Was passiert beim Schlafen mit dem Gedächtnis?

Können wir über Nacht klüger werden? Schlaf hilft, sich zuvor Erlerntes besser zu merken. Außerdem räumt das Gehirn über Nacht auf.

Schön wär's: sich abends ein Lehrbuch unter den Kopfpolster legen und in der Früh wissen, was drinnen steht. Das würden sich wohl nicht nur Kinder wünschen. Die gute Nachricht: Schlaf hilft tatsächlich, neu erworbenes Wissen besser zu behalten. Die schlechte Nachricht: Man muss sich zuvor sehr wohl anstrengen und es sich aneignen.

„Bereits 1924 wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass einfache Lernaufgaben vor dem Schlafen leichter behalten werden als vor einer Wachperiode“, sagt Bernd Saletu, Schlafforscher an der Med-Uni Wien und im Rudolfinerhaus. Er führte zu Beginn der 1970er-Jahre ein Schlaflabor in den USA und gilt als Begründer der Schlafmedizin in Österreich, wohin er Mitte der 1970er-Jahre zurückkehrte.

Was passiert über Nacht mit unserem Gedächtnis? Wenn wir schlafen, wandern Informationen aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis. Dabei sind die unterschiedlichen Schlafphasen entscheidend. Über den Leichtschlaf kommt der Mensch zunächst in tiefere Schlafphasen. Diese sind wichtig für das explizite oder deklarative Lernen, bei dem konkretes Wissen oder Erinnerungen an Episoden aus dem eigenen Leben gespeichert werden. Dazu brauche es allerdings einen guten, störungsfreien Schlaf, so Saletu, der sich in seiner Forschung u. a. mit Schlafstörungen befasst – 97 verschiedene sind bekannt. Wer schlecht schläft, kann Lerndefizite nicht einfach in der darauffolgenden Nacht wieder ausgleichen.

Im Schlaf Fahrradfahren lernen

Später in der Nacht dominieren die sogenannten REM-Phasen, benannt nach den schnellen Bewegungen der Augen (Englisch: rapid eye movements). REM-Schlaf ist für das implizite oder prozedurale Lernen zuständig, also etwa um Bewegungsabläufe zu verfestigen. Lernt ein Kind beispielsweise Fahrradfahren, nehmen REM-Schlafanteile zu. Wird es in diesen Phasen geweckt, stört das das Einstudieren der Bewegungsmuster.

Was beim Schlafen im Gehirn passiert, beobachten Forscher mittels Elektroenzephalogramm (EEG). Genauere Informationen erhalten sie mit LORETA – das Akronym steht für „Low Resolution Brain Electromagnetic Tomographie“ –, einem computertomografischen, bildgebenden Verfahren. Damit lassen sich auch Schlafspindeln – diese sind nach dem spindelförmigen Muster im EEG benannt – lokalisieren. Das gemessene Muster spiegelt die Aktivität des Gehirns wider. Dabei zeigt sich auch ein Zusammenhang mit Intelligenz: Je mehr Schlafspindeln beobachtbar sind, desto intelligenter ist ein Mensch. „Wir sind eben nicht alle gleich“, sagt Saletu.

Nächtliche Müllabfuhr

Schlaf wirkt zugleich wie eine nächtliche Müllabfuhr: Irrelevante Gedächtnisspuren werden im Tiefschlaf abgeschwächt, relevante Informationen im Spindelschlaf wiederholt. Im REM-Schlaf werden sie schließlich weiterverarbeitet. „Das Gehirn räumt über Nacht also sozusagen auf“, so Saletu, der mit „Faszination Schlaf – Schäfchen zählen war gestern“ (Maudrich Verlag, 232 Seiten) auch ein laientaugliches „Standardwerk für erholsamen Schlaf“ veröffentlicht hat.

Damit nicht genug: Es gibt auch Hinweise, dass sich das Gehirn im Schlaf von zellulärem „Müll“ reinigt, der für Alzheimer und andere neurologische Krankheiten verantwortlich sein könnte.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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