maßnahmen setzt, kann es bei allen Gruppen funktionieren. Bei manchen ist es schwieriger, und bei manchen ist es weniger schwierig. Wenn man mit den Sprachkursen früh anfängt – und das ist die Aufgabe des Integrationsressorts – wird man bemerken, dass diese Leute ohnehin wollen. Sie wollen nicht den ganzen Tag sinnlos herumsitzen. Sie wollen hier arbeiten und ihre Kinder zur Schule schicken. Wer schlecht oder gar nicht ausgebildet ist, ist schlecht vermittelbar auf dem Arbeitsmarkt. Das gilt aber für Österreicher genauso. Die Ausgaben für Mindestsicherung liegen weit unter dem Bereich, was wir für anderes ausgeben. Ich möchte keine Beispiele nennen, weil dann ist es ein Gegeneinanderaufrechnen. Aber wir geben für viele andere Bereiche viel, viel mehr aus, in denen in Wahrheit viel weniger Leute betroffen sind.

Das können wir uns leisten?

Das können und das sollten wir uns leisten. In einer adaptierten Form mit strengen Regeln. Weil sonst wären die gesellschaftlichen Folgekosten viel höher.

Die ÖVP sieht auch eine Ungerechtigkeit bei kinderreichen Familien: Mindestsicherung ist oft höher als ein Arbeitseinkommen.

Diese Ungerechtigkeit fängt schon bei der Kinderbeihilfe an. Da werden kinderreiche Familien sogar bevorzugt. Bei den Kindern zu sparen, halte ich für den falschen Ansatz. Mir ist es wichtig, sich jetzt an den Tisch zu setzen und eine Lösung zu erarbeiten, in der es um mehr Sachleistungen, mehr Jobanreiz und mehr Kontrolle geht. Und zwar möglichst rasch, weil diese Frage im Herbst beantwortet werden muss.

Noch eine Frage muss beantwortet werden: Brauchen wir die Notverordnung?

Diese Frage beantwortet sich dann, wenn die Dinge, die im Gesetz angerissen sind, eintreten. Das ist keine politische Frage.

Wenn die Entwicklung so weitergeht, haben wir die Obergrenze im Herbst erreicht.

Das kann durchaus sein. Das ist für mich kein besonders politisch heißer Punkt, sondern einer, der je nach Situation zu entscheiden ist.

Brauchen wir die Verordnung, wenn die Obergrenze erreicht ist, oder schon im Vorfeld?

Ab dem Zeitpunkt, an dem absehbar ist, dass eine außerordentliche Situation droht. Wenn die Anzeichen da sind, dass eine außerordentliche Belastung kommt, ist der Prozess zu starten, so rechtzeitig, dass man es dann hat.

Wen wünschen Sie sich als Bundespräsidenten?

Ich persönlich werde Alexander Van der Bellen wählen. Und ich wünsche mir natürlich, dass die Person, die ich wähle, es auch wird. Aber was ich mir noch mehr wünsche, ist ein fairer Wahlkampf.

Hielten Sie es für eine Katastrophe, wenn Norbert Hofer Präsident wird?

Ich halte auch den Kollegen Hofer, den ich aus der parlamentarischen Arbeit gut kenne, nicht für eine Katastrophe. Das ist kein Begriff, den ich in diesem Zusammenhang verwenden möchte.

ZUR PERSON

Andreas Schieder (47) ist seit Oktober 2013 Klubobmann der SPÖ im Parlament. Politisch ist Schieder, der vor Jahren auch Internationaler Sekretär der SPÖ war, fest in der Wiener SPÖ verankert. Für diese war er von 1997 bis 2006 im Wiener Gemeinderat, seit dem Jahr 2002 ist er auch Bezirksparteichef in Penzing, dem 14. Wiener Gemeindebezirk. Der Volkswirt war bereits ab Juli 2008 zuerst Staatssekretär im Bundeskanzleramt und dann nach der Wahl 2008 bis 2013 im Finanzministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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