Pingpongspiel mit Menschen? "Ja, das kann passieren"

 Georg Niedermühlbichler und Peter McDonald
Georg Niedermühlbichler und Peter McDonald(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Parteimanager von SPÖ und ÖVP, Georg Niedermühlbichler und Peter McDonald, geben zu: Das Verhalten der Großen Koalition war früher “nicht nobelpreisverdächtig„. Das wollen sie nun ändern. Bei Kürzungen der Mindestsicherung sind sie sich nicht einig.

Viele Wähler scheinen die Große Koalition sattzuhaben. Eine schwierige Ausgangslage für Sie in Hinblick auf kommende Wahlen. Was bedeutet das für Ihre Zusammenarbeit?

Georg Niedermühlbichler: Schwierige Ausgangslagen bin ich gewohnt, nicht zuletzt vom Wiener Wahlkampf. Wie sich die Große Koalition in der Vergangenheit präsentiert hat, war nicht nobelpreisverdächtig. Man hat einander eher als Oppositionspartei gesehen. Ich verstehe, dass die Bevölkerung das nicht mehr will. Es ist auch meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der „New Deal“ von Christian Kern umgesetzt wird.
Peter McDonald: Für uns war klar, dass wir die Zusammenarbeit ändern mussten. Wir haben selbst unter der einen oder anderen Blockade unter Werner Faymann gelitten. Die Bevölkerung muss sehen, dass etwas weitergeht.

Das klingt so, als wäre Ex-Kanzler Faymann allein Schuld an dem alten Stil gewesen.

McDonald: Das ist keine Frage der Schuldzuweisung. Wir haben aus der Vergangenheit Konsequenzen gezogen. Die Regierung ist gut beraten, keinen Streit öffentlich auszutragen – gerade bei Themen wie Flüchtlinge oder Sicherheit. Auch auf Druck von der ÖVP gibt es hier eine klare Linie.

Niedermühlbichler: Ich muss Werner Faymann nicht verteidigen, er hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Aber wie heißt es in Tirol so schön: „A Scheitl alan brennt net.“ Einer allein kann keinen Streit vom Zaun brechen. Faymann war um eine gute Zusammenarbeit bemüht. Aus verschiedenen Gründen hat das nicht funktioniert. Wir wollen in die Zukunft blicken.

Den Vorsatz, nicht mehr zu streiten, gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder. Warum sollten Ihnen die Wähler jetzt glauben?

McDonald: Da kann ich nur sagen: Messt uns an den Taten. Wir wollen die Zeit bis zur nächsten Wahl nutzen, um gemeinsame Lösungen zu präsentieren. Einiges ist uns ja bereits gelungen.

Niedermühlbichler: Ich erwarte mir auch nicht, dass wir durch ein Doppelinterview die Bevölkerung überzeugen können. Es braucht Beweise, wie die Investitionen in Ganztagsschulen. Aber wir sind noch immer zwei verschiedene Parteien. Man kann nicht nur im Gleichschritt marschieren. Das darf nicht gleich als Streit gedeutet werden.

Ein Thema, bei dem Sie sich in der Vergangenheit nicht einig waren, ist die Obergrenze. Wann wird, aus heutiger Sicht, die Zahl von 37.500 Asylverfahren erreicht sein?

McDonald: Es ist gar nicht die Frage, wann wir damit rechnen. Wir haben uns geeinigt, dass wir bereit sind zu helfen – aber die Bevölkerung nicht überfordern wollen. Wir sind in Gesprächen, welche Möglichkeiten wir schaffen können, damit die Obergrenze nicht erreicht wird: eine Verordnung, die der Exekutive mehr Möglichkeiten gibt (Anm.: Asylanträge bzw. Flüchtlinge werden an der Grenze abgewiesen).

Niedermühlbichler: Wir reden von einem Richtwert – das Wort Obergrenze steht in keinem Gesetz oder Vertrag. Innenminister Wolfgang Sobotka geht davon aus, dass der Richtwert heuer nicht erreicht wird. Das bedeutet, dass die Verordnung nicht in Kraft treten muss. Wenn der Innenminister aber meint, wir brauchen sie, um gerüstet zu sein, wird sich die SPÖ dem nicht verschließen. Er muss es nur gut begründen.

McDonald: Es ist gut, dass wir eine klare gemeinsame Linie haben und die SPÖ sagt: Wenn der Innenminister die Notverordnung will, wird er unterstützt.

Niedermühlbichler: Aber wir müssen auch ehrlich sein. Man kann nicht die Verordnung in Kraft setzen und suggerieren: Der Richtwert wird nicht überschritten. Es kann sein, dass es trotzdem passiert.

Innenminister Wolfgang Sobotka hat seine Prognosen aber immer wieder geändert. Sie rechnen beide nicht damit, dass heuer die Obergrenze erreicht wird oder die Notverordnung umgesetzt wird?

McDonald: Wichtig ist: Wenn der Innenminister die Verordnung braucht, gibt es die Unterstützung der SPÖ.
Niedermühlbichler: . . . wenn die Begründung passt. Wenn nicht, müssen wir noch einmal diskutieren. Ich gehe aber davon aus, dass der Richtwert nicht erreicht wird. Auch, weil wir schon einige Maßnahmen gesetzt haben.

