ORF-Eklat bringt Neuwahlen näher

SITZUNG DES ORF-STIFTUNGSRATS MIT WAHL DIREKTORIUM UND LANDESDIREKTORIUM
SITZUNG DES ORF-STIFTUNGSRATS MIT WAHL DIREKTORIUM UND LANDESDIREKTORIUM(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Nach dem Schlagabtausch um die EU-Sparpolitik zwischen SPÖ und ÖVP wurde die ORF-Direktorenwahl zum Casus Belli. Die ÖVP ging dabei fast leer aus – und droht mit einem ORF-Volksbegehren.

Wien. SPÖ und ÖVP treiben unter aktiver Führung der jeweiligen Parteispitzen in einer Spirale der Eskalation unaufhaltsam in Richtung Neuwahlen 2017. Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat seinen Parlamentsklub vor der Möglichkeit einer Nationalratswahl im März bereits am Mittwoch vorgewarnt. Laut Informationen der „Presse“ bereitet sich auch die SPÖ immer konkreter auf einen verfrühten Urnengang vor – trotz offizieller Dementis.

Am Donnerstag folgte dann der Casus Belli bei der ORF-Direktorenwahl. Die ÖVP ging nach stundenlangen Verhandlungen fast leer aus und erhielt kaum eine der geforderten Positionen. Ein ÖVP-Stiftungsrat sprach in einer ersten emotionalen Reaktion offen von „Krieg“.

Die ÖVP-Stiftungsräte hatten hoch gepokert – und verloren: Alexander Wrabetz erfüllte weder ihren Wunsch, Roland Weissmann als Finanzdirektor zu akzeptieren – er ist Chefproducer und Bürochef des bisherigen Finanzdirektors Richard Grasl, der Wrabetz bei der Generalswahl unterlegen war –, noch wollte Wrabetz einen ORF-Generalsekretär einsetzen. Für diesen Posten hatte sich der ÖVP-nahe Geschäftsführer des Zeitungsverbands, Gerald Grünberger, interessiert. Andere von Wrabetz angebotene „bürgerliche“ Kompromisskandidaten lehnten die ÖVP-Verhandler um Stiftungsrat Thomas Zach, Vorsitzender des ÖVP-„Freundeskreises“, und Grasl ab.

Nur ein öffentlich-rechtlicher TV-Kanal

So wird ein Vertrauter von Wrabetz zum Finanzchef: Andreas Nadler, bisher Nummer zwei in der kaufmännischen Direktion, rückt zum Direktor auf. Die vier Zentraldirektoren des ORF wurden mit 23 Pro-Stimmen von 35Stiftungsräten bestellt. FM4-Chefin Monika Eigensperger wird Radiodirektorin, die bisherige Fernsehdirektorin Kathrin Zechner TV-Programmdirektorin, Michael Götzhaber bleibt Technikdirektor. Von den bürgerlichen Stiftungsräten stimmten die Vertreter von Vorarlberg und Tirol dem Direktorenvorschlag von Alexander Wrabetz zu.

Damit dürften ab sofort die Hardliner innerhalb der ÖVP Oberwasser bekommen, die seit Langem einen kritischeren Kurs gegenüber dem ORF fordern. Ein ÖVP-Vorstandsmitglied spricht sich im Gespräch mit der „Presse“ auch offen dafür aus, ein ORF-Volksbegehren anzudenken. Ziel soll sein, große Teile des TV- und Radiosenders zu privatisieren. Nur ein einziger öffentlich-rechtlicher Kanal mit wesentlich geringerem Personal könnte so übrig bleiben. Die Gebühren sollen stark gesenkt oder überhaupt ganz abgeschafft werden. Die FPÖ wäre bei einem derartigen Unterfangen ebenso an Bord wie der wirtschaftsliberale Flügel der Neos. Die Journalisten des ORF dürften mit einem solchen Ansinnen freilich wenig Freude haben und es als direkten Angriff sehen, womit eine öffentlich geführte Auseinandersetzung sicher scheint.

Warten auf Sebastian Kurz

Dem politischen Erdbeben auf dem Küniglberg war in den vergangenen Wochen eine zunehmende Gereiztheit innerhalb der Koalition vorangegangen, die diese Woche wegen eines wirtschaftspolitischen Gastkommentars von SPÖ-Chef und Bundeskanzler Christian Kern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eskalierte. SPÖ und ÖVP warfen sich gegenseitig ideologische Grabenkämpfe vor.

Innerhalb der ÖVP hat man zunehmend Probleme mit der linken Positionierung Kerns. „Dass er gleich am Anfang mit der Maschinensteuer kam, war irritierend“, meint ein hochrangiger ÖVP-Funktionär. „Aber von da an ging es nur noch weiter nach links. Ein einziger Affront.“ Mit dem neuen ÖVP-Generalsekretär und deklarierten Antisozialisten Werner Amon habe man einen Profi, der innerhalb kurzer Zeit einen Wahlkampf organisieren könne. Und: „Es wäre verantwortungslos, sich nicht auf eine vorgezogene Neuwahl vorzubereiten.“

Bei der SPÖ sieht man das ähnlich, aber aus einem anderen Grund: „Die Frage ist, wie lang Mitterlehner noch den Platzhalter macht“, erklärt ein Parteistratege. „Wenn in der ÖVP Sebastian Kurz übernimmt, müssen wir für Neuwahlen gerüstet sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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