Zurückgewiesen in Deutschland, gestrandet in Österreich

Trauriges Pingpong-Spiel durch Europa
Trauriges Pingpong-Spiel durch EuropaAPA/dpa (Philipp Schulze)
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Die deutsche Polizei weist mehr Flüchtlinge und Migranten nach Österreich zurück. Diese stranden, etwa an Bahnhöfen, oder tauchen ab.

Wien. Deutschland weist mehr Flüchtlinge an der Grenze zu Österreich ab. 10.600 Menschen durften im ersten Halbjahr 2016 nicht nach Deutschland weiterreisen, wie aus einer Anfragebeantwortung der deutschen Bundesregierung hervorgeht – im gesamten Jahr 2015 waren es 8900 Zurückweisungen. Diese Nachricht klingt dramatisch – de facto sind die Zahlen zwar in den vergangenen Wochen wieder gestiegen, wie es vor allem aus den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich heißt.

In den Anfangsmonaten 2016 waren sie aber deutlich höher. Und: Auch bisher wurde etwa jeder zweite Migrant an der deutschen Grenze zurückgewiesen. Diese Abgewiesenen, oft aus Ländern ohne jede Aussicht auf Asyl, stranden in Österreich. Ohne Hoffnung auf eine legale Zukunft, ohne Papiere tauchen viele in die Illegalität ab – oder versuchen erneut, über die Grenze zu kommen. Bei vielen weiß man schlicht nicht, wohin sie verschwinden. Und es scheint mitunter, als wolle man das auch nicht so genau wissen.

Brennpunkt Bahnhof

Zwei der Brennpunkte der Zurückweisungen sind der Hauptbahnhof Salzburg und der Grenzübergang Saalbrücke. An der Grenze wurden im Juli 172 Personen zurückgewiesen, im Juni und Mai waren es je rund 200 Personen, im gesamten Jahr 2016 bisher 1600 Personen. Jene, die schon auf dem Bahnhof Salzburg von deutschen Polizisten, die dort auf den Bahnsteigen kontrollieren, aufgegriffen werden, sind da noch nicht eingerechnet. Die Zahl dieser Aufgriffe und Zurückweisungen auf dem Bahnhof ist zuletzt ebenfalls gestiegen: Im Juli waren es etwa 300 Fälle. Diese Flüchtlinge werden dann der Salzburger Polizei übergeben. Sagt diese Person dann „Asyl“, beginnt das übliche Prozedere – Antrag, Zulassungsverfahren, Unterbringung usw. Dazu ist es in Salzburg zuletzt nur in einem Bruchteil der Fälle von Zurückweisung gekommen.

Stellt ein Zurückgewiesener keinen Asylantrag, wird über das weitere Prozedere individuell entschieden: Es kann eine Aufforderung zur freiwilligen Ausreise folgen, eine Rückreise ins Herkunftsland oder eine Abschiebung angeordnet werden. Um das zu klären, ist eine 48-stündige fremdenpolizeiliche Anhaltung möglich. Ob jemand angehalten wird, werde von Fall zu Fall entschieden. Statistiken, wie mit zurückgewiesenen Personen verfahren wird, gibt es nicht. Diese gingen in allgemeinen Statistiken auf, so Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck.

De facto gibt es gegen viele Personen, die keinen Asylantrag stellen und deren Herkunftsländer keine Heimreisezertifikate ausstellen, nur eine sehr eingeschränkte Handhabe. Auf dem Bahnhof Linz etwa gab es Anfang des Jahres massive Probleme mit einer Gruppe von etwa 40 bis 50 Marokkanern, die teilweise an der Grenze zurückgewiesen worden waren und die nicht abgeschoben werden konnten. Der Bahnhof Linz wurde mittlerweile „befriedet“, wie David Furtner von der Landespolizeidirektion sagt, diese Gruppe von Männern wurde in Quartieren der Volkshilfe untergebracht und ist seither nicht mehr aufgefallen.

Ähnliche Probleme gibt es nun aber offenbar auf dem Bahnhof Salzburg: Dort wurde in den vergangenen Monaten ein deutlicher Anstieg von Straftaten registriert – vor allem Diebstähle, Körperverletzungen, Suchtmittelbesitz oder Kleinkriminalität. Die Polizei hat ihre Kontrollen dort mit Anfang August massiv verstärkt. Die Straftäter kamen auffällig oft aus Algerien, Marokko oder Afghanistan. Man könne, so betont eine Sprecherin der Polizei, keinen direkten Konnex zu den Zurückweisungen herstellen. Aber es handelt sich auch in Salzburg teilweise um rechtswidrig aufhältige Personen, die keinen Asylantrag stellen, mangels Heimreisezertifikats nicht abgeschoben werden können. Der Polizei bleibe dann oft nichts anderes übrig, als diese auf freiem Fuß anzuzeigen.

Pingpong durch Europa

Wo sich Personen, die kein Asyl beantragen, dann aufhalten, ist oft unklar. Wird jemand an der oberösterreichisch-bayerischen Grenze aufgehalten und den österreichischen Behörden übergeben, folgt eine umfassende Befragung, auch Fingerabdrücke werden genommen. Dann kann sich diese Person aber frei bewegen, bis das Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen entscheidet, wie es weitergeht. „Es geht um eine Verwaltungsübertretung, dafür können wir niemanden einsperren, das sind ja keine Verbrecher oder Terroristen“, sagt Furtner. Erteilt das Amt eine „Anweisung, das Bundesgebiet zu verlassen“, kann es durchaus sein, dass eine Art Pingpong-Spiel beginnt. Schließlich kann ein Migrant ohne Dokumente nirgendwohin legal ausreisen. Wie viele aber tatsächlich ausreisen, wie viele erneut versuchen, nach Deutschland zu kommen, wie viele illegal in Österreich leben und bei Bekannten unterkommen, das ist nicht erfasst. Der Fokus der Grenzkontrollen liegt schließlich auf Einreisen, nicht auf Ausreisen. Ein möglicher Weg für die Zurückgeschobenen aus Deutschland, eine weitere Zurückweisung in jenes Land, aus dem sie nach Österreich eingereist sind, wird offenbar aber schwieriger.

Slowenien lehnt Rückübernahme ab

Slowenien hat jüngst die Rückübernahme von 22 illegal nach Kärnten Eingereisten abgelehnt, wie die Polizei bestätigt. Die Österreicher hätten keine Beweise vorgelegt, dass sie über Slowenien gereist seien, heißt es aus Slowenien. Die 22 aus Bangladesch, Syrien, der Türkei und Pakistan wurden ins Polizeianhaltezentrum Klagenfurt gebracht. Sie können, so sie nicht noch von Slowenien zurückgenommen werden, einen Asylantrag stellen. Tun sie das nicht, könnten sie abgeschoben werden. Das werde aber von Fall zu Fall entschieden, heißt es in der Landespolizeidirektion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2016)

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