Zu krank für den Prozess

Ex-Lobbyist Peter Hochegger.
Ex-Lobbyist Peter Hochegger.(c) APA/ROBERT JAEGER
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Ex-Lobbyist Hochegger erschien vergangene Woche nicht vor Gericht, da er laut Anwalt nicht verhandlungsfähig sei. Eine Situation, die sich bei Wirtschaftsprozessen in jüngster Zeit auffällig häuft.

Eigentlich hätte diese Woche am Wiener Straflandesgericht nur mehr die Strafe festgesetzt werden sollen. Das Strafverfahren wurde bereits im September 2013 abgeschlossen, das Urteil im Herbst des Vorjahres vom Obersten Gerichtshof (OGH) bestätigt. Demnach ist es erwiesen, dass der Ex-Lobbyist Peter Hochegger vor rund zehn Jahren als Mittelsmann bei Schmiergeldzahlungen zwischen Telekom Austria und BZÖ fungierte. Die Telekom wollte eine Änderung bei der Universaldienstverordnung, das BZÖ brauchte Geld für den Nationalratswahlkampf 2006. Schlussendlich sind 960.000 Euro geflossen – unter Beteiligung Hocheggers, der bis zuletzt seine Unschuld beteuerte.

Am Dienstag hätte vom Gericht also die Strafe festgelegt werden sollen. Doch das war nicht möglich. Denn Hochegger kam nicht zur Verhandlung. Und ohne Anwesenheit des Angeklagten beziehungsweise Verurteilten kann auch die Strafe nicht ausgesprochen werden. Der Grund für das Fernbleiben sei, dass Hochegger verhandlungsunfähig sei, so sein Anwalt. „Er ist ein gesundheitlich gebrochener Mann. Er ist psychisch fertig.“ Daher befinde sich Hochegger derzeit in Behandlung in der Schweiz. Die Verhandlung wurde vertagt.

Haftunfähig. Das Geschehen an diesem Dienstag erinnert frappant an andere große Wirtschaftsprozesse in diesem Jahr. So startete im April eines der vielen Verfahren im Umfeld der Immofinanz-Affäre. Auf der Anklagebank nahmen mehrere Ex-Mitarbeiter des Unternehmens sowie Ronnie Leitgeb, der ehemalige Manager von Thomas Muster, Platz. Vorgeworfen wurde ihnen Untreue im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Villa in Südfrankreich. Eine Person fehlte jedoch. Der Hauptangeklagte: Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics.

Petrikovics wurde in einem anderen Immofinanz-Verfahren wie Hochegger bereits im Jahr 2013 verurteilt – zu sechs Jahren Gefängnis. Die Strafe wurde ebenfalls im Herbst des Vorjahres vom OGH bestätigt. Angetreten hat der ehemalige Banker seine Haft bisher jedoch noch nicht. Er sei haftunfähig, ließ er im Jänner ausrichten. Die Justiz beauftragte daraufhin einen Gutachter, der das überprüfen sollte. Da das erste Gutachten nicht ausreichend war, wurde in der Folge ein zweites in Auftrag gegeben. Und bis dieses vorliegt, ist Petrikovics auch nicht verhandlungsfähig. Sein Fall wurde daher aus dem im April begonnenen und im Juni bereits abgeschlossenen Prozess (20 Monate bedingt für Leitgeb, nicht rechtskräftig) ausgeschieden.

Eine Vorgangsweise, die man auch beim Landesgericht Eisenstadt wählte. Dort startete im Juni die gerichtliche Aufarbeitung der sogenannten Begas-Affäre. Der burgenländische Landes-Energieversorger soll über Jahre mittels falscher Spesenabrechnungen, Scheinrechnungen anderer Firmen sowie ungerechtfertigter Provisionen geschädigt worden sein. Mehrere Ex-Mitarbeiter fanden sich daher auf der Anklagebank ein.

Erneut fehlte jedoch der Hauptangeklagte – in diesem Fall Ex-Begas-Chef Rudolf Simandl. Er wurde bereits kurz nach der Festnahme 2013 aufgrund seines psychischen Zustandes wieder enthaftet. Ein Gerichtsgutachter bescheinigte ihm im April diesen Jahres, dass eine „Verhandlungs- und Vernehmungsfähigkeit nicht gegeben“ sei. Die Frage, ob Simandl möglicherweise simuliere, verneinte der Gutachter.

Handelt es sich bei dieser Häufung an psychischen Problemen rund um große Wirtschaftsstrafprozesse nur um eine zufällige Koinzidenz? Oder versuchen ehemalige Spitzenmanager gezielt, die juristische Strafverfolgung mit medizinischen Mitteln auszuhebeln, wie mitunter vermutet wird?

