Flüchtlinge: Regierung fixiert Text für "Notverordnung"

Ein Bild aus Zeiten, in denen man als Regierungsspitze noch gemeinsam nach dem Ministerrat vor die Presse trat: Kanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner.
Ein Bild aus Zeiten, in denen man als Regierungsspitze noch gemeinsam nach dem Ministerrat vor die Presse trat: Kanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner.APA/GEORG HOCHMUTH
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Die Notverordnung geht in Begutachtung. Sollte sie in Kraft treten, gibt es für Flüchtlinge keine Möglichkeit mehr, an den Grenzen Asyl zu beantragen. Viele Fragen bleiben offen.

Österreich stößt wegen der hohen Anzahl an Flüchtlingen bald an seine Grenzen. Das versucht zumindest die Regierung in dem Entwurf für die Notverordnung zu argumentieren. Nicht nur in den verschiedenen Kategorien – wie Gesundheit, Bildung oder Integration. Nein, auch einzelne Bundesländer führen in dem Papier aus, warum ihre Kapazitäten bald am Ende sein könnten: „Bei einer vergleichbar hohen Anzahl von Schutzsuchenden wie im Jahr 2015 besteht die Gefahr, dass eine lückenlose gesundheitliche Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann“, schreibt etwa Oberösterreich.

Mehrere Seiten lang beschreibt die Regierung, warum die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit Österreichs durch die hohe Zahl an Flüchtlingen gefährdet ist. Der Grund: Nur dann kann sie ihre Notverordnung umsetzen, die es erlaubt, Asylanträge direkt an der Grenze abzulehnen.

Argumentiert wird auf den unterschiedlichsten Ebenen, etwa in Sachen Kriminalität. So heißt es in den Erläuterungen zu der Verordnung: "Der überdurchschnittlich hohe Zuzug von Schutzsuchenden stellt eine enorme Herausforderung für die allgemeine Sicherheitslage dar."

Dargelegt werden diverse Statistiken, etwa dass die von Asylwerbern begangenen Straftaten im Vorjahr deutlich gestiegen seien, darunter "nicht nur" Diebstähle, Suchtgiftdelikte etc. "sondern auch Vergewaltigungen und ein Mord". Angemerkt wird ferner eine zunehmende Radikalisierung unter den Gefängnisinsassen sowie dass aus Kapazitätsgründen "ein an den Zielen der Resozialisierung orientierter Strafvollzug kaum mehr möglich ist".

Beklagt wird in den Erläuterungen auch, dass die hohen Fallzahlen an Asylwerbern die Behörden vor große Probleme stellten: "Die hohe Qualität des Asylverfahrens kann bei einer gleichbleibend hohen Zahl an Schutzsuchenden nicht mehr sichergestellt werden, da insbesondere die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen werden." Die Zahl der offenen Verfahren habe sich ausgehend von 31.338 zu Beginn des Jahres 2015 im Laufe dieses Jahres mehr als verdoppelt.

Neben Argumenten wie Probleme mit der Integration durch mangelnde Betreuung in Schulen, am Arbeitsmarkt, im Gesundheitssektor und Wohnungsnot wirft zu guter Letzt auch die "außerordentlich hohe Belastung" des Staatshaushalts ins Treffen geführt. Prognostiziert werden für heuer Kosten im Asylbereich von zwei Milliarden.

Vier Wochen Begutachtung

Aber alles der Reihe nach: Am frühen Dienstagabend einigten sich SPÖ und ÖVP auf einen Entwurf für die Verordnung. Heute, Mittwoch, startet die Begutachtung. Vier Wochen lang bleibt Zeit, um Änderungswünsche einzubringen. Danach benötigt das Innenministerium noch zwei bis drei Wochen für den endgültigen Verordnungstext, der dann vom Hauptausschuss des Nationalrats beschlossen wird. Argumentiert wird in dem Papier unter anderem mit Straftaten, die von Asylwerbern verübt wurden. Aber auch mit Herausforderungen im Schulbereich.

Aber auch die Herausforderungen im Arbeitsmarkt dienen als Argument für die Verordnung. Und das, obwohl sich die SPÖ lange Zeit dagegen gewehrt hatte. Nun erläutert man im Text, dass eine starke Zunahme an Flüchtlingen auch eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit in einem schwierigen Arbeitsmarktsegment bedeute. Hintergrund für die koalitionsinternen Debatten: Die Notverordnung wird vermutlich ein Verfahren vor dem EuGH zur Folge haben. Während die ÖVP die staatliche Notsituation möglichst drastisch beschreiben will, drängte die SPÖ auf eine „Begründung mit Augenmaß“, so Kanzler Christian Kern am Dienstagvormittag.

Ein Konfliktpunkt ist immer noch die Frage, wann genau die Verordnung in Kraft tritt. Laut Kern soll die Verordnung gelten, sobald die Obergrenze erreicht ist. In der ÖVP sieht man das offensichtlich anders. „Hier unterliegt der Bundeskanzler einem Irrtum“, sagte eine Sprecherin von Innenminister Wolfgang Sobotka zur „Presse“. Die Verordnung müsse kommen, damit die Obergrenze nicht durchstoßen wird. Der Zeitpunkt: „Wenn wir uns der Obergrenze nähern.“

Grundlage für die Notverordnung ist das bereits Ende April vom Nationalrat beschlossene strengere Asylrecht. In dem Gesetz ist auch bereits festgeschrieben, dass an Österreichs Grenzen neue Registrierstellen eingerichtet werden, um Flüchtlinge vorerst provisorisch unterzubringen. Entsprechende Vorkehrungen, etwa durch die Organisation entsprechender Grundstücke, müssen getroffen werden. In den Registrierstellen müssen sich die Betroffenen dann für eine Erstabklärung aufhalten, es sind einfache Befragungen der Flüchtlinge geplant.

Abmachung mit Ungarn?

Weiterhin offen ist die Frage, was mit zurückgewiesenen Asylwerbern passiert. Ungarn hat bereits angekündigt, diese nicht zurücknehmen zu wollen.
Kern, der kürzlich noch ein Rücknahmeabkommen mit Ungarn als Voraussetzung für die Notverordnung verlangt hatte, räumte am Dienstag ein, dass dies „realistisch betrachtet schwierig zu schaffen“ sei. Man versuche daher, auch andere Wege zu finden, etwa verstärkte Grenzkontrollen mit gemischten Patrouillen auf ungarischem Territorium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2016)

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