Österreich-Ungarn: Das vorsichtige Ende einer Eiszeit

BK KERN IN UNGARN: ORBAN / KERN
BK KERN IN UNGARN: ORBAN / KERN(c) APA/BKA/ANDY WENZEL (ANDY WENZEL)
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Kanzler Kern besuchte Ungarns Premier Orban. Die Beziehung ist gekittet, zumindest oberflächlich. "Migration ist keine Lösung, sondern das Problem", beharrt Orban.

Budapest. Viktor Orbán macht es noch einmal deutlich – für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand nicht wissen sollte, wofür er in der Flüchtlingspolitik steht: „Ungarn braucht keinen einzigen Migranten“, sagt der ungarische Premierminister. Und: „Migration ist keine Lösung, sondern das Problem. Sie ist Gift.“ Damit endet der erste gemeinsame Auftritt von Orbán und Christian Kern.

Bei dem Abschiedsstatement muss der österreichische Kanzler Kern ein paar Mal schlucken, so gar nicht will das in seine politische Linie passen. Zuvor hatten sich die beiden etwas mehr bemüht, zumindest einen Hauch Einigkeit zu zeigen. Das war auch das erklärte Ziel von Kerns Antrittsbesuch in Budapest am Dienstag.

„Wir haben ein neues Kapitel aufgeschlagen“, sagt Kern nach einem Vieraugengespräch. Man wolle nicht die Fehler der Vergangenheit aufarbeiten, sondern „die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam meistern“. Orbán ist sogar um eine Spur euphorischer: „Es ist schon lange her, dass ich so eine gute außenpolitische Nachricht verkünden durfte.“ Die beiden hätten sich darauf geeinigt, die verschiedenen Parteiinteressen nicht über jene der Länder zu stellen.

Heikle Mission in Budapest

Für Kern ist es ein heikler Besuch. Er muss die Beziehungen zwischen Wien und Budapest kitten, ohne sich dem umstrittenen Premier anzubiedern. Denn er hat ein konkretes Ziel: Ungarn soll ihn bei der Umsetzung der österreichischen Flüchtlingspolitik unterstützen. Doch das ist ein schwieriges Vorhaben.

Spulen wir um ein Jahr zurück. Der Kanzler hieß damals noch Werner Faymann. Und seine Asylpolitik orientierte sich am deutschen „Wir schaffen das“. Budapest entwickelte sich zum Gegenpol der Achse Wien–Berlin: Orbán ließ einen rund 170 Kilometer langen Zaun errichten – und erklärte illegalen Grenzübertritt zur Straftat.

Was folgte, war ein verbaler Schlagabtausch zwischen den beiden Regierungschefs. Die Beziehung sollte bis zum Ende von Faymanns Kanzlerkarriere auf dem Tiefpunkt bleiben. Trotz seines Schwenks in der Asylpolitik.

Dieser Schwenk wird nun auch von Kern weitergetragen: eine Obergrenze von 37.500 Asylverfahren in diesem Jahr. Oder eine Notverordnung, die im Ernstfall erlaubt, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen. Doch für diese Pläne braucht es Partner. Einen ganz besonders: Ungarn. Denn will Österreich laut Notverordnung Ankommende tatsächlich an der Grenze abweisen, müsste sie das Nachbarland aufnehmen. Für Ungarn würde dies – Stand jetzt – mindestens 200 Personen pro Woche bedeuten. „Wenn Ungarn da nicht mitmacht, passiert ein Pingpongspiel mit Menschen“, erklärte Kern im Vorfeld. Doch Ungarn signalisiert am Dienstag keine Bewegung.

Österreich fordert das Nachbarland auch seit Monaten auf, sogenannte Dublin-Fälle zurückzunehmen: Also jene Menschen, die nachweislich ein anderes EU-Land vor Österreich betreten haben. Dieses Land wäre eigentlich für sie zuständig. Derzeit sind rund 9000 solcher Flüchtlinge in Österreich. Der Großteil davon, 6000, wurde in Ungarn (zum Teil auch in anderen Ländern) registriert. Budapest weigert sich, diese Menschen zurückzunehmen. Ein Verfahren auf EU-Ebene läuft deswegen bereits. Bis dahin will Orbán nicht tätig werden.

Die einzige, kleine Zusage gab es vor rund zehn Tagen: Innenminister Wolfgang Sobotka und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil bereiteten den Boden in Ungarn vor. Sie boten Orbán Hilfe beim Schutz der ungarischen EU-Außengrenze an. Ab August sind 20 österreichische Polizisten dort stationiert, auch NGOs sollen vor Ort sein. Und: Ungarn nimmt jene Menschen zurück, die nachweislich über ein Drittland gekommen sind. Sprich: Flüchtlinge aus dem Kosovo, Albanien, der Ukraine – nicht etwa Syrer oder Iraker. Das betrifft rund 1500 Flüchtlinge in Österreich. Kern hofft jetzt darauf, dass die gemeinsame Grenzsicherung ausgebaut werden kann – damit man nicht weiter auf Hilfe aus Ungarn angewiesen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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