Stöger: "Möchte Österreichern Slums ersparen"

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SP-Sozialminister Stöger sieht sich als "größten Pragmatiker, den es gibt" und verlangt Ausgleichszahlungen bei der Mindestsicherung von Bundesländern, die Flüchtlinge vertreiben.

Die Presse am Sonntag: Sie sehen sich jetzt als Sozialminister als neuen linken Hero?
Alois Stöger: Nein, die Begrifflichkeiten passen gar nicht.

Welche würden denn passen?
Ich hatte immer eine klare sozialdemokratische Position. Ich begreife mich als jemanden, der über den Tag hinausdenkt, der Verantwortung dafür übernimmt, was Demokratie heißt und was die Wurzeln der europäischen Kultur sind. Manche wissen derzeit nicht mehr, dass einer der großen Werte Europas die Aufklärung ist. Einer der zentralen Grundwerte für Freiheit, für Demokratie ist auch, die anderen Menschen als gleich zu sehen.

Fällt Ihr Auftreten auch gegenüber der ÖVP so auf, weil andere in der SPÖ einen pragmatisch-rechten Kurs einschlagen, wie in der Flüchtlingspolitik Regierungskollege Verteidigungsminister Doskozil?
Ich bin der größte Pragmatiker, den es gibt. Ich habe immer versucht, Lösungen zu entwickeln. Dazu braucht es aber Partner.

Vor einem halben Jahr gab es den Pensionsgipfel am 29. Februar. Wirkt es nicht seltsam, dass noch kein einziger Gesetzesentwurf von Ihnen auf den Tisch gelegt wurde?
Das hängt damit zusammen, dass wir beim Pensionsgipfel über sehr viele Themen entschieden haben. Diese wirken stark ministerienübergreifend. Daher braucht es eine gute Abstimmung. Wir haben immer gesagt, das kommt im Herbst in die parlamentarische Behandlung. Das wird auch so sein. Ich möchte, dass das am 1. Jänner 2017 in Kraft tritt.

Auf eine Lösung wartet man auch bei der Mindestsicherung schon lang. Kommt es zu einer bundesweit einheitlichen Regelung ab 2017?
Die Landessozialreferenten und der Bund haben gesagt, wir brauchen in Österreich eine einheitliche Mindestsicherung mit gleichen Regeln. Wenn das das Ziel ist, dann darf man nicht den Heckenschützen den Raum geben. Was ich einmahne, ist, sich gerade bei der Mindestsicherung auf die Sache zu beziehen und nicht Nebenthemen zu emotionalisieren. Das halte ich für das Verwerfliche an der Diskussion.

Was ist Sache bei der Mindestsicherung?
Wir haben folgende Kriterien erarbeitet: Obdachlosigkeit verhindern, den Menschen Nahrung geben, da geht es sehr oft um Kinder. Wir haben drittens gesagt, wir wollen Menschen, die das brauchen, Hilfe zur Arbeit anbieten. Sie müssen Arbeit annehmen. Sonst bekommen sie keine Mindestsicherung. Und sie müssen sich integrieren. Wenn sie das nicht tun, bekommen sie keine Mindestsicherung. Der vierte Punkt ist, dass ich den Österreichern Slums ersparen möchte. Wer keine Mindestsicherung will, riskiert Slums. Wir haben die Texte der 15-A-Vereinbarung abgestimmt. Danach sind einige Personen gekommen und haben gesagt, das geht nicht. Das waren Herr Lopatka und Frau Landesrätin Schwarz (Niederösterreich, ÖVP). Es braucht jetzt Sachlichkeit. Mit ÖVP-Obmann Mitterlehner habe ich vereinbart, dass wir in den nächsten Tagen eine vernünftige Gesprächsrunde führen werden.

Es ist kein Nebenthema, wenn man sagt, jemand muss gemeinnützige Arbeit annehmen, damit er Mindestsicherung erhält?
Wenn jemand Mindestsicherung hat, muss er jede Arbeit annehmen. Und zwar Arbeit, die bezahlt wird.

Also keine Ein-Euro-Jobs?
Mit einem Euro in sechs Minuten habe ich kein Problem ...

. . . das war aber beim Vorschlag von ÖVP-Integrationsminister Kurz nicht gemeint.
Ich will die Diskussion nicht dazu verwenden, um Menschen auf der Flucht, um den ärmsten Österreichern etwas wegzunehmen. Die Vorschläge der ÖVP nehmen den ärmsten Österreichern etwas weg.

