Die vielen Gesichter des Krisensommers

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In der Türkei schreckt der Putschversuch die letzten Urlauber ab. Im ausgebuchten Spanien bildet sich Widerstand gegen die Gästemassen. Dazwischen liegt ein verunsicherter Kontinent und eine Reisebranche in Alarmbereitschaft.

Wien. Das Prinzip Hoffnung galt bis zuletzt. Noch im Juni sprachen die großen Reiseveranstalter wie TUI oder Thomas Cook davon, dass das Last-Minute-Geschäft die Türkei aus ihrem Buchungstief herausreißen könnte.

Das war vor dem blutigen Anschlag auf dem Atatürk-Flughafen am 28. Juni. Und vor dem 15. Juli, als Teile des Militärs erfolglos gegen die Regierung von Präsident Erdoğan putschten. Seitdem gilt in der Türkei der Ausnahmezustand. Im Tourismussektor des Landes, dem es knapp 13 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verdankt, herrscht dieser spätestens seit den IS-Anschlägen auf deutsche Touristen im Jänner. Da helfen alle aktuellen Beruhigungen vonseiten des Tourismusministers und auch die Sonderangebote der Reiseveranstalter nichts: Schon um 270 Euro pro Person kann man derzeit eine Woche Urlaub in der Türkei machen – inklusive Flug.

Seit dem Militäraufstand seien so gut wie keine Türkei-Buchungen eingegangen, meldeten die stark vom dortigen Pauschaltourismus abhängigen Ruefa-Reisebüros am Freitag. Sie verzeichnen mittlerweile einen Rückgang von mehr als 58 Prozent. Am Tag zuvor sprach das türkische Tourismusministerium von einem seit 22 Jahren nicht mehr da gewesenen Einbruch bei den ausländischen Gästen. 2,44 Millionen – 41 Prozent weniger als im Vergleichsmonat 2015 – zählte man im Juni. Das Regierungsziel, heuer mindestens 30 Millionen Gäste zu begrüßen, rückt in weite Ferne. TUI-Österreich-Chef Dirk Lukas will die Hoffnung noch nicht aufgeben: Die Spontanbuchungen könnten noch anziehen – vorausgesetzt, es bleibt in der Türkei ruhig.

Palma hisst die Trauerflaggen

Auf der anderen Seite des europäischen Kontinents hadert man nicht mit leeren Stränden, sondern dem genauen Gegenteil. Spaniens Regierung freut der anhaltende Urlauberstrom zwar: Am Donnerstag konnte sie die Wirtschaftswachstumsprognose um zwei Zehntel auf 2,9 Prozent hinaufkorrigieren. Gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit auf ein Sechs-Jahres-Tief von 20 Prozent. Den einzelnen Mallorquiner dürfte es weniger freuen, dass seine Insel neben kroatischen, italienischen, portugiesischen und griechischen Zielen am meisten von den Krisenherden jenseits des Mittelmeers profitiert. Rund um Mallorcas berüchtigte Feiermeile Ballermann wachsen die Ressentiments gegen den Massentourismus: Graffitis mit „Tourists, you are the Terrorists“ zieren die Hauswände Palmas. Anfang Juli hissten die Stadtbewohner aus Protest schwarze Trauerflaggen.

Zwei Millionen Spanier arbeiten in der Tourismusbranche, die 16 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Ministerpräsident Mariano Rajoy spricht nicht umsonst vom „Motor“, der der lang kriselnden Wirtschaft auf die Beine helfen soll. Spanien hat fest vor, die 51 Mrd. Euro Einnahmen, die die 68 Millionen Touristen im vergangenen Rekordjahr zurückließen, zu übertreffen. Das dürfte gelingen: Für 2016 werden rund 72 Millionen Urlauber aus dem Ausland erwartet. Allein bis Juni waren es 32,8 Millionen – 11,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der spanische Hoteldachverband meldete bereits Anfang des Monats für Hotspots wie die Baleareninseln Auslastungen von bis zu 90 Prozent. „Man findet noch da und dort Platz, aber zu einem bestimmten Termin mit schönem Hotel und Meerblick – das geht nicht mehr“, fasst Lukas von TUI die Lage zusammen. Auch so kann ein Land an seine touristischen Grenzen stoßen.

Rom mahnt zu Gästekontrollen

Um seine Grenzen sorgt sich Spanien auch im geografischen Sinn: Nach der Amokfahrt in Nizza kontrolliert es wie Deutschland und Italien verstärkt seine Außengrenze zu Frankreich. Der Anschlag, der Mitte des Monats 84 Tote an der Côte d'Azur forderte, macht westeuropäischen Tourismusregionen eines deutlich: Jede kann jederzeit zum Anschlagsziel werden. Radikalisierte Einzeltäter machen nicht zwangsläufig Halt vor Sizilien, das bei den Urlauberzahlen ein italienisches Rekordplus von 21 Prozent für Juli verbucht. Oder vor Rom, das aus Angst vor einem Nizza-Szenario zu verschärften Ausweiskontrollen bei Hotelgästen aufruft. Die Ewige Stadt kämpft zurzeit gegen private Vermieter, allen voran Airbnb-Gastgeber, die diese gesetzliche Pflicht oftmals ignorieren.

Ein zweites Nizza kann sich Italien schon rein finanziell schwer leisten. Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron prophezeite seinem Land in den kommenden Monaten jüngst Besucherrückgänge bis zu 30 Prozent. Wie lang sie anhielten, sei ungewiss. Fakt sei aber, dass die Branche noch immer unter den Pariser Anschlägen von November leide. Das Prinzip Hoffnung gilt für den Tourismus wohl auch in diesem Fall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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