„Gefühlsmäßig nimmt das Thema Verhandlungsunfähigkeit zu“, sagt Christina Salzborn, Sprecherin des Landesgerichts Wien, die dort auch als Richterin tätig ist. Konkrete Statistiken gebe es allerdings nicht. Aus juristischer Sicht könne das Ganze auch nicht beurteilt werden, da hierbei die Mediziner das Wort hätten. „Verhandlungsunfähigkeit ist in der Strafprozessordnung nicht definiert.“

Anders sehe es in der medizinischen Literatur aus, erklärt die renommierte Gerichtsgutachterin Gabriele Wörgötter. „Verhandlungsfähigkeit ist prinzipiell definiert als die Fähigkeit, in- und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrnehmen, die Verteidigung im Prozess in verständiger Weise führen sowie Prozesserklärungen abgeben und entgegennehmen zu können“, so die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie.

Eine Einschränkung dieser Verhandlungsfähigkeit kann nun aus körperlichen oder psychischen Ursachen erfolgen. Ersteres stand etwa bei Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner beim zweiten Bawag-Prozess im Jahr 2012 zur Diskussion. Sein Verteidiger brachte damals vor, dass ein Prozess für seinen schwer herzkranken Mandanten zu gefährlich sei. Schlussendlich wurde Elsner von einem Gutachter jedoch für verhandlungsfähig erklärt. Allerdings gibt es immer wieder Fälle, in denen akute Krankheiten eine Verhandlung aufschieben können. Etwa, wenn jemand an Krebs erkrankt und eine für den Körper sehr belastende Chemotherapie durchführen muss.

„Meistens geht es jedoch um etwas Psychisches“, so Wörgötter. Und da sei genau definiert, welche Erkrankungen überhaupt zur Verhandlungsunfähigkeit führen können. „Das wären schwere Psychosen, schwere Minderbegabung, ein schweres organisches Psychosyndrom – etwa nach einer Schädel-Hirn-Verletzung – oder schwerste Depressionen“, sagt Wörgötter. Bei den aktuellen Fällen gehe es in der Regel um Depression.

Wichtig sei dabei festzuhalten, dass ein Gerichtsverfahren für jeden Menschen eine emotionale und psychische Belastung ist, so Wörgötter weiter. Es sei die adäquate Reaktion, dass man sich nicht gut fühle, wenn man in einem Strafprozess angeklagt ist. „Zwischen sich schlecht fühlen und psychischer Erkrankung ist aber ein ordentlicher Sprung. Und zwischen psychischer Erkrankung und Verhandlungsunfähigkeit ist noch einmal ein ordentlicher Sprung.“

Es hänge daher vom Können und der Erfahrung des Sachverständigen ab, eine realistische Bewertung zu erhalten. Dabei würden sowohl die Befunde geprüft als auch im Rahmen persönlicher Gespräche die Lebensumstände hinterfragt. „Hundertprozentig weiß man es aber nie. Wir Psychiater können nicht wie ein Internist ein EKG machen“, sagt Wörgötter.

Sozialer Hintergrund. Für die Justiz ist die Meinung des Gutachters aber bindend. Schlussendlich könnte das auch dauerhaft die Strafverfolgung verhindern. „Wenn ein Sachverständiger zum Schluss kommt, dass aus medizinischen Gründen die Prozessführung auf unabsehbare Zeit nicht möglich sei, dann hat das Gericht grundsätzlich hier keine Handhabe“, sagt Salzborn. Allerdings werde der Zustand in regelmäßigen Abständen überprüft.

Die aktuelle Häufung des Themas bei Wirtschaftsstrafprozessen erklärt man sich bei Gericht und bei Gutachtern mit dem sozialen Hintergrund der Betroffenen. „Die meisten sehen sich sicher nicht als Kriminelle und erleben das Strafverfahren als Ungerechtfertigkeit“, sagt Wörgötter. Gleichzeitig sind aber natürlich auch die finanziellen Möglichkeiten der Verteidigung anders als bei anderen Strafverfahren. „In der Regel kommen die Angeklagten mit Privatgutachten“, sagt Salzborn. Und nicht selten werden diese von bekannten Ärzten oder Universitätsprofessoren erstellt. Für die Gerichtsgutachter kann es also schwierig sein, hier eine andere Meinung zu argumentieren.

Dass man sich durch ein Aufschieben eines Verfahrens selbst etwas Gutes tue, bezweifelt Wörgötter jedoch. In einem Fall habe das Verfahren erst nach Jahren starten können. „Die Anklage hing wie ein Damoklesschwert dauernd in der Luft. Nach dem Urteil war der Angeklagte dann richtig erleichtert. Der therapeutische Ansatz müsste also dahin gehen, die Betroffenen zu stärken, dass sie den Prozess durchstehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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