Sie meinen die Schließung der Balkanroute?

Niedermühlbichler: Ja, aber auch das Abkommen mit der Türkei, Unterstützung bei der EU-Außengrenzsicherung.

Soll die Notverordnung nun in Kraft treten, bevor die Obergrenze erreicht wird?

McDonald: Lassen Sie das in den Verhandlungen reifen.
Niedermühlbichler: Wenn sie gut begründet ist, kann sie umgesetzt werden.

Ist das baldige Erreichen der Obergrenze Begründung genug?

Niedermühlbichler: Nein, das ist zu wenig. Es geht unter anderem um Integrationsmaßnahmen und Arbeitsplätze.

Muss die Obergrenze also erreicht sein, bevor die Notverordnung greift?

Niedermühlbichler: Nein, es braucht ja auch eine gewisse Vorbereitungszeit.

Das war aber nicht immer SPÖ-Linie.

Niedermühlbichler: Wenn der Richtwert nicht eintrifft, wird man die Verordnung nicht brauchen. Aber wenn der Innenminister sie vorbereiten will, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, kann sie auch in Kraft treten. Aber noch einmal: Das bedeutet nicht, dass dann garantiert keine Flüchtlinge mehr kommen. So ehrlich muss man sein.

Muss man nicht auch ehrlich sagen, dass die Notverordnung derzeit nicht umsetzbar ist? Wenn man Menschen an der Grenze abweist, müssen sie die Nachbarländer aufnehmen. Ungarn weigert sich aber.

Niedermühlbichler: Es geht immer nur in Zusammenarbeit. Wir brauchen Ungarn, Slowenien und Italien. Aber die Situation ist leichter, wenn man an der Grenze sagen kann: Du kommst aus dem Nachbarland, das muss sich um dich kümmern. Wenn die Person schon in Österreich ist, ist es schwieriger.

Trotzdem: Wenn sich Ungarn weigert, die Menschen aufzunehmen, werden sie zwischen den beiden Ländern stranden.

Niedermühlbichler: Dafür gibt es ja ein Grenzmanagement.

Kanzler Kern befürchtet ein Pingpongspiel mit Personen, die an der Grenze stranden.

Niedermühlbichler: Das kann passieren. Auch das muss man ehrlich sagen. Mit der Notverordnung sind nicht alle Probleme gelöst. Dann werden wir die Situation neu bewerten müssen.

McDonald: Die Notverordnung kann uns unterstützen, die Obergrenze nicht zu erreichen. Sie ist aber nur ein Puzzlestein, kein Allheilmittel.


In den Verhandlungen zu einem neuen Bund-Länder-Vertrag zur Mindestsicherung gibt es von der ÖVP verschiedene Vorschläge: Sie reichen von einer Deckelung mit 1500 Euro für Familien über eine fünfjährige Wartezeit auf die Mindestsicherung bis zu einer Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. Sind diese unterschiedlichen Linien Absicht oder ist das einfach passiert?

McDonald: Die Ziele sind klar: Jene, die in der Früh aufstehen und arbeiten gehen, dürfen nicht die Dummen sein. Bei der Mindestsicherung müssen nicht nur ÖVP und SPÖ auf einen Nenner kommen, sondern auch Bund und Länder. Das macht die Sache nicht einfacher. Uns ist jedenfalls wichtig, dass es eine Differenzierung zwischen Sozialleistung und Arbeitseinkommen gibt.

Aber die Unterschiede bestehen nicht nur zwischen Land und Bund. Die fünfjährige Wartezeit und die Arbeitspflicht waren Ideen des ÖVP-Innenministers.

McDonald: Dass differenziert werden soll, wie lange jemand Beiträge eingezahlt hat, haben wir auch schon in die Verhandlungen einbracht. Insofern ist das nicht neu. Über die aktuellen Verhandlungen hinaus diskutieren wir parteiintern das deutsche Modell . . .

Sie meinen Hartz IV . . .

McDonald: Nein, wir sehen uns an, was Deutschland gemacht hat, um eine niedrigere Arbeitslosigkeit und ein höheres Wachstum zu haben. Daraus werden wir unsere Schlüsse ziehen.

Die ÖVP nimmt sich bei den Wartezeiten offenbar ein Vorbild an Dänemark. Aber auch dort bekommen jene, die noch nicht ins System eingezahlt haben, nicht nichts – sonst gäbe es soziale Probleme auf den Straßen. Wie stellen Sie sich das konkret vor?

McDonald: Es geht nicht darum, zwischen Ausländern und Inländern zu unterscheiden.

De facto schon . . .

McDonald: Es ist heute schon so, dass ein Asylwerber zunächst nur eine Grundleistung bekommt. Oberösterreich sieht diese Differenzierung auch schon vor.

Oberösterreich ist das Vorbild?

McDonald: Oberösterreich ist jedenfalls vorgeprescht. Es ist legitim, darüber zu diskutieren, ob es bei Sozialleistungen Unterschiede geben soll zwischen jemandem, der – wie ein Mindestpensionist – sein Leben lang Beiträge eingezahlt hat und jemandem, der noch sehr wenig eingezahlt hat.

