Die Schlepper umgehen Österreich

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Der Aufwand der Behörden ließ die Täter vorsichtiger werden. Dabei blieb die Nachfrage nach dem Schleusen von Migranten unverändert hoch.

Der griechische Lkw-Fahrer konnte selbst schwer glauben, was er den Ermittlern bei der Befragung erzählte. Mitten auf der Autobahn, so steht es im Protokoll, war er von wild gestikulierenden anderen Lenkern zum Anhalten gedrängt worden. Was denn los sei, fragte er verärgert. Dann sah er es selbst: Unter dem Aufbau seines Schwerfahrzeugs ragten gleich mehrere Beine hervor, die zu Personen gehörten, die sich dort versteckt hatten. Er war ohne sein Wissen Teil der Schleppermafia geworden.

Die Szene ist beispielhaft für das aktuelle Bild auf dem Markt für illegale Migration: Ein Jahr nachdem am 27. August 2015 in einem Klein-Lkw auf der Ostautobahn 71 erstickte Flüchtlinge aufgefunden wurden, ist die Nachfrage nach dem illegalen Einschleusen nach Österreich (und in die EU) so groß wie zuvor. Die enormen Anstrengungen der Sicherheitsapparate führten nicht dazu, dass das gnadenlose Geschäft mit den Hoffnungen von Migranten nachließ. Nur die Methoden und Routen haben sich geändert.

Genauso viele „Illegale“ wie 2015

Die sogenannte Balkanroute ist nämlich keineswegs geschlossen, wie viele Politiker meinen. Die Wege des Einschleusens haben sich lediglich vom Haupteinfallstor Ungarn in Richtung Kroatien und Slowenien verlagert. Starke Indizien dafür, dass die Geschäfte gut gehen, liefern die Lageberichte des Bundeskriminalamts. 20.975 illegal eingereiste Personen stehen im Ausnahmejahr 2015 in der Statistik. Auch wenn die Behörde die aktuelle Zahl wegen methodischer Mängel von Vorabzahlen noch nicht bekannt geben will: Im Vergleich zum Vorjahr, heißt es im Amt, gebe es bisher diesbezüglich keinen spürbaren Unterschied.

Das hat damit zu tun, dass der „Kundenpool“, in dem die Schlepper fischen, größer geworden ist. „Die Bilder, die seit einem Jahr über die sozialen Netzwerke im Internet um die Welt gehen, haben vor allem in Afrika viel ausgelöst und dazu geführt, dass mehr Migrationswillige Europa für sich als Ziel auserkoren haben“, sagt Gerald Tatzgern. Er leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität im Bundeskriminalamt, deren Personalstand heuer auf 38 Personen verdoppelt wurde. Die Kontrollen an den Grenzen und erhöhte Sensibilität für verdächtige Fahrzeuge im Hinterland führten seiner Erfahrung nach dazu, dass die Mitglieder der Banden die Flüchtlinge immer öfter noch vor der österreichischen Grenze sich selbst überlassen und ihren Lohn einfordern.

Die Beobachtung deckt sich mit Daten der neuen Kontaktstellen für Schlepperei, die im Vorjahr in den Einflussgebieten aller vier Oberstaatsanwaltschaften eingerichtet wurden. Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Schlepper sank deutlich: auf 591 innerhalb der ersten sieben Monate im heurigen Jahr (2013: 1026, 2014: 1104, 2015: 2510).

Nachbarstaaten ignorieren Probleme

Die Grenzkontrollen entlang des Balkans hatten auch negative Folgen. In Ländern wie Mazedonien oder Bulgarien haben die Behörden inzwischen ein echtes Problem mit korrupten Polizisten, die sich ihr Gehalt durch Bestechung aufbessern lassen. Das Wissen um dieses Problem macht schon länger in Sicherheitskreisen die Runde, erste, spektakuläre Fälle wie zuletzt in Bulgarien werden nun vermehrt medienöffentlich.

Eine weitere Folge der dichteren Grenzen ist, dass einige Staaten den Tatbestand der Schlepperei bei der Einreise in ihr Hoheitsgebiet anders interpretieren als bei der Ausreise. Das bedeutet: Wenn es darum geht, das eigene Territorium zu schützen, legen die Länder entlang des Balkans – aber auch Italien – nach Angaben von „Presse“-Quellen strenge Maßstäbe an und kooperieren bereitwillig mit ausländischen Behörden. Reisen offensichtlich Geschleppte aber wieder aus, werden Anfragen von Polizisten der betroffenen Zielländer nicht selten mit dem Argument abgetan, dass es sich gar nicht um den Straftatbestand der Schlepperei handle. Motto: „Ein Flüchtling, der das Land wieder verlässt, ist ein guter Flüchtling.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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