"Homo-Ehe könnte glücklich machen, ohne zu schaden"

Familienrichterin Barbara Helige
Familienrichterin Barbara Helige(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Das Konzept von Familie hat sich gewandelt, sagt Richterin Barbara Helige. Dennoch führe Österreich eine Art Abwehrkampf gegen die Gleichstellung Homosexueller. Sie hofft, dass bald eine Ehe die eingetragene Partnerschaft ersetzt.

Welchen Stellenwert hat die Familie im Österreich des 21. Jahrhunderts? Setzt man den Begriff mit der Zahl an Eheschließungen pro Jahr gleich, so hat sie in den vergangenen zehn Jahren jedenfalls wieder an Bedeutung gewonnen. Waren es im Jahr 2005 noch 39.153 Trauungen, gaben sich im Vorjahr exakt 44.502 Personen das Jawort. Demgegenüber nahm die Zahl der Scheidungen ab: 2005 gab es auf diesem Weg 19.453 Trennungen, im Jahr 2015 wurden exakt 16.351 Scheidungen verzeichnet. Doch ist Familie nur, wer Ehe schließt?

Aus juristischer Sicht jedenfalls nicht. So ist es gleichgeschlechtlichen Paaren seit Jänner 2010 gestattet, ihre Partnerschaft zu einer „eingetragenen“ zu machen: Im Vorjahr machten davon 423 Paare Gebrauch (2010 gab es 705 Verpartnerungen), wieder aufgelöst wurden hingegen 69 (2010 war es eine Partnerschaft). Daneben stieg auch die Zahl der Ehepaare ohne Kind, jene der Lebensgemeinschaften mit Kind und jene der Einpersonenhaushalte. „Auch gibt es immer mehr Patchworkfamilien“, betont Familienrichterin Barbara Helige. Ihre Schlussfolgerung: „Ehe und Familie gehören heute nicht mehr logisch zusammen, sondern es gibt sehr vielfältige Formen, Familie zu leben.“

Zwar sei es den Österreichern immer noch wichtig, vor den Traualtar zu treten, „doch kann man heute nicht mehr damit rechnen, dass eine Ehe ein Leben lang hält“, so die Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte. „Es gibt viele zweite, auch dritte Ehen, was zeigt, dass sie als Institution noch lebt, im Sinne einer lebenslangen sicheren Versorgung – insbesondere der Frau – aber nicht mehr funktioniert.“ Für Mütter sei es sogar eher riskant, nur daheim bei den Kindern zu bleiben. Sicherheit könne aber das Erlernen und die Ausübung eines Berufes bieten, meint Helige: „Tut eine Frau das nicht, steht sie im Fall einer Scheidung nicht nur arbeitslos auf der Straße, sondern muss sich auch mit 33 Prozent des Einkommens des Mannes begnügen, was in der Regel sehr wenig ist.“

Die Gesellschaft ist am Zug

Hinzu komme, dass in großen Teilen der Bevölkerung noch die Ansicht verhaftet sei, wonach die Frau hauptverantwortlich für die Kinder ist. „Das wirkt sich auf der Seite des Erwerbs oft ungünstig für sie aus“, sagt Helige, die die Gemeinschaft gefordert sieht: „Um eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau zu erreichen, muss die gesamte Gesellschaft mitarbeiten.“

Auch der juristische Teil davon. „In manchen Bereichen ist unser Rechtssystem noch stark von der Religion beeinflusst, also von der Ansicht geprägt, dass eine Familie aus Mutter, Vater und Kind zu bestehen hat“, sagt die Richterin und verweist auf das Thema eingetragene Partnerschaft. „In Österreich haben sich manche gesellschaftliche Gruppen sehr lange gesträubt, eine Verpartnerung zu ermöglichen“, bedauert Helige. Auch werde es Homosexuellen mancherorts nach wie vor verwehrt, sich in einem geschmückten Trauungssaal zueinander zu bekennen, „stattdessen wird alles rasch und möglichst ohne jede Feierlichkeit abgehandelt.“ Ohne das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall „Schalk und Kopf gegen Österreich“ hätte es vielleicht noch länger gedauert, mutmaßt die Vorsteherin des Bezirksgerichtes Döbling: „Österreich hat diese Causa gebraucht.“

Der Fall kreiste um ein gleichgeschlechtliches Paar, dem das Standesamt Wien im Jahr 2002 die standesamtliche Heirat verweigerte. Für diese Entscheidung zog es §44 ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) heran, wonach eine Ehe nur zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts geschlossen werden könne. Nachdem der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde des Paares abgewiesen hatte, wandte sich dieses an den EGMR, der den Beschwerdeführern recht gab. Seiner Ansicht nach müsse das Recht auf Eheschließung nicht „unter allen Umständen auf die Ehe zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts beschränkt sein“.

Ein Recht, das keinem weh tut

„Die Folge war, dass Österreich gar nicht mehr anders konnte, als eine eingetragene Lebenspartnerschaft zu schaffen, die nun seit 2010 gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit gibt, ihre Beziehung rechtlich anerkennen zu lassen“, sagt Helige. Und fügt hinzu: „Ich hoffe, dass bald eine Ehe daraus wird.“ Immerhin, so die frühere Präsidentin der Richtervereinigung, handele es sich hierbei um ein Menschenrecht. Konkret: „Um ein Menschenrecht, das niemandem wehtut.“

Dennoch gebe es immer wieder Erkenntnisse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die zeigen, „dass in Österreich eine Art Abwehrschlacht geführt wird, ein Abwehrkampf gegen die Gleichstellung von Homosexuellen. Ich frage mich: Wem nützt das? Würde man davon abrücken, könnte man sehr viele Menschen sehr glücklich machen – ohne irgendjemandem zu schaden“, sagt Helige. Gerade „in einer Zeit, in der alles Richtung Individualisierung geht, sollte man doch froh sein, dass es Menschen gibt, die Verantwortung füreinander übernehmen wollen“. Ihrer Ansicht nach seien die Österreicher bereit für diesen Schritt: „Die Bevölkerung hätte kein Problem mit einer Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, nur konservative Kreise, die wohl auch von der Kirche beeinflusst sind, müssen sich mit dem Thema noch etwas auseinandersetzen und ihre Haltung überdenken.“

Die Bundes-Verfassung würde dies jedenfalls ermöglichen, betont die Juristin. In der auf das Jahr 1920 zurückgehende Verfassung komme der Begriff der Familie nämlich gar nicht erst vor, grundrechtlich geschützt ist nur das Privatleben. „Und das ist auch gut so“, betont Helige. „Wäre die Familie in der Verfassung definiert, wäre die Einführung der eingetragenen Partnerschaften vielleicht nicht möglich gewesen, da sie zum Zeitpunkt der Verfassungsschöpfung nicht denkbar waren.“
Der Zeitpunkt für einen weiteren Schritt in Richtung Gleichberechtigung sei nun womöglich gekommen: „Es wäre wünschenswert, würde sich die Judikatur in Richtung Offenheit für alle Lebensformen, die den Menschen gut tun, entwickeln“, sagt die Richterin. Die grundrechtlichen Normen würden das, meint Helige, ohne weiteres zulassen – ganz im Gegenteil: „In Richtung der Wahrung der Würde des Menschen kann man nie schnell genug unterwegs sein.“

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