Können Sie einem Beschäftigten der Voestalpine erklären, warum eine Familie mit zwei, drei Kindern mit der Mindestsicherung netto mehr hat als ein einfacher Arbeiter?
Dieser Schluss stimmt nicht. Sie verwechseln ständig Individual- mit Familieneinkommen.

Was soll nicht stimmen, wenn es nur einen gibt, der mit seinem Arbeitseinkommen die ganze Familie erhält? Etwa eine Kassierin im Supermarkt, die Alleinerzieherin ist und auf nicht viel mehr als auf die Mindestsicherung als Alleinstehender kommt.
837 Euro im Monat ist der Maximalbetrag. Wenn eine Verkäuferin 20 Stunden Teilzeit arbeitet und weniger als 837 Euro kriegt, hat sie das Recht, ihren Lohn auf diesen Betrag aufzustocken. Auch sie profitiert also von der Mindestsicherung.

Die Kassierin wäre dann dumm, wenn sie länger arbeitet. Denn sie kommt auch so auf die 837 Euro im Monat.
Das Ziel der Mindestsicherung ist aber, aus dem Instrument rauszukommen.

Sind Sie sicher, dass der Anreiz nicht größer ist, zu sagen, für die paar Netsch mehr gehe ich nicht arbeiten?
In der Mindestsicherung kann man sich nicht aussuchen, ob man arbeitet oder nicht. Man muss jede Arbeit annehmen. Entscheidend ist aber auch, dass wir vernünftige Mindestlöhne haben. Jede Branche ist mit einem Mindestlohn von 1500 Euro gut beraten.

Ist die von Ihnen vorgeschlagene Wohnsitzpflicht Fixbestandteil einer Neuregelung?
Die Wohnsitzpflicht hat mehrere Aspekte. Sie gilt für Asylwerber wie auch für Asylberechtigte. Die eine Frage ist: Wer teilt die Leute, die zu uns flüchten, wo ein? Die zweite Frage ist: Wer ist dann zuständig für die Finanzierung der Mindestsicherung, wer zahlt für sie?

Wer soll zahlen?
Es soll zu einer sinnvolleren Verteilung der geflüchteten Menschen in Österreich kommen. Wenn sich dann jemand an der Integration nicht beteiligt, sie verhindert, Bedingungen schafft, die Leute vertreiben, soll die zuständige Sozialabteilung die Mindestsicherung zahlen. Es kann nicht sein, dass man sich auf Kosten anderer saniert.

Das heißt im Klartext: Die Oberösterreicher sollen dann etwa den Wienern einen Betrag für Bezieher mit Asylstatus überweisen.
Wenn die Oberösterreicher nicht dafür sorgen, dass sie ihren Anteil übernehmen, ja.

Das ist dann eine Art Strafe.
Das ist ein Interessensausgleich.

Zur Notverordnung zur Einhaltung der Asylobergrenze, die bis 6. September fertig sein soll. Da gab es Differenzen mit dem Innenministerium um Daten des Sozialressorts.
Im Asylgesetz steht, dass die öffentliche Sicherheit gefährdet sein muss, um diese Verordnung zu machen. Natürlich ist der Arbeitsmarkt eine Größe, aber dass sie die ausschließliche Größe ist, steht nicht im Gesetz. Und des Lesens bin ich mächtig.

Geht es Ihnen darum, zu sagen: In Wahrheit ist in Österreich kein Notstand, der die Verordnung rechtfertigen würde?
Noch einmal: Der Innenminister muss der Bundesregierung die Kriterien vorlegen, mit denen er die Erfüllung der Voraussetzungen im Asylgesetz darlegt. Dabei kann der Arbeitsmarkt eine Rolle spielen, aber dass er das Ausschließliche ist, dazu sage ich Nein.

Sind Sie für die Verordnung?
Notstand ist ein Begriff, mit dem eine Regierung sorgsam umgehen muss. Ich stehe dazu, dass die Bundesregierung sagen muss, wir haben begrenzte Kapazitäten, wir wollen eine geordnete Vorgangsweise, um Menschen, die flüchten müssen, zu helfen. Das braucht Ordnung. Das braucht aber auch die Bereitschaft, ordentlich damit umzugehen. Verlogen sein geht nicht.

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