Merkel-Kritik: Doskozil bringt Kern in Verlegenheit

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Vor dem Berlin-Besuch des Kanzlers verlangt der Heeresminister eine Wende Deutschlands. Und biedert sich dabei dem Boulevard an.

Berlin/Wien. Das Timing hätte nicht viel schlechter sein können – sofern es nicht bewusst gewählt war. Einen Tag bevor Kanzler Christian Kern auf Schloss Meseberg in Brandenburg bei Angela Merkel zu Gast ist, hat Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil die deutsche Kanzlerin scharf kritisiert: „Die ,Wir schaffen das‘-Politik ist unverantwortlich“, sagte Doskozil der „Kronen Zeitung“. Die von Merkel erschaffene Willkommenskultur sei eine Ermunterung für Flüchtlinge, nach Europa aufzubrechen. Aber: „2015 darf sich nicht wiederholen.“

Kern wird über die Ausführungen seines Stellvertreters in der SPÖ wahrscheinlich nicht erfreut gewesen sein. Aus dem Kanzleramt hieß es am Freitag nur: „Es ist zu kurz gegriffen, die deutsche Flüchtlingspolitik in einer Schlagzeile zusammenzufassen. In vielen Bereichen vertreten Österreich und Deutschland dieselben Interessen.“ Als Beispiel wurde der Schutz der EU-Außengrenze genannt. Mehr wollte man vor dem Besuch bei Merkel nicht dazu sagen.

In SPÖ-Kreisen wurde inzwischen über Doskozils Motive gerätselt. Wollte er Kern schaden? Sich wichtigmachen? Am wahrscheinlichsten ist, dass er einfach seinem Haus- und Hofblatt, das sich in der Flüchtlingsfrage eindeutig positioniert hat, einen Gefallen getan hat. Wie sein Mentor, der burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, hat auch Doskozil ein Naheverhältnis zur „Kronen Zeitung“. Wann immer er etwas Wichtiges zu verkünden hat, tut er es auf diesem Weg. Es handelt sich hier um eine symbiotische Beziehung.

Ungewöhnlich war, dass sich der Minister dieses Mal auch in Deutschland zu Wort gemeldet hat, um sein Unbehagen über Merkels Politik zum Ausdruck zu bringen. Er erwarte nun ein klares Zeichen aus Berlin, erklärte er selbstbewusst der „Bild“-Zeitung: „Deutschland muss klar sagen: ,Die Grenzen sind zu.‘“

Über das Zustandekommen der Achse Doskozil–„Bild“ lässt sich nur spekulieren. Womöglich hat der Verteidigungsminister seine neuen Kontakte spielen lassen. Vor Kurzem war ein „Bild“-Reporter am Grenzübergang Nickelsdorf, um mit ihm die Ereignisse des Sommers 2015 Revue passieren zu lassen. Damals war Doskozil noch Landespolizeichef des Burgenlandes.

In seinem neuen Job hat der 46-Jährige dann schnell gelernt, wie man in die Schlagzeilen kommt. Jetzt nützt er die Auftritte im Boulevard, um sein Profil als Rechts-Außen der SPÖ zu schärfen und den innerparteilichen Richtungsstreit in der Asylpolitik zu seinen und zu Niessls Gunsten zu beeinflussen.

Merkel sagt dazu: Nichts

In der „Krone“ vom Freitag klang das so: Bis dato seien heuer 100.000 Flüchtlinge in Österreich registriert worden. Die größte Gruppe komme aber nicht aus Kriegsgebieten wie Syrien, sondern aus Nigeria und Eritrea. Doskozil will deshalb einen EU-Gipfel einberufen, um dort zu beraten, wie die Migranten in ihre Heimat zurückgebracht werden könnten. Denn das Problem sei, dass es mit vielen Staaten kein Rückführungsabkommen gebe. Außerdem sei Österreich nicht das Wartezimmer Deutschlands.

Die deutsche Kanzlerin, die diese Woche das Gespräch mit allen EU-Regierungschefs gesucht hat, um den Brexit-Sondergipfel am 16. September in Bratislava vorzubereiten, ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie sagte nämlich: nichts. Doskozil war am Freitag bloß eine Stimme im EU-Chor der Merkel-Kritiker. Tschechien und Ungarn hatten sich ebenfalls über ihre Flüchtlingspolitik beschwert. Polen warf Deutschland eine „egoistische Außenpolitik“ vor und machte das unter anderem an der geplanten Ostsee-Pipeline nach Russland fest, die man strikt ablehne.

Um die Mittagszeit erklärte eine Sprecherin Merkels in Berlin, dass man Einzelmeinungen nicht kommentiere, auch nicht die von Doskozil. Sie verwies nur auf die Äußerungen der Kanzlerin bei ihrem Staatsbesuch am Donnerstag in Prag. Dort hatte Merkel gesagt: „Ich denke, wir bleiben weiter im Gespräch miteinander. Das ist das Prinzip der Europäischen Union. Es passiert auch nicht zum ersten Mal, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Wir müssen sie benennen. Und dann müssen wir versuchen, vernünftige Lösungen zu finden.“

Das Gespräch wird am Samstag nördlich von Berlin, auf Schloss Meseberg, fortgesetzt. Ohne Doskozil, aber mit Kern. Neben ihm dürfen auch die Regierungschefs aus Bulgarien, Kroatien und der Slowakei bei Merkel vorsprechen.

AUF EINEN BLICK

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil hat die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, scharf kritisiert. Die Willkommenskultur sei eine Ermunterung für Flüchtlinge, nach Europa aufzubrechen, sagte er der „Kronen Zeitung“. Für seinen Parteichef in der SPÖ kommt dieser Einwurf zur falschen Zeit. Kanzler Christian Kern ist heute, Samstag, Merkels Gast auf Schloss Meseberg in Brandenburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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