Die gefährliche Wut der Ernüchterten

Gehirnforschung. Sie sind um die 50, plus/minus fünf Jahre. Sie haben viel erreicht, aber nicht so viel, wie sie sich vorgenommen haben. Statt froh über ihren Job zu sein, demontieren sie sich selbst.

Es sind keine Einzelfälle, die Karrierecoach Claudia Daeubner schildert. Die Ernüchterten, rund 50 Jahre alt und frustriert über das unwiderrufliche Überschreiten ihres Karrierezenits, werden mehr. Zuschauen zu müssen, wie andere an einem vorbeiziehen, ist nicht neu. Doch nun beobachtet Daeubner ein Verhalten, das – vorsichtig formuliert – dem Image schadet. Hart formuliert kann es den Job kosten.

Konkret fällt ihr das überaus kritische Verhalten der Ernüchterten auf. Gegenüber Gleichgestellten und Höherrangigen (Mitarbeiter werden eher verschont) wie auch gegenüber deren Ideen, Strategien, Konzepten. Sie werden reflexartig schlechtgemacht. Dafür werden alle Energie und alles Expertenwissen hochgefahren. Man wertet den anderen ab, um sich selbst aufzuwerten, analysiert Daebner. Je höher der andere steht, desto befriedigender ist es, ihn abzuwerten.

Hintergründe sind zutiefst menschliche Versagens- und Verlustängste. Solche inneren Ängste sind immer da, aber jetzt werden sie durch bedrohliche Außenängsten (Wirtschaftslage, Zukunft) potenziert. Statt sich glücklich zu schätzen, einen guten Arbeitsplatz zu haben, wird er durch Destruktivismus in Gefahr gebracht.

Körperchemie verändert sich

60.000 Gedanken gehen einem täglich durch den Kopf. Drei Viertel davon sind Alltagsgedanken, magere drei Prozent sind angenehm und aufbauend („Das hast du gut gemacht“). 22 Prozent oder 13.000 Gedanken täglich sind belastend, sorgenvoll und blockierend.

Steigt nun der Frustrationspegel, dehnt sich dieser negative Gedankenblock aus. Im Gehirn bilden sich neue Neuronenverbände, werden stärker und erzeugen noch mehr kontraproduktive Gedanken. Statt positiver Körperchemie (Dopamin, Endorphin, Serotonin, Oxyticin) überschwemmen negativ konnotierte Botenstoffe (Adrenalin, Cortisol) das Gehirn. So wie der Läufer nach seinem täglichen Dopamin und der Schokoladefan nach seiner Tafel Endorphine süchtig wird, wird der Ernüchterte süchtig nach seiner Dosis Negativismus. Tragisch, dass ihm darüber die kreativen Ideen verloren gehen. Selbst aufbauende Lebensbereiche (Familie, Freunde, Sport) werden im Lauf der Zeit hinuntergezogen.

„ . . . der ist so was von negativ“

Die Spirale lässt sich auch in die Gegenrichtung drehen – wenn man denn will. Der erste Schritt ist wie immer Selbsterkenntnis. Paradoxerweise ist unser Gehirn darauf trainiert, alles zu beobachten – nur nicht die eigenen Gedanken. Hier hilft es, die wiederkehrenden und unerwünschten aufzuschreiben. Das zieht sie vom Unbewussten ins Bewusstsein und macht es möglich, sie zu analysieren.

Hat man seine Muster erkannt, kann man sie umkehren und abstellen. Analytischer Destruktivismus und kreatives Denken sind in unterschiedlichen Gehirnarealen verankert und schließen einander aus. Statt also die Ideen erfolgreicherer Kollegen und Vorgesetzten zu kritisieren, trainiert man, deren nützliche Aspekte zu sehen.

Das Gehirn lernt schnell – bald kann es wieder konstruktiv auf die Ideen anderer eingehen. Und damit den eigenen Job retten.

(Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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