Niedermühlbichler: Mir ist immer noch nicht klar, was die ÖVP-Linie ist. Für mich ist die Mindestsicherung jedenfalls keine Versicherungsleistung im klassischen Sinn, sondern ein Mittel, um Armut von Menschen abzuwenden, die in Not geraten. Und das funktioniert: In Österreich ist die Armutsgefährdung leicht gesunken, in Deutschland – und das spricht gegen Hartz IV – ist sie massiv gestiegen. Unser Vorschlag ist: mehr Sach- als Geldleistungen, um so Missbrauch zu verhindern.

Ex-SPÖ-Minister Erwin Buchinger, Miterfinder der Mindestsicherung, hatte ursprünglich vorgesehen, dass Mindestsicherungsbezieher gemeinnützige Arbeit leisten – und dass es bei Weigerung Sanktionen gibt. So wäre das Bild der „sozialen Hängematte“ nie entstanden, sagt er im „profil“. So ganz weit weg von Hartz IV ist das nicht, oder?

Niedermühlbichler: Es ist wichtig, dass Menschen sinnvolle Beschäftigung haben – auch für sie selbst. Es ist besser, als daheim vor dem Fernseher zu sitzen. Gemeinnützige Tätigkeiten sind da ein guter Weg, darum haben wir das ja auch für Flüchtlinge vorgeschlagen.

Wären Sie also für eine Art Arbeitspflicht für Mindestsicherungsbezieher – sofern sie dazu in der Lage sind?

Niedermühlbichler: Ich würde es zuerst mit Angeboten versuchen. Mehr Menschen, als man denkt, würden dies annehmen. Zwang halte ich für problematisch: Jemand, der das macht, weil er muss, ist eher Störfaktor als Hilfe.

McDonald: Sozialmissbrauch muss bekämpft, eine Inaktivitätsfalle vermieden werden. Es war in Deutschland ein sozialdemokratischer Arbeitsminister, der den Arbeitsmarkt diesbezüglich weiterentwickelt hat. Man kann nicht alles auf Österreich umlegen, aber man kann sich intelligente Ideen abschauen.

Warum vermeiden Sie so bewusst den Begriff Hartz IV?

McDonald: Der Begriff hat einen negativen Beigeschmack bekommen. Ich halte auch nichts davon, das Thema einfach in die Luft zu schmeißen, man muss sich das fundiert ansehen. Aber das geht über die jetzigen Verhandlungen hinaus.

Welche der beiden ÖVP-Ideen ist für die SPÖ schlimmer: Deckelung oder Wartezeit?

Niedermühlbichler: Beides. Die Wartezeit betrifft mehr Menschen und die Deckelung für Familien die Falschen, vor allem die Kinder.

McDonald: Dass wir Familien benachteiligen, dagegen verwehre ich mich. Die Billa-Verkäuferin bekommt auch nicht mehr Lohn, wenn sie drei Kinder hat. Solidarität ist wichtig. Aber es muss auch Fairness gegenüber denen geben, die mit ihren Steuern Sozialleistungen ermöglichen.

Kommen wir zu zwei Wahlen: Herr Niedermühlbichler, wir wissen, dass Sie bei der Bundespräsidentenwahl wieder Alexander Van der Bellen wählen. Herr McDonald, verraten Sie uns, wen Sie wählen werden?

McDonald: Ich gehe sicher wählen und wähle auch nicht ungültig. Aber sonst gilt das Wahlgeheimnis.

Zur Wahl des ORF-Generaldirektors: Während sich Kern für Alexander Wrabetz ausgesprochen hat, hält sich die ÖVP mit einem Bekenntnis zu Richard Grasl zurück. Warum?

McDonald: Die Entscheidung fällt im Stiftungsrat, das ist eine unternehmerische, keine politische Entscheidung. Ich halte es nicht für geschickt, dass man durch politische Zurufe Prioritäten vergibt.

Das heißt, Ihnen ist egal, wer es wird?

McDonald: Ich habe eine Präferenz, die ich nicht über die Medien ausrichte.

Niedermühlbichler: Kontinuität ist wichtig, insofern halte ich Wrabetz für den Richtigen. Aber ich schließe mich an: Das ist die Aufgabe des Stiftungsrats.

Steckbrief

Georg Niedermühlbichler
ist seit Juni Bundesgeschäftsführer der SPÖ. Davor war er Landesparteisekretär der Wiener SPÖ. Seit 2005 ist er Gemeinderatsmitglied in Wien, seit 2008 Präsident der österreichischen Mitervereinigung.

Der 50-Jährige
stammt ursprünglich aus Tirol. Er hat eine Ausbildung zum Elektroinstallateur und eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann absolviert.

Steckbrief

Peter McDonald
ist seit Oktober 2015 Generalsekretär der ÖVP. Davor war er Direktor des ÖVP-Wirtschaftsbundes und Vorsitzender des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.

Der 43-jährige
Oberösterreicher mit irischen Wurzeln hat in Linz Wirtschaftswissenschaften studiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)

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